Die räumliche Tonwiedergabe  

Von der Kunstkopfstereophonie zu 3D-Audio

 

      Gisela Konrad Maul Grundig M2Counselling Sennheiser Kunstkopfstereofonie Testplatte HD414 On Ear Headphone

Sennheiser „Kunstkopf-Stereofonie“ Testplatte (ca. 1970) und Sennheisers legendärer offener (On-Ear) Kopfhörer HD 414, der besonders gut für die Wiedergabe von Kunstkopfstereo geeignet ist.

 

Einführung

Solange wir Menschen auf der Welt leben, waren wir fähig unsere beiden Ohren zu benutzen um die Quellen von Geräuschen, Tönen, Tier- und Menschenstimmen zu lokalisieren. Unsere Fähigkeit der Lokalisierung von Schallereignissen warnt uns vor Gefahren und hilft uns individuelle Sounds aus der Kakophonie der akustischen Welt auszusortieren. Diese Fähigkeit von Menschen und Tieren zu untersuchen ergibt ein fesselndes Forschungsfeld in dem Physiker, Ingenieure, Physiologen, Psychologen und Neurowissenschaftler arbeiten.

 

Komponenten für das Richtungshören

Schon vor mehr als 140 Jahren hatte John William Strutt alias Lord Rayleigh eine Theorie entwickelt [1], die zumindest teilweise den Prozess des Richtungshörens zu erklären versuchte. Er führte dann 1907 die Duplex-Theorie (duplex: lat. „doppelt“) der Schalllokalisation ein. Diese Theorie trug wesentlich zum Verständnis des Richtungshörens bei.

Lord Rayleigh hatte beobachtet, dass bei Schallwellen mit kleiner Wellenlänge im Vergleich zum Ohrabstand der Kopf eine Abschattung bewirkt, sodass der Schallpegel (subjektiv die Lautstärke) am der Schallquelle zugewandten Ohr höher ist als am der Schallquelle abgewandten Ohr (siehe Abb. 1). Das bedeutet, dass bei hohen Audiofrequenzen eine Pegeldifferenz zwischen beiden Ohren entsteht (ILD Interaural Level Difference). Außerdem bewirkt der unterschiedliche Abstand der beiden Ohren zur Schallquelle (Abb. 1) einen Zeitunterschied im Auftreffen des Schalls zwischen rechtem und linkem Ohr. Der Zeitunterschied lässt sich mit der Formel aus Abb. 1 berechnen. Lord Rayleigh konnte zeigen, dass diese Zeitdifferenz (ITD Interaural Time Difference) besonders bei tiefen Audiofrequenzen wirksam wird, wo die Pegeldifferenzen (ILDs) zu vernachlässigen sind. Die Duplex-Theorie besagt nun, dass wir diese zwei Prinzipien gleichzeitig zur Richtungsfeststellung benutzen.

Die Duplex-Theorie bietet aber keine Erklärung an, wenn die Schallquelle direkt vor, hinter oder über dem Zuhörer ist. Dann sind nämlich keine Pegel- und Zeitdifferenzen vorhanden. Aber dennoch können wir Schallquellen lokalisieren die sich direkt vor, hinter oder über uns befinden. Selbst wenn eine einseitige Hörbehinderung vorliegt. Es muss also noch eine dritte Komponente für das Richtungshören geben. Den Durchbruch in der Erklärung brachten erst die Erkenntnisse über spezielle Filtereffekte. Schallwellen die aus verschiedenen Richtungen kommen werden an den Außenohren (Ohrmuschel), Kopf, Schultern und Oberkörper unterschiedlich reflektiert. Diese Filtereffekte (akustische Filterung) bewirken eine Änderung der spektralen Zusammensetzung des Klangs der unser Trommelfell erreicht.

Abb. 2 zeigt die Messung dieser akustischen Filterung (HRTF Head-Related Transfer Function). Die Messung erfolgt mit einem Kunstkopf mit einem möglichst getreuen Abbild des menschlichen Ohres. Im Gehörgang des Kunstkopfes ist ein Mikrophon angebracht. Über den Lautsprecher werden dann Schallwellen über den Bereich von ca. 0,2 kHz bis 20 kHz mit konstantem Pegel erzeugt und für die jeweilige Frequenz der Pegel über das Mikrophon gemessen. Es ergeben sich drei Kurven. Die Rote wenn die Schallquelle (Lautsprecher) vor dem Kunstkopf platziert ist. Die Grüne für die Schallquelle hinter dem Kopf. Und die Blaue wenn die Schallquelle über dem Kopf angeordnet ist. Das Gehirn kann aus dem jeweiligen Verlauf auf die Richtung schließen. So wird angenommen, dass z.B. die Spitze der blauen Kurve bei ca. 7 kHz dem Gehirn einen Hinweis liefert, dass die Schallquelle sich über dem Kopf befindet.

Wie wir gesehen haben ist der Prozess des Richtungshörens sehr komplex. Wer noch tiefer einsteigen möchte dem können wir die Lektüre von Blauerts „Spatial Hearing“ empfehlen [2].

 

Gisela Konrad Maul Grundig M2Counselling Komponenten für das Richtungshören Schallpegelunterschied Zeitunterschied Akustische Filterung ATF HRTF

Abb. 1: Komponenten für das Richtungshören

 

Gisela Konrad Maul Grundig M2Counselling Komponenten für das Richtungshören Messung der akustischen Filterung HRTF Head-Related Transfer Function

Abb. 2: Messung der akustischen Filterung

 

Technik der Kunstkopfstereophonie

Schon immer hatten die Menschen den Traum von der naturgetreuen Übertragung und Wiedergabe von Szenen und Ereignissen. Dabei übernahm das Bild die Vorreiterrolle. Schon 1832 hatte Sir Charles Wheatstone die räumliche Bildwiedergabe erfunden. 1842 wurden dann erste stereoskopische Photographien gemacht. 1903 zeigten die Gebrüder Lumiére den ersten räumlichen (stereoskopischen) Film.

Und wie war das mit dem räumlichen Ton (3D-Audio)? Harvey Fletcher meldete 1925 in den Vereinigten Staaten das erste Patent für räumliche (binaurale) Tonübertragung an. Fletcher hatte bei Prof. Millikan an der University of Chicago promoviert (Ph.D.). Als Doktorand hatte er für Prof. Millikan die Versuchsanordnung erdacht, mit der die Elementarladung gemessen werden konnte also die Ladung des Elektrons. Für die Ermittlung der Elementarladung bekam Prof. Millikan später den Nobelpreis.

Wahrscheinlich war Fletcher doch etwas frustriert darüber gewesen, dass er bei der Nobelpreisverleihung leer ausgegangen war und wechselte seine Forschungsrichtung komplett von der Kernphysik in die Akustik. Im Nachhinein ein Glücksumstand für die Audiotechnik und Menschen mit Hörproblemen, denn bei Western Electric und den Bell Telephone Laboratories arbeitete Fletcher an Hörgeräten und Telefonen und forschte zum Sprachverständnis, zu gehörrichtiger Lautstärke und Frequenzgruppen. Aber nun zu Fletchers Patent „Binaural Telephone System“ (Abb. 3). Der Fachbegriff binaural bedeutet zwei- oder beidohrig.

 

Gisela Konrad Maul Grundig M2Counselling Patent US 1624486 Fletcher Binaural Telephone System Kunstkopf Kondensatormikrophonen elektrostatisch Elektret Kopfhörer Röhrenverstärker

Abb. 3: Patentschrift United States Patent Office 12. April 1927 H. Fletcher at Al; Binaural Telephone System. Bestehend aus: Kunstkopf, Kondensatormikrophonen, elektrostatischem (Elektret) Kopfhörer und Röhrenverstärker.

 

In der Einleitung des Patents ist zu lesen: „Diese Erfindung bezieht sich auf ein binaurales Übertragungssystem, das entwickelt wurde um Audiosignale über ein Übertragungsmedium so zu übertragen, dass dieselbe Natürlichkeit bei der Wiedergabe erreicht wird wie bei einer Schallübertragung durch die Luft. Die Mikrophone sind in einem „Dummy“ oder künstlichen Kopf eingebaut der einen Schallschatten produziert, der dem eines menschlichen Kopfes ähnlich ist. Das sichert eine Schallaufnahme die der eines Zuhörers in der Position des künstlichen Kopfes entspricht. Der Übertragungsweg mag über Leitung oder Radiokanäle sein und schließt Aufnahmegeräte wie z.B. Phonographen ein.“ 

Was für eine phantastische Erfindung. Die Röhren-Triode wurde erst 1906 zeitgleich und unabhängig voneinander von Lee de Forest und Robert von Lieben erfunden. Und nicht einmal 20 Jahre später eine nahezu perfekte 3D-Audio Übertragung. Sehen wir uns das Patent (Abb. 3) nun näher an. In den Kunstkopf (Fig. 3) sind die beiden Mikrophone 16 und 17 an der Position der Gehörgänge eingefügt. Es handelt sich dabei um Kondensatormikrophone. Auch heute noch die beste Technik um einen linearen Frequenzgang zu erreichen. Fig. 1 zeigt das Schaltschema der gesamten Anlage. Das linke und das rechte Mikrophon ist jeweils an einen Verstärker (Block A) angeschlossen. Die Verstärkerausgänge treiben einen elektrostatischen Kopfhörer. Auch heute noch bezüglich Linearität das Beste. Der Sennheiser High-End-Kopfhörer „Orpheus“ HE 90, der in limitierter Auflage 1991 gefertigt wurde, war ebenfalls ein elektrostatischer (Elektret) Kopfhör Transfer FunctionOrpheus der zum 70-jährigen Firmenjubiläum 2015 vorgestellt wurde, wird zu einem Verkaufspreis von 59 900 Euro angeboten.

Aber zurück zum Fletcher-Patent. Fig. 2 zeigt einen Kanal des Verstärkers. Die Schaltung ist auch noch heute dem Techniker sofort vertraut. Wir sehen einen fünfstufigen Röhrenverstärker. Die direkte Heizung der Röhren erfolgt mit Batterie. Auch die Anodenspannungsversorgung erfolgt mit Batterien. Und zur Gittervorspannungserzeugung wird ebenfalls eine Batterie benutzt. Die erforderliche Vorspannung des Kondensatormikrophons am Eingang wird aus der Anodenbatterie gewonnen. Es kommt eine gleichstromfreie Drossel-Kondensator-Ankopplung zum Einsatz. Durch die entsprechende Dimensionierung der Anodendrosseln und Koppelkondensatoren wurde ein ebener Audiofrequenzgang erreicht. Der elektrostatische Kopfhörer wurde kapazitiv an die Anodendrossel der letzten Verstärkerstufe angeschlossen. Und in der Patentschrift heißt es weiter: „Die Resultate, die mit dem beschriebenen System erreicht werden, sind die beste Annäherung an eine komplett natürliche Reproduktion von Audiosignalen die bisher realisiert wurde. Und dieses System gibt dem Hörer einen räumlichen Eindruck vergleichbar dem räumlichen Eindruck von stereoskopischen Bildern.“ (Übersetzung der Autoren).

Hier muss man die verständliche Euphorie ein bisschen bremsen, denn dem Fletcher Kunstkopf fehlten die Ohrnachbildungen und damit die dritte Komponente des Richtungshörens. Ohne diese können Schallquellen, wie eingangs schon erklärt, die vor, hinter oder über dem Kunstkopf angeordnet sind nicht räumlich wahrgenommen werden. Aber wenn wir sehen, dass die Firma Sennheiser 2018 ihr Ambeo 3D-Audio System für iPhones mit viel Marketingaufwand vorgestellt hatte, dem ebenfalls die dritte Komponente weitgehend fehlt, ist wohl erkennbar wie weit Fletchers Erfindung seiner Zeit voraus war. Beim Ambeo 3D-Audio sind die Mikrophone auf der Außenseite eines In-Ear-Kopfhörers angebracht und stehen damit über die Ohren hinaus. Die akustische Filterung ist also nicht richtig wirksam. Die Autoren haben sich viele Videoaufnahmen, die mit Ambeo 3D-Audio erstellt wurden, angehört. Ergebnis: In der senkrechten Mittenebene, also vorne und hinten, setzt der Raumeindruck aus. Daher kein wirkliches 3D-Audio.

Wie ging es weiter mit der Kunstkopfstereophonie? Im Jahr 1933 präsentierte General Electric in Chicago der Öffentlichkeit zum ersten Mal einen Kunstkopf. Ab 1939 erfolgte die Weiterentwicklung der Kunstkopftechnik durch die Philips-Arbeitsgruppe um De Boer in den Niederlanden. Am 15. Juni 1946 soll es eine Stereo-Versuchssendung von Radio Nederland gegeben haben. Die Aufnahme wurde mit einem Kunstkopf-Mikrophon gemacht. Beide Kanäle wurden über getrennte Mittelwellensender ausgestrahlt. Zum Empfang waren also zwei Radiogeräte erforderlich.

Anfang der 1970er Jahre kamen auch die ersten Stereoschallplatten, die in Kunstkopftechnik aufgenommen wurden, auf den Markt (siehe die eingangs gezeigte Sennheiser Testplatte). 1973 gab es die ersten Rundfunksendungen (FM-Stereo / UKW Pilotton-Multiplexverfahren) in Kunstkopfstereophonie in Deutschland. Vorarbeiten dazu wurden z.B. an der Universität Göttingen und der Technischen Universität Berlin durchgeführt.

Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre wurde der Kunstkopf für die Aufnahme entscheidend verbessert. Wie wir gesehen haben spielt das äußere Ohr (Ohrmuschel) für das Richtungshören eine sehr wichtige Rolle. Deswegen wurden jetzt die Kunstköpfe auch mit einer möglichst exakten Nachbildung der Ohrmuschel versehen (siehe Abb. 2). Die Anordnung mit den verschiedenen Übertragungsmedien zeigt Abb. 4.

 

 Gisela Konrad Maul Grundig M2Counselling Kunstkopfstereophonie Übertragungsschema HD414 Testplatte Sennheiser Übertragungsmedien

Abb. 4: Kunstkopfstereophonie Übertragungsschema

 

Die Mikrophone sind in den Gehörgängen des Kunstkopfes platziert. Beide Informationskanäle werden bei der Wiedergabe getrennt über Kopfhörer an die Ohren des Zuhörers geführt. Nur die Kunstkopfstereophonie kann alle Komponenten des Richtungshörens originalgetreu zum Zuhörer bringen also den Schallpegelunterschied (subjektiv Lautstärkeunterschied), den Zeitunterschied und die akustische Filterung. Im Idealfall sind die reproduzierten Ohrsignale des Kunstkopfes identisch mit den Ohrsignalen, die der Hörer im Aufnahmeraum wahrnehmen würde. Das (virtuelle) Hörereignis im Wiedergaberaum korrespondiert unverfälscht mit dem (realen) Schallereignis im Ursprungsraum. Sehr eindrucksvoll ist das im Hörbeispiel „Barbershop“ zu hören (siehe Internetquellen [1]).

Stellt sich nun die Frage warum die Kunstkopfstereophonie in den 1970er Jahren nicht den Durchbruch im Consumer-Markt erreicht hat? Die Kopfhörerwiedergabe war damals nicht gebräuchlich. Erst mit dem Sony Walkman mehr als zehn Jahre später hat sich diese etablieren können. Die Wiedergabe von Kunstkopfstereoaufnahmen über Lautsprecher liefert einen unakzeptablen Höreindruck. Der Versuch die Lautsprecherwiedergabe mittels einer Vorfilterung der Kunstkopfsignale zu verbessern war nicht erfolgreich. Damals war keine „künstlerische“ Nachbearbeitung der Kunstkopfaufnahme möglich, wie z.B. Geräuschmischung, das bedeutete, dass die Aufnahme am „Ort der Handlung“ (z.B. Wohnzimmer, Restaurant, Kirche oder Strand) eines Features oder Hörspiels erfolgen musste. Die Reproduktion der Ohrsignale muss sehr genau erfolgen (HRTF des Kunstkopfes muss der HRTF des Zuhörers möglichst genau entsprechen). Ein weiterer Nachteil ist, dass der Höreindruck nicht der Kopfstellung folgt.

 

Siegeszug der Mehrkanalverfahren

Zunächst ein paar Worte über den Höreindruck der Stereowiedergabe über Lautsprecher. Dabei sind die einzelnen Schallquellen (z. B. Instrumente) entlang der Basisbreite, also der gedachten Linie zwischen der linken und rechten Lautsprecherbox lokalisierbar. Eine Lokalisierung im Raum ist nicht möglich (Tiefe, Höhe). Es ist keine wirklich räumliche Abbildung, also kein 3D-Audio. Zudem kommt hinzu, dass heute Musikaufnahmen zum Beispiel mit sehr vielen Mikrophonen als Mehrkanalaufnahme aufgezeichnet werden. Bei der Stereoabmischung (Postproduction) des Stereosignals werden die Instrumente und Gesangsstimmen an Positionen „gestellt“, die nicht immer ihrer Aufnahmeposition entsprechen.

Nun hat man versucht die räumliche Wiedergabe dadurch zu verbessern, dass man anstatt von zwei Kanälen (Links/Rechts Stereotechnik) mehrkanalige Systeme eingeführt hat. Beginnend mit Dolby Surround (3/2 Stereophonie), das aus Center-, Links-, Rechts- und zwei rückwärtigen Surround-Lautsprechern besteht, wurden mit Dolby Digital 5.1 und Dolby Digital 7.1 immer mehr Kanäle und damit Lautsprecher eingeführt.

Aber es blieb dabei, dass die akustische Abbildung quasi nur in einer horizontal liegenden Ebene möglich ist. Eines der Systeme für das sich das DVB-Konsortium 2016 im Rahmen der Verabschiedung der Technischen Spezifikation für das 4K Fernsehsystem UHD-1 Phase 2 entschieden hat, ist Dolby AC-4. Damit soll die räumliche Wiedergabe nochmals verbessert werden. Dabei gibt es nun zusätzlich zu den 6 Kanälen / Lautsprechern (Center, Links, Rechts, Linkssurround, Rechtssurround und Subwoofer) vier weitere Kanäle / Lautsprecher die höher angebracht sind (Höhen Links, Höhen Rechts, Höhen Linkssurround, Höhen Rechtssurround) und ganz oben z.B. an der Decke angebracht einen Top Kanal / Lautsprecher. Das sind dann insgesamt 11 Kanäle mit 11 Lautsprechern. Das bedeutet eine akustische Abbildung auf zwei horizontalen Ebenen und einen Effektlautsprecher der von oben strahlt. Das Ganze ist sicherlich für einen Blockbuster mit z.B. Hubschrauberlärm von oben sehr gut geeignet aber den räumlichen Eindruck den ein Besucher in einem Konzertsaal hat kann man damit nicht reproduzieren.

Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Wellenfeldsynthese. Sie hat sich in der Praxis nicht durchgesetzt und wir wollen hier nicht näher darauf eingehen. Aber sind denn mehr Kanäle und Lautsprecher tatsächlich die einzige Antwort für 3D-Audio im heimischen Wohnzimmer? Nein, denn der Rückgriff auf Prinzipien der Kunstkopfstereophonie in der „Virtual Reality“ ermöglicht die perfekte 3D-Audio Wiedergabe mittels Kopfhörer.

 

Stereowiedergabe über Kopfhörer

Zunächst aber ein paar Worte über das Anhören von Stereoaufnahmen mit Kopfhörern. Stereoaufnahmen sind für die Wiedergabe mit Lautsprechern gedacht. Beim Hören dieser Aufnahmen über Kopfhörer tritt die sogenannte „Im-Kopf-Lokalisation“ auf. Das Stereobild, das wie schon aufgezeigt bei Lautsprecherwiedergabe auf der Verbindungslinie zwischen linkem und rechtem Lautsprecher gehört wird, wird beim Hören mit Kopfhörer auf der Verbindungslinie der beiden Ohren wahrgenommen. Das ist ein unnatürliches Hörerlebnis, so als ob die Schallquellen im Kopf sitzen würden. Erstaunlich, dass wir uns schon so daran gewöhnt haben. Wir müssen kritisch hinhören um uns dieses Phänomen bewusst zu machen. Und die Wiedergabe von Stereoaufnahmen über Kopfhörer ist natürlich auch keine räumliche Abbildung, also kein 3D-Audio.

 

3D-Audio für die Virtual Reality

Das Aufkommen schneller „Digitaler Signal Prozessoren“ (DSPs), die genügend Rechenleistung bieten um Algorithmen (Rechenvorschriften) zur Audiosignalverarbeitung in Echtzeit abarbeiten zu können, hat die 3D-Audio Technik stark forciert. Jens Blauert schreibt dazu [2]: „Das Wissen um die Rolle des äußeren Ohrs beim räumlichen Hören und die Verfügbarkeit von Datensätzen (HRTFs) zur Modellbildung des Außenohrs ebnet den Weg für viele Anwendungen. Wie z.B. die Erzeugung von Hörereignissen unter der Vorgabe von Richtung und Abstand vom Zuhörer. Und in der Tat ist das Modellieren der akustischen Eigenschaften des äußeren Ohrs und die Anwendung dieses Modells für praktische Zwecke fundamental für das was „Binaural Technologie“ genannt wird.“ (Übersetzung der Autoren).

Eine dieser Anwendungen sind Virtual Reality Brillen. Mit diesen kann man räumlich sehen und das auch bei Kopfdrehung mit der passenden neuen Perspektive. Dazu gehört natürlich auch ein wirklicher 3D-Ton. Dabei muss bei der Kopfdrehung auch jeweils der Höreindruck, nennen wir es mal die Hörperspektive angepasst werden, da ja dabei die Schallquellen z.B. Musikinstrumente und die Raumreflektionen aus einer anderen Richtung auf unsere Ohren treffen. Das Fraunhofer IIS hat ein solches System (Cingo siehe [5]) entwickelt und schreibt dazu auf www.iis.fraunhofer.de: „… lassen sich mit Cingo beliebig viele Audioobjekte innerhalb einer virtuellen Umgebung frei um den Nutzer herum platzieren. Dieser kann Soundelemente von vorn, hinten, oben oder unten wahrnehmen, was das Gefühl weckt, mittendrin zu sein. So wird Filmen oder immersiver Musik eine einzigartige Realität verliehen.“

Aber zurück zu unserem guten alten Kunstkopf. Wie kann uns dieser zu einem wirklichen 3D-Audio verhelfen? Als Beispiel wollen wir die Vorgehensweise an Hand einer 3D-Audio Aufnahme für ein Virtual Reality Projekt einer Konzertaufnahme aufzeigen. Das Prinzip kann natürlich auch für andere Genres benutzt werden. Dabei wird zunächst im leeren Konzertsaal, der in unserem Beispiel eine Kirche ist, ein „Binaural Room Scanning“ durchgeführt. Das könnte man leger in etwa „Abtastung des Raumes mit zwei Ohren“ übersetzen. Der Grundgedanke ist dabei durch Kunstkopfmessungen eine „akustische Momentaufnahme“ des zu scannenden Raumes zu erstellen. Die Vorgehensweise ist dabei wie folgt: Der Kunstkopf wird in optimaler Hörposition aufgestellt (siehe Abb. 5).

 

Gisela Konrad Maul Grundig M2Counselling Messung der binauralen Raumimpulsantwort BRIR

Abb. 5: Messung der binauralen Raumimpulsantworten (BRIRs) 

 

Im Bereich in dem später die Musiker spielen, also z.B. dem Bühnenbereich oder vorne im Kirchenschiff, werden Lautsprecher aufgestellt. Die Lautsprecher werden dann mit einem Messsignal angesteuert (z.B. ein impulsförmiges Testsignal). Mit den beiden Mikrophonen im Kunstkopf wird dann die Raumimpulsantwort gemessen und gespeichert. Dann wird der auf einer Drehvorrichtung befestigte Kunstkopf um einen kleinen Winkel verdreht (z.B. 1° horizontal).

Auf diese Weise bekommt man einen Datensatz von binauralen Raumimpulsantworten (BRIR Binaural Room Impuls Response). Bei einer Drehung von jeweils 1° erhält man bei einer vollen Umdrehung um 360° 360 BRIR Datensätze. Dem Ganzen liegt die Mathematik der nachrichtentechnischen Systemtheorie zu Grunde, die in diesem Rahmen nicht näher beschrieben werden kann. Jedenfalls hat man mit diesen Messungen den Konzertsaal, die Kirche oder den Klosterhof akustisch genau vermessen. Wenn nun Künstler eine Aufnahme ihres Musikstücks in einem reflexionsarmen Raum (schallarmer oder echoarmer Raum populär auch mit schalltoter Raum bezeichnet) einspielen kann man diese Aufnahme mit dem gemessenen binauralen Raumimpuls verrechnen. Diese Rechenprozedur wird mit Faltung bezeichnet. Die heutigen digitalen Signalprozessoren ermöglichen dies in Echtzeit und das Ergebnis kann dann mit dem Kopfhörer abgehört werden (Abb. 6).

 

 Gisela Konrad Maul Grundig M2Counselling Funktionsweise 3D-Audio Wiedergabe Headtracking DSP Faltung Datenbank BRIR

Abb. 6: Funktionsweise 3D-Audio Wiedergabe. Zu Unterschieden in der Hörereigniswahrnehmung bei Wellenfeldsynthese und Stereofonie im Vergleich zum natürlichen Hören, 

 

Und da ein Headtracker die jeweilige Kopfposition misst und diese dem digitalen Signalprozessor übermittelt gewinnt der Hörer auch bei Kopfdrehung den Eindruck als ob er wirklich in diesem Konzertsaal säße und die Künstler für ihn dort musizieren würden. Also wirkliches 3D-Audio. Und wenn dann noch ein Virtual Reality Bild dazukommt ist die Einbezogenheit, heute mit Immersion bezeichnet, sicherlich einzigartig.

 

Fazit

Abschließend sei Andreas Lebert, der Chefredakteur ZEIT Wissen, zitiert: „Gute Ideen müssen nicht zwangsläufig neu sein. Manchmal muss man sich auf dem Weg in die Zukunft auch umdrehen und nachschauen, was die Vergangenheit zu bieten hat.“ Passt das nicht wunderbar zur Entwicklung der 3D-Audio Technik von Harvey Fletchers „Binauralem Übertragungssystem zum Binaural Room Scanning.

 

Gisela Konrad Maul Grundig M2Counselling Sennheiser Kunstkopfstereofonie Testplatte HD414 On Ear Headphone

Gisela Maul, Dipl.-Ing. (FH)

 

Gisela Konrad Maul Grundig M2Counselling Sennheiser Kunstkopfstereofonie Testplatte Over Ear Headphone

Konrad Maul, Dipl.-Ing.  

Autoren und Copyright:  

Gisela Maul war 35 Jahren lang in der Software-Entwicklung tätig, davon 25 Jahre in leitenden Positionen bei TA Triumph-Adler GmbH und DATEV eG.

Konrad Maul war 37 Jahre in der Fernsehentwicklung der Grundig AG und in der Nachfolge bei der Grundig Intermedia AG tätig, davon 30 Jahre in leitender Position.

 

 Bildnachweis räumliches hören neu aus PP

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