Fernsehgeschichte - Von der Vision zum TV Programm

Dieser Artikel widmet sich der Entwicklung des Fernsehens, angefangen mit den ersten Kommunikationstechniken bis hin zur Etablierung des Rundfunkwesens nach 1945. Es werden wichtige Meilensteine und Personen wie Paul Nipkow, Manfred von Ardenne und die Kathodenstrahlröhre behandelt. Zudem wird die Entwicklung des Fernsehens in Deutschland genauer betrachtet und Fernsehübertragungen werden thematisiert. Der Artikel bietet einen Überblick über den Weg von der Vision des Fernsehens hin zur Entstehung und Ausstrahlung von TV-Programmen.

 
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Inhaltsverzeichnis: 

1. Die ersten Kommunikationstechniken 

2. Das 18. Jahrhundert: Elektrizität, Fern-Hören, Paul Nipkow

3. Entwicklung des Fernsehens in Deutschland

4. Kathodenstrahlröhre, Ikonoskop, Manfred von Ardenne, Fernsehübertragungen

5. Das Rundfunkwesen nach 1945 

 

1. Die ersten Kommunikationstechniken

Ein indischer Sultan wollte seine Nichte Nurunnihar nur dem zur Frau geben, der ihm die größte Seltenheit mitbringt, die die Welt zu bieten habe. Prinz Ali, Sohn des Sultans und für die Prinzessin entflammt, traf auf dem Basar in Schiras, der damaligen Hauptstadt Persiens, einen Händler, der ein elfenbein-farbiges Rohr, etwa eine Elle lang und etwas dicker als ein Daumen, zu einem hohen Preis anbot. Auf die Frage des Prinzen antwortete er:

 

Märchen und Träume

„Edler Herr, du bist nicht der einzige, der mich wegen dieses Rohres für einen Toren hält. Doch wenn du seine Eigenschaften kennst, wirst du mir sicher ein ebenso hohes Angebot darauf machen wie diejenigen, denen ich es bisher zeigte. Du mußt nämlich wissen, daß dieses Rohr an jedem Ende ein Glas hat und daß man nur durch eines dieser Gläser zu sehen braucht, um sogleich alles zu erblicken, was man sich wünscht. Damit überreichte er dem Prinzen das Rohr, dieser sah hinein, und da es ihn nach dem Anblick seines Vaters, des Sultans von Indien verlangte, sah er ihn in vollkommener Gesundheit inmitten seines Staatsrates auf seinem Thron sitzen. Da er nächst dem Sultan nichts Lieberes auf der Welt hatte, wünschte er sich sodann den Anblick der Prinzessin Nurunnihar und sah sie lachend und heiter inmitten ihrer Frauen am Putztisch sitzen." 

Diesen phantastischen Vorgang erzählt Scheherezade in der 598. Nacht, die sie mit dem Sultan Scheherban verbrachte, um sein Land vor der völligen Ausrottung junger Frauen zu bewahren, die sich der Sultan wegen der Untreue seiner Frau geschworen hatte. Es gelang ihr übrigens, denn außer ihrer Erzählkunst war sie auch noch mit anderen positiven Eigenschaften gesegnet, die den Sultan in Atem hielten. Zusammengefaßt wird dieser Erzählmarathon in der orientalischen Märchensammlung „Tausendundeine Nacht" aufgeschrieben vor mehr als tausend Jahren.

Das alte Längenmaß Elle, von der Länge des Unterarms abgeleitet, wird mit 55 bis 85 cm angegeben. Die Bildröhren der ersten elektronischen Fernsehgeräte der 30er Jahre hatten ähnliche Ausmaße. Die des FE VI der Firma Telefunken aus dem Jahre 1937, berühmt wegen ihres senkrechten Einbaus, ist z.B. 72 cm lang. Scheherezade hat mit ihrer Längenbeschreibung des „Sehrohrs" also schon technisches Augenmaß bewiesen. Ein altes chinesisches Sprichwort sagt: „Ein Bild ist mehr wert als hundert Wörter." Dahinter steckt die Erfahrung, daß ein Bild nicht nur stärker als Gesprochenes die Phantasie anregt, sondern gleichzeitig im Zeitraffer eine Unzahl Informationen weitergibt.

So gelten die ältesten uns überlieferten altsteinzeitlichen Malereien und Gravierungen, die Höhlenmalereien von Altamira in Ost-Spanien, als die ersten Kommunikationstechniken der Menschheitsgeschichte überhaupt. Die Ägypter, Römer und Griechen, sie alle hinterließen uns Aufzeichnungen ihrer (meist kriegerischen) Erfolge und ihres Alltagslebens in Form von Bildern, in Stein gehauen. Das Relief auf der Trajanssäule in Rom, das die Siege Kaiser Trajans über die Daker dokumentiert und 113 n.Chr. fertiggestellt wurde, gilt als die umfangreichste antike Reliefkomposition: Das 80 m lange, in 22 Windungen laufende Reliefband erinnert heute an eine Fernsehreportage, wobei die fehlende Perspektive durch Überlagerung der Figuren ersetzt wurde.

 

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Die Trajanssäule in Rom

 

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Seit Jahrhunderten geistern durch die Märchen aller Kulturen Erscheinungen, die sich unsichtbar machen können; Menschen mit Tarnkappen, die zuschauen, ohne selbst gesehen zu werden oder andere Fabelwesen, die genau wissen, was im selben Moment weit entfernt, ja, in einem anderen Land passiert. Diese phantastischen Märchenwünsche sind Ausdruck des alten Menschheitstraums, ein bestimmtes Bild an einem anderen Ort sichtbar zu machen, d.h. eine räumliche Erscheinung auf eine andere Ebene optisch zu übertragen.

Die Geschichte dieser Wandlung, Grundidee des Fernsehens, beginnt im Mittelalter, als Künstler anfangen, sich mit der Perspektive zu beschäftigen. Wer anders als das wohl größte Genie der letzten Jahrhunderte, Leonardo da Vinci 1425-1516, hat als erster die Camera obscura (lat.: „dunkle Kammer") beschrieben: „...wenn die Fassade eines Gebäudes, ein Platz oder eine Landschaft von der Sonne beleuchtet werden, und man bringt auf der gegenüberliegenden Seite in der Wand einer nicht von der Sonne getroffenen Wohnung ein kleines Löchlein an, so werden alle erleuchteten Gegenstände ihr Bild durch diese Öffnung senden und umgekehrt erscheinen. Wenn diese Bilder von einem durch die Sonne erleuchteten Ort entstehen und man sie in der Wohnung auf einem Papier auffängt, so werden sie wie eigens auf dem Papier gemalt erscheinen." 

 

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Prinzip der Camera obscura

 

Camera obscura

Im 17. Jahrhundert war die Camera obscura ein gebräuchliches Hilfsmittel für Porträts und besonders für Landschaftsbilder: Durch eine konvexe Linse, die die einzige Öffnung eines ansonsten fensterlosen dunklen Raumes ist, wird das eingefangene Bild auf die in bestimmter Entfernung befindliche gegenüberliegende Wand projiziert. Zieht man dann die Umrisse des auf diese Wand geworfenen Bildes nach, erhält man automatisch die echte Perspektive der abzubildenden Erscheinung, wenn auch auf dem Kopf stehend. Die Erfindung von Umlenkspiegeln rückte das Bild zum Staunen der Zuschauer dann wieder gerade. Alle Geräte vor 1620 waren große Kammern, die vom Benutzer betreten werden mußten. Danach gab es tragbare „Räume" und auch Tischgeräte. Leider war dieses erste „Fernbild" auch bei hellstem Sonnenschein recht lichtschwach. Der Anspruch, besser, d.h. realistischer zu sehen, führte gegen Ende des 17. Jahrhunderts zur Erfindung der Laterna magica (lat., „Zauberlaterne"). Statt des natürlichen Sonnenlichtes benutzte man bei diesem  „Bildwerfer" eine künstliche Lichtquelle, z.B. eine Öllampe oder Wachskerze: Ein mit transparenten Farben auf Glas gemaltes Bild wurde mit diesem Licht angeleuchtet und über eine Linse, die es vergrößerte, in einem dunklen Raum auf die Wand geworfen.

 

Laterna magica

Die Laterna magica ist der Vorläufer aller heutigen Projektionsapparate. In einer Zeit, die von Hexenfurcht und Zauberglauben geprägt war, hatten es umherziehende Gaukler nicht schwer, mit diesem Gerät wohligen Schauder oder ungläubiges Entsetzen hervorzurufen, denn als Bildvorlage benutzten sie häufig Gespenstererscheinungen, berühmte Tote oder andere Vorbilder aus dem okkulten Bereich.

 

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Schaustellerin mit Drehorgel und Laterna magica

 

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Verschiedene Modelle der Laterna magica

 

Aus der Not eine Tugend machte Anfang des 19. Jahrhunderts ein Maler, der das Reich der Phantasie verließ und sich der Technik zuwandte, Louis Jaques Mande Daguerre (1787 - 1851), Vater der Fotografie. Er hatte das Diorama (griech., „Durchscheinbild") erfunden, auf transparente Seidenstoffe gemalte riesige Bilder, bei denen die nach Tageszeiten wechselnde Beleuchtung durch Anbringen künstlicher Lichtquellen nachgeahmt wurde. Dadurch entstand der Eindruck von Veränderung und sogar Bewegung der jeweiligen Szenerie. Daguerre betrieb in Paris mit Erfolg ein Theater, wobei er die Vorführungen der gemalten Bilder mit Musik und Texten begleitete. Ob man sich zur Stummfilmzeit an diese Art der Präsentation erinnert hat?

Eines Tages brannte Daguerre's Diorama-Theater ab, und der einfallsreiche Mann sann auf Neues. Er hatte von dem Offizier und Erfinder Joseph Nicbphore Niepce gehört, dem 1822 als erstem gelungen war, ein Lichtbild in der Linsenkammer auf Metall zu fixieren. Die beiden Erfinder taten sich zusammen, und nach langjährigem Bemühen, 6 Jahre nach dem Tod von Niepce, lief die Daguerreotypie ab 1838 als Sensation um die Welt: Eine durch Joddämpfe lichtempfindlich gemachte Silberplatte wird in eine lichtundurchlässige Kassette eingelegt und diese in ein „Kameragehäuse" eingesetzt. Die Belichtungszeit dauerte bis zu 30 Minuten, was bei Personenaufnahmen äußerst strapaziös war und die leicht verkrampften Mienen der Abzulichtenden erklärt. Die Entwicklung geschah durch den Dampf von erhitztem Quecksilber, das sich nur auf jenen Teilen der Silberplatte niederschlug, die Licht empfangen hatte.

 

Daguerreotypie

Daguerre fixierte seine Erstlinge in einer Daguerreotypie Kochsalzlösung, später in dem Fixiermittel Hyposulfit. Es entstand ein seitenverkehrtes Unikat, das allerdings nur unter einem bestimmten Einfallswinkel des Lichtes sichtbar war, dann aber schon sehr scharf. Fiel das Licht senkrecht darauf, war das ganze Wunder wie durch Zauberei verschwunden.

  

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Daguerre-Kamera, 1839

 

Hielt sich die Daguerreotypie auch nur knapp 20 Jahre, weil dann Verfahren entwickelt wurden, die Kopien auf Papier erlaubten, ist sie doch in Literatur und Film eingegangen, und wir haben ihr noch eine andere moderne Zivilisationserscheinung zu verdanken: Die in aller Welt anzutreffenden, silbergerahmten (heute sind die Rahmen meist aus Plastik) und blumengeschmückten Ahnen- und Familienporträts, die auf erhabener Stelle des Wohnzimmerbuffets thronen und mehr oder weniger streng über die Nachfahren wachen.

 

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Stillhalte-Vorrichtung bei Personenaufnahmen nach der Methode Daguerre

 

Science-fiction

Die Träume blieben und wuchsen: Weiter zu sehen, als das Auge reicht, hieß das nächste Ziel. Der französische Schriftsteller Albert Robida stellte sich die Realisation dieses Wunsches in seinem 1892 erschienenen Buch „Le vingtieme Siecle", einem Science-Fiction-Roman, („Das 20 Jahrhundert") folgendermaßen vor: „Unter den besonderen Erfindungen, deren sich das 20. Jahrhundert rühmt, kann das Telephonoskop als eine der überraschendsten genannt werden. Mit dem Telephonoskop sieht man und hört man. Der Dialog und die Musik werden übertragen wie gewöhnliches Telephon, aber zur gleichen Zeit erscheint die Szene selbst mit ihrer Beleuchtung, ihren Dekorationen, ihren Darstellern auf der Kristallscheibe mit der Deutlichkeit der direkten Sicht. Man wohnt wirklich der Darbietung mit den Augen und den Ohren bei. Die Illusion ist komplett, absolut! Man konnte also, o Wunder!, in Paris Augenzeuge eines Ereignisses werden, das sich tausend Meilen von Europa entfernt abspielte. Eine Katastrophe, Überschwemmung, Erdbeben oder Feuersbrunst, ganz gleich, in welchem Teil der Welt sie auch auftrat - das Telephonoskop der Epoque, mit dem Berichterstatter der Zeitung auf dem Schauplatz des Ereignisses verbunden, hielt die Pariser über die Geschehnisse auf dem Schauplatz auf dem Laufenden.

 

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Die Kriegsvisionen von Albert Robida

 

Robida hatte sich nur in einem geirrt: Der Kriegsschauplatz war Indochina - und nicht China, und es tobte kein Bürgerkrieg, sondern ein französischer Kolonialkrieg, der in den Vietnam-Krieg der Amerikaner überging und erst im April 1975 beendet sein sollte. Es war der erste große Krieg, den das Fernsehen live und direkt „miterlebte". Die grauenvollen Bilder sind Fernsehzuschauern in aller Welt heute noch im Gedächtnis. Als er das schrieb, kannte Robida schon das Telefon. Was er nicht wußte, war, daß überall in der Welt bereits Erfinder am Werke waren, auch das Sehen über Entfernungen zu ermöglichen. 

 

2. Das 18. Jahrhundert: Elektrizität, Fern-Hören, Paul Nipkow

Das 18. Jahrhundert war voll von technischen Entdeckungen, die die Moderne einleiteten und dem Automatismus den Weg bahnten. Eine der bedeutendsten Erfindungen war die der Dampfmaschine durch James Watt im Jahr 1769, die die Begrenztheit des Menschen hinsichtlich seiner Körperkraft aufhob. Der Trend, menschliche Dimensionen und bisher bekannte Schemata zu sprengen, setzte sich im 19. Jahrhundert fort. Hier sollen nicht die unzähligen technischen Erfindungen aufgezählt werden, ohne die unsere Zeit nicht denkbar ist. Nur so viel sei festgestellt: Die Faszination der Menschen an Technik scheint genauso tief verwurzelt zu sein wie die Faszination an Magie, die über Jahrzehntausende ein bestimmender Faktor menschlichen Verhaltens war.

 

Elektrizität

Das Schlüsselwort ist Elektrizität, ohne die moderne Technik nicht denkbar ist. Wobei die Beobachtung elektrostatischer Erscheinungen gar nicht neu war, sondern bereits im Altertum gemacht wurde: Die Griechen hatten die „elektrische" Eigenschaft des geriebenen Bernsteins erkannt, und so ist denn auch das Wort Elektrizität auf das griechische Wort für Bernstein = elektron zurückzuführen. Doch erst im 18. Jahrhundert gelang die gesetzmäßige Erfassung der verschiedenen elektrischen Erscheinungen und ihrer Wirkungsweise. Die Namen der betreffenden Wissenschaftler wie Volta, Ampere, Galvani - um nur einige zu nennen - sind in unseren Sprachgebrauch eingegangen und die damit verbundenen Begriffe aus unserem Alltag nicht wegzudenken. Im 19. Jahrhundert goß dann ein schottischer Physiker diese vielen Detailerkenntnisse in eine übergreifende Form: James Clerk Maxwell ist mit seinen 1873 aufgestellten Gleichungen eine umfassende Theorie der Elektrizität gelungen, aus der sich alle elektrischen und magnetischen Veränderungen ableiten lassen. Schon 1865 hatte er die These aufgestellt, daß das Licht aus kurzen elektromagnetischen Wellen besteht.

 

„Fern-Hören"

Zurück zum Telefon. Denn bevor an Versuchen zum elektrischen „Fern-Sehen" experimentiert wurde, war das elektrische „Fern-Hören" möglich geworden. 1876 hatte Alexander Graham Bell auf der Weltausstellung in Philadelphia sein elektromagnetisches Telefon vorgestellt: eine Erfindung, durch die Schallwellen in elektrische Schwingungen umgesetzt werden, sie über Draht transportiert und beim Empfänger wieder in Schallwellen zurückverwandelt. Das Problem des „Fern-Sehens" stellt sich ähnlich: die Umwandlung eines Bildes in elektrische Werte und deren Rückverwandlung in ein dem Original entsprechendes sichtbares Bild.

Die Realisierung des Fern-Sehens ist nicht die Erfindung eines einzelnen, es ist auch nicht in einem Land entstanden, sondern ist das Ergebnis vieler wissenschaftlicher Untersuchungen und Bastei-Experimenten von Amateuren in aller Welt. An sich bewegende Bilder dachte man dabei noch gar nicht, in den Versuchen des vorigen Jahrhunderts ging es zuerst um die Übertragung stehender Bilder.

Der amerikanische Maler und Erfinder Samuel Morse hatte 1837 ein Gerät entwickelt, mit dem man auf telegraphischem Wege Nachrichten senden und empfangen konnte: Sein Morse-Telegraph zerlegte Buchstaben in einfache Zeichen (Punkte und Striche) und schickte diese in kurze und lange elektrische Impulse übersetzt per Leitungsdraht kilometerweit. Beim Empfang drückte ein Elektromagnet im Takt der Impulse einen Schreibstift gegen einen gleichmäßig bewegten Papierstreifen. Sein Morse-Alphabet, heute noch gültig im Seefunk und bei Amateur-Funkern, war der Code zum Entschlüsseln dieser Zeichen, übrigens war Morse auch der Wegbereiter der Daguerreotypie in Amerika.

 

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Telegrafenapparat von Samuel Morse, 1837

 

Der Morse-Apparat war damals eine Sensation und regte viele Erfinder an, es mit der elektrischen Übertragung komplizierterer Gebilde als einfacher Zeichen, nämlich ganzer Bilder, zu versuchen. Einer der ersten war der schottische Uhrmacher Alexander Bain im Jahre 1843. Er wollte ein Bild in Zeichen zerlegen, deren Helligkeitswerte Punkt für Punkt in proportionale elektrische Stromimpulse verwandeln und diese nacheinander durch einen Kanal übertragen. Die Bilder sollten unter Zwischenschaltung eines metallischen Rasters von einer an einem Pendel befestigten Kontaktfeder zeilenweise abgetastet werden. Der Bildschreiber am Empfangsort sollte ebenso gebaut sein wie der Bildgeber, wobei beide synchronisiert, d.h. in Gleichlauf gebracht werden sollten. Auf dem Rasterrahmen des Bildschreibers stellte sich Bain ein präpariertes Papierblatt vor, das sich an den Punkten der unter Spannung stehenden Rasterelemente, die von der Abtastfeder berührt wurden, chemisch verfärben und so das zu übertragende Bild reproduzieren sollte. Obwohl dieser „Kopier-Telegraph" nie gebaut wurde, enthält er die beiden wesentlichen Merkmale einer elektrischen Fernseheinrichtung: die Zeilenabtastung der Bildvorlage und den Gleichlauf zwischen Sende- und Empfangseinrichtung.

Die Versuche um die Kopier-Telegraphie stagnierten oder wurden aus Kostengründen eingestellt, wie die des italienischen Physikers Giovanni Caselli, der von 1863 - 1868 auf einer für Morsetelegraphie vorgesehenen Strecke von Paris nach Lyon mit seinem „Pantelegraph" genannten Gerät Fernzeichnungen übermitteln konnte. Eine zufällig entdeckte physikalische Erscheinung und die bekannte Trägheit des Auges brachte die Forscher in aller Welt weiter. Die physikalische Entdeckung machten die englischen Ingenieure Smith und May im Jahr 1823, als sie zur Überwachung von Atlantikkabeln Selenstäbe benutzen wollten. Vom chemischen Element Selen wußte man, daß es zwar Elektrizität leiten kann, dem elektrischen Strom aber einen hohen Widerstand entgegensetzt. Diesen Widerstand wollte Smith bei seinen Kabelmessungen ausnutzen. Der Plan funktionierte aber nicht, denn das Selen spielte „verrückt" d.h. seine Reaktionen waren völlig ungleichmäßig. Auf der Suche nach der Ursache fanden die Ingenieure heraus, daß der Widerstand des Selens geringer ist, wenn es Licht ausgesetzt ist, und höher, wenn es im Dunkeln ist. Diese durch Lichtempfindlichkeit bedingte Wandlereigenschaft des Selens nennt man den inneren Photoeffekt. Die Fachwelt war erregt. Jetzt konnte man Licht in Elektrizität verwandeln, durch Licht den Ausschlag eines Strommessers beeinflussen.

 

Wandlereigenschaft von Selen

Um die praktische Handhabung dieser Entdeckung zu gewährleisten, mußte man das Selen einfassen, es in eine Form bringen. Die erste Selenzelle baute Werner von Siemens im Jahr 1825. „Zwei parallel gewundene Platindrähte bilden auf einem Isoliergrunde von einander isolierte Spiralen. Der Raum zwischen beiden wird mit Selen ausgefüllt und mit einer dünnen Glimmerscheibe bedeckt. Die so hergestellte Selenzelle wird dann drei Stunden lang in einem Paraffinbad bei 210°C sensibilisiert und dann langsam auf Zimmertemperatur gebracht. Die so hergestellten Zellen sollen bei starker Belichtung ihren Widerstand bis auf 1/10 ihres Dunkelwiderstandes vermindern." 

 

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Mithilfe einer solchen Zelle war man jetzt in der Lage, jede Veränderung der Umgebungshelligkeit als Stromstärkeänderung zu registrieren. In der Fachliteratur wurde unter Titeln wie „Seeing by electricity" „Voir par le telegraphe" „Elektrische Teleskopie" heftig diskutiert, wie man die Lichtempfindlichkeit des Selens ausnutzen könne, um auf elektrischem Wege „weiter zu sehen, als das Auge reicht".

Wenn es z.B. mit dem Kohlemikrofon gelingt, komplizierte Schallgebilde wie die menschliche Sprache in elektrische Zeichen umzuwandeln und über Telefondraht sofort in die Ferne zu senden, sollte es mit Selenzellen möglich sein, komplizierte optische Eindrücke auf ähnliche Weise an einen beliebigen anderen Ort zu übertragen. Nicht alle Amateure und Forscher können hier erwähnt werden, die mit großem Eifer und dokumentarischem Interesse dem Problem zu Leibe rückten - es waren zu viele -, sondern nur die wichtigsten, die durch ihre Vorschläge einen entscheidenden Fortschritt erzielten. 

 

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Anzeige aus der Leipziger „lllustrirten Zeitung" aus dem Jahr 1884

 

Spekulative Ideen des vorigen Jahrhunderts

Unabhängig voneinander schlugen 1878 der portugiesische Physiker Adriano de Paiva und der französische Advokat Constantin Senlecq vor, Selen zu benutzen, um die Helligkeitswerte eines Bildobjekts in entsprechende Stromstärkegrade umzuwandeln. Zwischen beiden Forschern entbrannte ein Streit darüber, wem die Priorität für die erste Idee eines elektrischen Fernsehens zukäme. Da beide Vorschläge nie ausgeführt, sondern nur auf dem Papier erörtert wurden, urteilte die damalige Presse, die französische Zeitung „Nature" lakonisch: ,,Im übrigen haben wir es bisher nur mit einer aufgeworfenen Idee zu tun; wird sie zum Erfolg führen? Wir wissen es nicht: Wir halten es besser nicht für notwendig, solange keine Resultate vorliegen, daß man sich um die Priorität einer in ihrer Materieverwirklichung so unsicheren Erfindung streitet." 

 

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Titelseite des ersten Buches über elektrisches Fernsehen

 

Man hielt offensichtlich nicht viel vom Bemühen der beiden Erfinder. Ihnen kommt jedoch aus heutiger Sicht ein unschätzbares Verdienst zu: Beide wollten die Bildvorlagen in Zeilen und Punkte zerlegen („Abtastung") und diese nacheinander übertragen. Bei der Zusammensetzung des übertragenen Bildes wollte de Paiva die Trägheit des Auges ausnutzen. Der Erfinder Denes von Mihäly beschrieb de Paivas Vorschlag 45 Jahre später folgendermaßen: „Bei seinem Apparat wirft das Objektiv das Bild des Gegenstandes auf eine mit Selen bestrichene Metallplatte, welche mit einem Pol der Batterie verbunden ist. Auf der Oberfläche der Selenschicht bewegt der Mechanismus "b" eine Metallspitze derart, daß dieselbe die Bildfläche in der Sekunde zehn Mal abstreift, d.h. jeden Punkt des Bildes durchläuft.

Die einzelnen Punkte der Selenschicht zeigen nun einen größeren oder kleineren Widerstand zwischen der Metallplatte "a" und der Metallspitze "b" an, je nachdem die einzelnen Punkte der Selenschicht durch das projizierte Bild belichtet sind. Der eine Pol der Batterie ist mit dem Relais der Reproduktionsstation durch diesen veränderlichen Widerstand und der Leitung "d" verbunden, während der andere Pol mittels der Leitung "c" direkt an das Relais geschaltet ist, welches geöffnet oder geschlossen wird, je nachdem die Spitze über eine heller oder dunkler beleuchtete Selenschicht gleitet. Das Relais öffnet oder schließt den Stromkreis der sehr kleinen Glühlampe "f". Diese Lampe wird durch einen ebensolchen Mechanismus in Bewegung gehalten, wie er in der Aufgabestation die Metallspitze bewegt, wodurch das Lämpchen an genau denselben Stellen der Bildfläche als leuchtender Punkt erscheinen wird, wo die Selenschicht beleuchtet war; hingegen bleibt es dunkel, wo Schatten auf die Selenschicht fällt. Da dieser Bildwiedergabeprozeß innerhalb 1/10 Sekunde stattfindet, glaubt man das Aufblitzen des Lämpchens auf den verschiedenen Stellen zu gleicher Zeit zu bemerken; man erhält also das Schattenbild des eigentlichen Bildes." 

 

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Relaisanordnung von Mihöly mit Selenzelle nach de Paiva

 

Wie Mihäly bei de Paiva schon eine Glühlampe voraussetzen konnte, ist allerdings Fachleuten auch heute noch unklar, denn deren Entwicklung setzte erst 1879 mit der von Thomas Alpha Edinson erfundenen Kohlefadenlampe ein. Wie dem auch sei, de Paiva hat mit der von ihm vorgeschlagenen Ausnutzung der Augenträgheit Hellsichtigkeit bewiesen, indem er die gleichzeitige, aber gleichzeitig nicht „Die Augenträgheit macht sich besonders bei Dunkelheit bemerkbar. Der anatomische Aufbau unseres Auges wird durch zweierlei Sorten lichtempfindlicher Nervenzellen, welche die Netzhautoberfläche bilden, den Stäbchen und Zäpfchen, bestimmt. Im Dunkeln sind fast nur die Stäbchen wirksam. Sie reagieren nur auf Helligkeitseindrücke. Wenn nun auf diese Netzhaut voll höchstempfindlicher und reaktionsbereiter Stäbchen plötzlich ein extrem heller, bewegter Lichtpunkt fällt, reagieren alle Stäbchen stoßartig in Form eines photochemischen Prozesses.

Dieser Prozeß wird auch dann noch vorhanden sein, wenn der Lichtpunkt schon längst verschwunden ist. Dieses Weiterlaufen des chemischen Prozesses auf der Netzhaut bedeutet ein Anhalten des Lichteindrucks in unserem Sehzentrum; und dieses irrtümliche Nachleuchten bezeichnen wir als Augenträgheit. Bei unserem bewegten Lichtpunkt läuft der Lichteindruck von Stäbchen zu Stäbchen über die Netzhaut. Nehmen wir an, der Lichtpunkt wäre in der Zeit, in der das erste Stäbchen noch immer merkbar reagiert, bereits über 999 andere Stäbchen hinweggehuscht. Natürlich reagieren auch alle diese 999 anderen Stäbchen träge, und das Resultat ist, daß unser Sehbewußtsein von 1.000 Stäbchen zugleich ,Licht’ registriert. Wir sehen also einen Lichtstreifen und keinen Lichtpunkt."

 

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Schema des „Telectroscope" von Constantin Senlecq

 

Jeder von uns kennt diese angenehme Selbsttäuschung des Auges: Als Kinder haben wir kleine Blöcke bemalt, heute gibt es sie zu kaufen, die auf jeder Seite ein leicht phasenverschobenes Bild desselben Motivs zeigten. Beim schnellen Blättern der einzelnen Seiten werden diese stehenden Bilder für unser Auge scheinbar zu laufenden Bildern. Aber noch sind wir nicht bei „laufenden Bildern" beim Film, der möglich wurde durch die Erfindung des Filmkinematographen der Brüder Lumiere im Jahr 1895. Bis dahin galt das Interesse der Fernsehforscher der Übertragung stehender Bilder.

Senlecq’s Verdienst war es, daß er bei seinem „Telectroscope" genannten Vorschlag als erster die von Bain eingeführte galvanische Rasterung des Bildfeldes aufnahm. Ebenso wie de Paiva wollte er das Nebeneinander der Bildelemente im Raum durch ein Nacheinander der Bildsignale in der Zeit ersetzen. Eine weiterführende Idee bedeutete sein drei Jahre später gemachter Vorschlag, den Bildzerleger fest mit dem Synchronisier-Impulsgeber zu kuppeln, um auch Bilder mit zeitlich veränderlichem Inhalt übertragen zu können, überall in der Welt wurden jetzt Vorschläge für Fernseh-Apparaturen erarbeitet; in Italien z. B. von Carlo Mario Perosino, in den USA von George B. Carey und Graham Bell, in England von Shelford Bidwell, William Edmond Ayrton und John Perry. Ihre Ideen bezogen sich zwar auf das gewünschte Fernsehen, ermöglichten jedoch kaum mehr als eine telegraphische Bildübertragung und wurden, bis auf den Telephotographen von Bidwell (1881), nie praktisch vorgeführt. 

Eine weitere Ausnahme, allerdings erst über 40 Jahre später in die Praxis umgesetzt, waren die theoretischen Untersuchungen von Maurice Le Blanc, der 1880 über einen Bildgeber- und Schreiber nachgedacht hatte, die mit oszillierenden Spiegeln arbeiten sollten. „ Die Spiegel waren an zwei Federn mit zueinander senkrechten Schwingungsebenen befestigt. Wenn das Verhältnis der Feder-Schwingungszahlen dem Verhältnis von Zeilenhöhe zur Zeilenlänge entsprach, wurde ein auf den Spiegel fallender Lichtstrahl rasterförmig über das lichtempfindliche Organ oder den Bildschirm geführt. Zur Umwandlung des Lichts in Stromimpulse schlug Le Blanc verschiedene Verfahren, u.a. sogar eine Ausnutzung des Strahlungsdruckes vor. Als Lichtrelais sollte zum ersten Mal eine mechanische, durch eine Magnetspule gesteuerte Blende dienen." 

Der Amerikaner Edward Sawyer faßte 1880 in einer im „Scientific American" erschienenen Abhandlung die technischen Schwierigkeiten zusammen, die sich damals einer Lösung des Fernsehproblems entgegenstellten:

- die Trägheit des Selens, dessen Reaktion für eine hohe Bildauflösung zu langsam ist;
- die Notwendigkeit, das Bild in mindestens 10.000 Bildelemente zu zerlegen,
- das Fehlen eines auf die geringen Widerstandsänderungen des Selens ansprechenden Lichtrelais;
- das Fehlen eines befriedigenden Synchronisierungssystems. 

 

Paul Nipkow und die rotierende Lochscheibe

Einen entscheidenden Fortschritt in der Entwicklung des Fernsehens brachte die Erfindung eines jungen Studenten der Naturwissenschaften, Paul Nipkow (1860 - 1940), im Jahr 1884. Er hatte sich schon als Schüler sehr intensiv mit dem Telefon beschäftigt und später den Gedanken gehabt, daß für das Auge in ähnlicher Weise eine Einrichtung geschaffen werden könnte, um bewegte Dinge außerhalb des natürlichen Wirkungskreises zu sehen.

Ihm gelang diese Einrichtung mit der nach ihm benannten Nipkowscheibe, für die er am 6. Januar 1884 unter dem Namen „Elektrisches Teleskop" beim kaiserlichen Patentamt in Berlin ein Patent einreichte und am 15. Januar 1885 erhielt. Es war das erste Patent in der weltweiten Fernsehgeschichte überhaupt, und das darin beschriebene Verfahren bildete 40 Jahre später in allen technisch entwickelten Ländern die Grundlagen des Fernsehens.

„Beim Anblick einer Kerze soll ihm der Gedanke gekommen sein, das Bild der Kerzenflamme mosaikartig zu zerlegen und die einzelnen Helligkeitswerte nacheinander zu übertragen. Nipkow kam auf die Idee, für die Zerlegung in Zeilen oder sogar Bildpunkte eine rotierende Scheibe mit spiralförmig angeordneten Löchern zu verwenden. Die Bildzerlegung mußte so schnell gehen, daß infolge der Trägheit des Auges der Zerlegevorgang selbst nicht mehr wahrgenommen werden konnte. Nipkow soll sich ein Pappmodell einer Spirallochscheibe mit 24 Löchern angefertigt haben, mit der er bei schnellem Drehen die Kerzenflamme durch die Löcher der Scheibe als geschlossenes Bild erkennen konnte. Seine theoretische Überlegung, die Trägheit des Auges bei dem Abtastvorgang mit einzubeziehen, hatte sich damit als richtig erwiesen.

Die gewonnenen Achtpunktserien mußten in Stromimpulse umgewandelt und dann über Leitungen übertragen werden. Hierzu konnte eine Selenzelle und für die Bildwiedergabe ebenfalls eine Spirallochscheibe zusammen mit einem Lichtrelais verwendet werden. Der Abtastvorgang konnte wesentlich schneller ablaufen als bei den bisher beschriebenen Verfahren, die nach jeder Zeile einen Rücklauf der Abtasteinrichtung zum Beginn der nächsten Zeile erforderten. Die bei diesen Verfahren erforderlichen horizontalen und vertikalen Abtastbewegungen hat Nipkow durch das Rotieren der Scheibe ersetzt. Für die richtige Zuordnung der Bildpunkte bei der Bildwiedergabe war eine Synchronisierung der beiden Spirallochscheiben erforderlich, die mechanisch oder elektrisch sichergestellt werden mußte." 

Nipkow gab für seine Scheibe 24 Löcher an, d.h. sie konnte 24 Zeilen abtasten: Die Löcher sind spiralförmig so angeordnet, daß sich jeweils nur ein Loch vor dem zu übertragenen Objekt befindet. Rotiert die Scheibe, wird durch jedes Loch eine Bildzeile abgetastet; ist das erste Loch am Ende der ersten Zeile angelangt, steht das zweite Loch am Beginn der zweiten Zeile usw. Nach einer vollen Umdrehung der Scheibe hat das 24. Loch die letzte Zeile abgetastet, und der Vorgang wiederholt sich beim ersten Loch und der ersten Zeile.

Nipkow hatte für seine Spirallochscheibe zehn Scheiben-Umdrehungen, d.h. zehn Bildabtastungen oder Bildwechsel (Bw) pro Sekunde vorgeschlagen. Erbe zog sich damit - wie de Paiva vor ihm - auf die Trägheit des Auges, das Lichteindrücke nur voneinander unterscheiden kann, wenn sie länger als V10 Sekunde dauern. Sind sie kürzer, entsteht der Eindruck einer fließenden Bewegung.

 

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Für Nipkow stammte seine „Generalidee des Fernsehens" mit der er die zweidimensionale Information eines Bildes mit einer einzigen Bewegung, der Rotation, in eine wie beim Telefon über Leitungen übertragbare, eindimensionale Information umwandelte, denn auch vom Telefon ab. Obwohl er seine Erfindung nie praktisch verwirklichte, waren in seinem Patent die drei Grundelemente aufgeführt, nach denen das Fernsehen auch heute noch arbeitet:

 

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1. Zerlegung des Bildes in Bildpunkte, die nacheinander übertragen werden.
2. Übertragung der Bildpunkte, in Zeilen so aneinandergereiht, daß sie eine Fläche ergeben; die Zeilen links oben beginnend und die letzte rechts unten endend.
3. Übertragung bewegter Vorgänge in Reihenbildern, d.h. es werden schnell genug so viele Bilder nacheinander wiedergegeben, daß die Vorgänge im Auge verschmelzen. 

 

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Nipkowscheibe zur Bildabtastung und - auflösung mit 24 Zeilen

 

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erregten weitere Vorschläge zu Fernseh-Einrichtungen die Fachwelt. „Originell" nennt später Denes von Mihäly das von Lazare Weiller 1889 zur Bildzerlegung vorgeschlagene „Phoroscope": „Er gebraucht eine Scheibe, an deren Umfang 500 kleine Spiegelchen angebracht sind, deren mit der Scheibenachse gebildeter Winkel vom rechten Winkel des ersten Spiegelchens an stufenmäßig immer spitzer wird. Auf die neben der Scheibe hinter einem Diaphragma befindliche Selenzelle fällt somit, je nachdem welches Spiegelchen das Bild hinprojiziert, immer ein anderer Höhenstreifen des Bildes. Zur Wiedergabe verwendet er eine Königsche Gasmembrane, welche elektrisch betätigt wird und welche die Lichtänderungen hinter einem Diaphragma ausführt. Die Verteilung der verschieden starken Lichtstrahlen in der Bildfläche bewirkt eine ebensolche Spiegelscheibe wie jene, welche die Zerlegung bei der Aufgabestation bewirkt." 

Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Diaphragma hat in diesem Fall die Bedeutung einer (veralteten) Blende in der Optik. Im Klartext bedeutet Mihäly's heute etwas umständlich klingende Erklärung folgendes: Weiller’s Spiegelrad trägt auf seinem äußeren Rand eine Vielzahl kleiner Spiegel mit stetig gegen die Achse geneigten Spiegelebenen. Fällt von einer Lichtquelle Licht, gebündelt durch eine Linse, auf einen der Spiegel, leitet dieser es auf das im Brennpunkt des Lichtstrahls stehende Bildobjekt. Durch die Drehung des Spiegelrades wandert der Lichtstrahl und bestreicht eine Zeile des Bildfeldes. Nach einer weiteren Drehung des Spiegelrades fällt der Lichtstrahl auf den folgenden Spiegel, dessen zurückgeworfener Strahl in das Bildfeld eintritt, wenn der erste es gerade verlassen hat. Er bestreicht also jetzt eine Bildzeile, die unmittelbar unter der ersten liegt. Bei einer vollen Umdrehung des Rades ist das gesamte Bildfeld nacheinander in einzelne Bildzeilen zerlegt und abgetastet worden.

Weiller's rotierendes Vielfach-Spiegelprisma war im Grunde eine Kombination der von Le Blanc und Nipkow gefundenen Lösungen zur virtuellen Rasterung des Bildfeldes. Sein optischer Wirkungsgrad war höher als der der Nipkowscheibe, weil durch die Abtastung mit Spiegelrad weniger Licht verloren ging; die Herstellung allerdings war schwieriger und sehr viel teurer. Dennoch sollte es rund 35 Jahre später für Fernseh-Zwecke eingesetzt werden. Die Entwicklung ging - immer noch auf dem Papier - stetig weiter. Im Katalog zur Pariser Weltausstellung 1900 führte der Russe Constantin Perskyi zum ersten Mal das Wort „Television" ein („Television au moyen de lelectricite"). Und Otto von Bronk meldete 1902 ein Patent für das Fernsehen farbiger Bilder an: Kommutierte Zellenraster, sequentielle Übertragung der drei Grundfarben und Wiedergabe der Bilder durch Geißlersche Röhren waren seine Kennzeichen.

  

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Spiegelrad nach Lazare Weiller

 

Übrigens bildet das von V. Bronk beschriebene Verfahren die prinzipielle Grundlage des Farbfernsehens, wie es in den USA entwickelt worden ist. Betriebsfähig waren diese und viele andere Vorschläge alle nicht. So konnte denn auch ein anerkannter Fachmann auf dem Gebiet der Bildtelegraphie, Arthur Korn, 1909 unwidersprochen urteilen: „Erfinder, die zur Zeit behaupten, sie könnten mit Hilfe einer einzigen Telephonleitung einen Kopf oder ein noch detailreicheres Bild in einem Bruchteil einer Sekunde in der Ferne sichtbar machen, sind nicht ernst zu nehmen, im besten Fall optimistische Schwärmer, die selbst von der technischen Ausführbarkeit ihrer Ideen überzeugt sind." 

 

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Fernsehbild in der Auflösung von 30 Zeilen

 

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Fernsehbild in der Auflösung von 96 Zeilen

   

3. Entwicklung des Fernsehens in Deutschland 

Korn sollte sich irren. Gerade dieser skeptische Arthur Korn war es nämlich, der durch seine Versuche und Erfolge auf dem Gebiet der Bildtelegraphie Anreize für weitere Forschung und Experimente auf dem Gebiet des Fernsehens schaffte: 1904 war es Korn gelungen, eine Fotografie von München nach Nürnberg zu übermitteln. Im April 1907 schaffte er die Strecke München - Berlin und im Jahre 1910 Berlin - Paris.

 

Denes von Mihäly und sein Telehor

Der ungarische Ingenieur Denes von Mihäly gibt in seinem 1923 erschienenen Buch „Das elektrische Fernsehen und das Telehor" an, daß diese bildtelegraphischen Versuche seine Aufmerksamkeit auf die Frage des Fernsehens gelenkt hätten: „Ohne praktische Erfahrung des Selens und ohne jede Kenntnis der bis dahin erfolgten Versuche, plante ich einen solchen Apparat, welcher dem von Senlecq ähnlich war." 

1914 begann Mihäly in Budapest mit dem Bau eines Apparates, den er „Telehor" (tele = in die Ferne, horän = schauen) nannte. Im 3. Anlauf soll es ihm 1919 gelungen sein, erste Fernsehbilder zu übertragen. Seine Bausteine waren die Selenzelle, ein oszillographisches Lichtrelais und ein um zwei Achsen schwingender Spiegel als Bildfeldzerleger. Auch wenn man damit nur sehr grobe Fernsehbilder einfachster Vorlagen hätte übertragen können, war Mihäly von dem eingeschlagenen Weg überzeugt: „Die Verwirklichung des hierzuletzt angegebenen Jelehor-Modells' in einer einzigen Zusammenstellung war bisher unmöglich, trotzdem jeder Bestandteil desselben vorhanden ist und jede einzelne Funktion derselben durch Versuche geprüft wurde und die Grenzmöglichkeiten mit größter Sorgfalt nachgeprüft wurden.

Die in Ungarn herrschenden ungeklärten wirtschaftlichen Zustände, die schwierigen finanziellen Verhältnisse, haben das Bauen des endgültigen Modells bisher vereitelt und inzwischen haben die bei der Gruppierung der Unterstützung der Versuche eingetretenen Änderungen den ruhigen Weiterlauf der Untersuchungen unmöglich gemacht. Daß aber die Zusammenstellung in der Hauptsache nur mechanische Arbeit erfordert und daß das regelmäßige Funktionieren der Vorrichtung sicher ist, darüber ist, glaube ich, jedermann überzeugt, der das Vorstehende aufmerksam durchgelesen hat und der über einige experimentelle Übung verfügt.

 

Denes von Mihaly

 

Nach dem heutigen Stand der Dinge ist es zu hoffen, daß die Fortsetzung der Versuche binnen Kurzem erfolgen kann und zwar diesmal in Berlin, was schon deshalb wichtig ist, weil ich die bisher mit Dank erhaltene Unterstützung der deutschen Technik unmittelbar in größerem Maßstabe genießen werde, und was in Ungarn große Schwierigkeiten verursachte das Anschaffen der nötigen Instrumente und Materialien ist dort viel leichter und rascher zu verwirklichen." 

 

Berlin - das Stichwort für die Entwicklung des Fernsehens in Deutschland ist gefallen.

Kamen die spekulativen Ideen des 19. Jahrhunderts vor allem von Erfindern und Bastlern, waren es nach dem 1. Weltkrieg, in dem zumindest in Europa die Forschungstätigkeit auf dem Gebiet des Fernsehens ruhte, die realistischen Industriefirmen mit ihren wissenschaftlich geschulten Ingenieuren, die die Entwicklung des Fernsehens vorantrieben. Und die saßen in Deutschland in Berlin - wie z. B. Siemens & Halske, AEG und beider Tochterfirma Telefunken.

Mihäly siedelte 1924 nach Berlin über, wurde beratender Ingenieur der AEG und machte sich danach selbständig. Von ihm wird später wieder die Rede sein. Telefunken sicherte sich einen Wissenschaftler, durch dessen Forschungsergebnisse und Experimente erstmalig auch der Staat Interesse an der neuen Optikzeigen sollte, August Karolus - er hatte nach einer Lehrerausbildung Physik und Elektrotechnik studiert. 1923 wurde ihm die Leitung der Abteilung für angewandte Elektrizitätslehre am Physikalischen Institut der Universität Leipzig übertragen. Hier glaubte er, seinen Jugendtraum verwirklichen zu können, nämlich eine Lösung für das Fernseh-Problem zu finden. Doch, wie vor jeder großen Tat, waren die Anfangsschwierigkeiten auch sehr groß: „Nachdem ich meinem Chef, Geheimrat Wiener, meine Ideen für die geplanten Fernsehversuche vorgetragen hatte, bestand dieser darauf, von Fachleuten Gutachten über meine Pläne einzuholen.

Die Gutachten verschiedener Professoren der Elektrotechnik und der Fernmeldetechnik waren vernichtend. Und so wurden mir zunächst weitere Fernseh-Versuche verboten. Erst als ich Herrn Geheimrat Wiener vorschlug, mit den gleichen Mitteln, mit denen ich Fernsehen aufbauen wollte, d.h. mit Alkali-Photozelle, Elektronenröhren und Kerrzellen, die Modulation eines Lichtstrahls mit einer Frequenz von 10 MHz vorzunehmen und damit die Lichtgeschwindigkeit nach der Methode von Fizeau auf dem Korridor des Leipziger Institutes zu messen, war Wiener zu einem Vergleich bereit. In wenigen Monaten war die erste Messung der Lichtgeschwindigkeit auf einer Strecke von 40 m abgeschlossen, und ich hatte freie Hand für die geplanten Fernseh-Experimente."

Warum seinen Fernseh-Plänen so viel grundlegende Skepsis entgegengebracht wurde, war auf die bis dahin unbefriedigende Lichtsteuerung auf der Empfängerseite zurückzuführen. Karolus wollte diese schwächste Stelle der bisherigen Fernsehprojekte als erster mit Hilfe der Kerrzelle lösen: John Kerr hatte 1875 entdeckt, daß polarisiertes Licht durch ein elektrostatisches Feld beeinflußt werden kann. Die Kerrzelle warein Gerät zur Umwandlung elektrischer Stromschwankungen in entsprechende Lichtschwankungen: Ein Lichtstrahl durchläuft zwei gekreuzte Nicolsche Prismen, die einen gewissen Abstand voneinander haben.

In diesem Zwischenraum wird ein elektrisches veränderliches Feld erzeugt, das die Polarisationsebene des Lichtes dreht (Kerr-Effekt), so daß der aus dem zweiten Prisma austretende Lichtstrahl entsprechende Intensitätsschwankungen erleidet. In ausführlichen wissenschaftlichen Untersuchungen nahm Karolus, unterstützt von seinen Assistenten llberg und Mittelstaedt, Messungen zur Frequenzabhängigkeit des Kerr-Effektes vor und entwickelte daraufhin die nach ihm benannte Karolus-Zelle, ein weitgehend trägheitsfreies Lichtsteuerelement. Am 21. Juni 1924 reichte er sein „Verfahren zur trägheitsfreien Steuerung der Helligkeit eines Lichtstrahlenbündels mit Hilfe des Kerr-Effektes, insbesondere für Fernbildübertragungen" unter der Nummer 471720 im Deutschen Reichs-Patentamt ein. Zu der Zeit bestanden schon hilfreiche Kontakte zu Telefunken.

 

Fernseh-Versuche von August Karolus in Leipzig

Brief von Fritz Schröter, der an den Experimenten des Leipziger Wissenschaftlers interessiert war: Am 4. Juni 1924

„Sehr geehrter Herr Dr. Karolus!

In der Anlage sende ich Ihnen meinen Entwurf zur Patentanmeldung Ihrer Lichtsteuerung mit der Bitte um Prüfung, Ergänzung und baldige Rücksendung, wie telephonisch verabredet. Ich habe mich in den Ausdrücken an manchen Stellen absichtlich unbestimmt gehalten, um spätere Erweiterungen der Beschreibung und damit des Umfanges des Schutzgegenstandes möglich zu machen. Über den Zweck und die Bedeutung der Anwendung inhomogener Felder auf S. 4, Reihe 10 ff, wäre evtl, schon jetzt Ihrerseits einiges nachzutragen.

Die Anmeldung betreffend kombinierten Empfänger folgt morgen oder übermorgen; sie ist wesentlich kürzer gehalten. Ich möchte Ihnen empfehlen, auf diesen Gegenstand neben der Patentanmeldung eine Eventual-Gebrauchsmusteranmeldung einzureichen. Ich bitte Sie, die beigelegte Kopie zu behalten, aber das Original sowie die Zeichnungen, von denen ich noch keine Kopie machen konnte und Sie deshalb bitten möchte, sich selber eine Kopie für Ihre Akten zu machen, direkt Herrn Patentanwalt Schmehlik, Berlin SW, Lankwitzstr. 2, per Einschreiben zuzusenden, mit der Bitte, Ihnen und mir je ein Exemplar der endgültigen Beschreibung und Ansprüche sowie Zeichnungen zuzusenden.

Hochachtungsvoll und mit vielen freundlichen Grüßen, Ihr Schröter."

 

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Der „Kleine Fernseher" von Karolus, 1924

 

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Der „Große Fernseher" von Karolus, 1924

 

Daß es zu diesen Telefunken-Kontakten gekommen war, lag an den schnellen Fortschritten, die Karolus in Leipzig erzielt hatte. Er hatte mit seinem Team, zu dem noch zwei weitere wissenschaftliche Mitarbeiter und stundenweise ein Mechaniker und ein Schreiner gekommen waren (die er im ersten Entwicklungsjahr alle aus eigener Tasche bezahlte), zwei gleichartige, aber unterschiedlich große Versuchsanlagen gebaut: Bei der „Großer Fernseher" genannten Anlage hatten die als Abtast- und Empfängerscheibe dienenden 2 Nipkowscheiben einen Durchmesser von einem Meter, bei der „Kleiner Fernseher" genannten Anlage von 50 cm. Entsprechend der beabsichtigten Zeilenzahl von 48 besaß sie 48 Löcher von je 1,5 mm Durchmesser. Zur Synchronisierung wurden Synchronmotore am Geber und Empfänger verwendet. Bei rascher Rotation der Scheiben konnten 10 Bildwechsel pro Sekunde, das waren ca. 30.000 Zeichen, vorgeführt werden. Die am Empfänger auf die Scheiben projizierten Objektbilder hatten Größen von 6 x 8 cm bei der großen und 3 x 4 cm bei der kleinen Anlage.

„Stark durchleuchtete Diapositive und die Schattenbilder von einfachen Gegenständen wurden durch die wandernden Löcher der Nipkow-Scheibe in Bildpunkte zerlegt. Auf der Empfangsseite wurde aus einer gleichmäßig beleuchteten Fläche durch das jeweils darüberlaufende Loch der Nipkow-Scheibe ein Bildpunkt herausgeblendet. Wurde die ganze leuchtende Fläche über die Karolus-Zelle vom Geber so gesteuert, daß der gerade gesehene Bildpunkt schwarz oder weiß erschien, so sah man ein Empfangsbild aus schwarzen und weißen Bildelementen (Schattenbild). Zum erstenmal konnte in Deutschland das Prinzip einer Fernsehübertragung gezeigt werden, denn echtes Fernsehen war es, wenn man das Diapositiv durch einfache Gegenstände ersetzte, beispielsweise eine Zange, die auf- und zugemacht wurde." Diese Zangen wurden Realität bei einer der ersten Demonstrationsvorführungen, zu denen Schröter Anfang 1924 nach Leipzig gefahren war: „Schräge Linien sahen aus wie Treppen, und das Öffnen und Schließen einer Flachzange produzierte im Empfänger den Eindruck eines schnappenden Krokodilrachens," beschrieb er später dieses Erlebnis.

 

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Schema einer Fernseh-Apparatur mit Nipkowscheibe

 

Auch Hans Bredow Staatssekretär im Reichspostministerium und seit Oktober 1923 mit der Einführung des Hörfunks in Deutschland beschäftigt, hatte sich bei Karolus für dessen Arbeit interessiert. Er war davon ganz offensichtlich tief beeindruckt, denn bei der Eröffnung des Rundfunksenders Königsberg am 14. Juni 1924 hatte er Visionen, was einmal neben sein geliebtes Radio treten könne: „Wenn bislang das Ohr der Vermittler ist, so wird es die Technik in kurzer Zeit dahin gebracht haben, daß auch das gedruckte Wort auf diesem Wege übermittelt werden kann. In absehbarer Zeit werden wir auch die Bewegungen der Darsteller als Bilder auf beliebige Entfernungen übertragen können. Die Möglichkeit, seine eigene Zeitung und seinen Kinematographen im Hause haben zu können, ist für die Weiterentwicklung der Menschheit von geradezu ungeheurem Wert." 

Karolus hatte indessen handfeste finanzielle Probleme. Nach Fertigstellung seiner Versuchsanlagen und den ersten erfolgreichen Demonstrationsvorführungen konnte die Weiterentwicklung seiner Forschungsergebnisse nicht mehr allein in der Werkstatt seines Leipziger Institutes stattfinden. Er brauchte eine Firma der Nachrichtentechnik, die den technischen Ausbau der Apparate übernahm und in Zusammenarbeit mit Karolus weitere Mittel in die Forschung investierte. Die Kontakte zu Telefunken waren inzwischen enger geworden, ohne daß jedoch Karolus bisher reale Vorteile davon hatte. Schröter leitete dies in die Wege:

 

Brief von Schröter an Karolus: Berlin SW, I. Juli 1924, Hallesches Ufer 12

„Lieber Herr Doktor Karolus!

Telefunken erwägt zur Zeit, in welcher Form man die verschiedenen, uns angebotenen Schutzrechte, darunter auch Ihre Erfindung, zusammenfassen und auswerten könnte. Graf Areo nimmt an diesen Dingen persönlich ein hohes Interesse, und ich möchte Ihnen daher nahelegen, ihn zu einer Besichtigung nach Leipzig einzuladen, sobald Sie mit Ihren Apparaturen genügend weit gekommen zu sein glauben. In erster Linie kommt es darauf an, daß Sie Graf Arco die Trägheitslosigkeit des Effektes zeigen. Dies würde bewiesen werden durch die Möglichkeit der Hochfrequenzverstärkung, etwa dergestalt, daß man eine Lichttelephonie mit hochfrequenter Trägerwelle zeigt, bei welcher der zwischen Sender und Empfänger durch Lichtschwächung hergestellte Lichtverlust durch die Hochfrequenzverstärkung wieder eingebracht wird. Sollte es Ihnen daneben schon möglich sein, einen Schallfilm vorzuführen, so würde dadurch das Interesse Telefunkens noch erheblich gesteigert werden, denn ich glaube, daß man hier jetzt großen Wert darauf legt, die gesamten Anwendungen Ihres Patentes zu erfassen. Ich selbst stehe nach reiflicher Überlegung in Ihrem Interesse nunmehrauch auf dem Standpunkt, daß nur eine ungeteilte Vergebung Ihrer Rechte in Frage kommt.
Mit besten Grüßen verbleibe ich Ihr sehr ergebener Schröter."

Georg Graf von Arco, in seiner Jugend Assistent von Adolf Slaby, Erfinder, Ingenieur und Wissenschaftler, war Vorstandsmitglied der Telefunken-Gesellschaft und außerdem noch ihr technischer Direktor. Die entscheidende Vorführung für diesen mächtigen Mann der Firma fand im August 1924 statt. „Schriftliche Unterlagen hierüber sind nicht vorhanden, aber die mündliche Überlieferung berichtet, daß es ein voller Erfolg war. Als der wortkarge Graf Arco das erste bewegte Bild mit 48 Bildzeilen sah, soll er zunächst nur sprachlos die Hände gerungen und dann nur gesagt haben ,Donnerwetter'. Es wird gesagt, daß er dabei einen Luftsprung ausgeführt habe." 

 

Zusammenarbeit mit Telefunken

Die Zusammenarbeit begann. Ab Oktober 1924 erhielt Karolus von Telefunken monatlich 500 Goldmark Zuschuß für seine Experimente, und die Firma stellte ihm Instrumente zur Erprobung zur Verfügung wie z.B. Photozellen, die immer noch das schwächste Glied in seinen Apparaturen waren. Am 3. Februar 1925 wurde ein sog. General-Lizenzvertrag zwischen Karolus und Telefunken unterzeichnet, der den Erwerb der Erfindungen von Karolus für die ganze Welt vorsah, mit Ausnahme der USA, Frankreich und Großbritannien. Die Rechte für diese Länder erwarb die „ENADI" (Electricitäts-Werk-Nachrichtendienst AG), der Prinz Reuss vorsaß, ein Studienfreund und der juristische Bevollmächtigte von Karolus. Beide Firmen zahlten ihm eine einmalige Abfindung für sein Kerr-Patent und verpflichteten sich zu einer wirtschaftlichen Verwertung seiner Erfindungen. Darüber hinaus erhöhte Telefunken den monatlichen Zuschuß.

 

Brief von Schapira: Berlin SW II, 3. Februar 1925 „Herrn Dr. Karolus, Leipzig, Linnestr. 5

Im Anschluß an den heute mit Ihnen geschlossenen Vertrag bestätigen wir Ihnen, daß wir bereit sind, Ihnen für die Dauer eines Jahres, gerechnet ab 1. Februar 1925, einen Zuschuß zu Ihren Arbeiten gemäß § 1 des Vertrages zu gewähren, und zwar in Höhe von M 2.000,- (Mark Zweitausend) pro Monat, zahlbar postnumerando. Von diesen Mark 2.000 ist die Hälfte auf die Ihnen It. §3 zu zahlenden Lizenzen später zu verrechnen, während der Rest nicht rückzahlbar an Sie gezahlt wird. Wir haben uns spätestens 2 Monate vor Ablauf der obigen Frist darüber zu entscheiden, ob wir diesen oder einen anderen Zuschuß für eine weitere Zeit zahlen wollen. Fällt die Entscheidung dahin aus, daß ein Zuschuß durch Telefunken nicht mehr gezahlt wird, so entfällt auch für Sie die Verpflichtung, nach Ablauf des ersten Jahres weitere Aufwendungen zur Entwicklung der Erfindung zu machen.
Hochachtungsvoll
Telefunken, Schapira (Vorstandsmitglied von Telefunken - Schröter" 

 

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Zeitungsartikel vom 23. Oktober 1925

 

Damit war Karolus der erste Erfinder auf dem Gebiet des Fernsehens, der seine Patente nicht nur realisieren konnte, sondern, gekoppelt an ein finanzstarkes Industrie-Unternehmen, auch relativ sorgenfrei weiteren Forschungen nachgehen konnte. Und nicht nur das. Ende 1925 fuhr er für mehrere Wochen in die USA, um mit der RCA (Radio Corporation of America), der größten US-Firma auf dem Gebiet der Nachrichtentechnik, über einen Lizenzvertrag für seine Patente zu verhandeln. Dieser Vertrag kam 1927 zustande; er wurde erst 1939 bei Kriegsbeginn aufgehoben. Zurück in Leipzig, ging Karolus daran, die Bildqualität seines Fernsehers zu verbessern, indem er statt 48 die doppelte Zeilenzahl, nämlich 96 Bildzeilen abtasten wollte. Bei gleichbleibender Größe der Löcher in der Nipkowscheibe hätte diese auf den Umfang eines riesigen Wagenrades vergrößert werden müssen, für deren Rotation entsprechend große Leistungen nötig gewesen wären. Das aber war mit den zur Verfügung stehenden Synchronmotoren nicht zu schaffen.

 

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Mehrfach-Lochspirale

 

Der Kollege Nipkows entschloß sich daher, die Nipkowscheibe konsequent weiterzuentwickeln: Statt mit einer einzigen Lochspirale stattete er die neuen Zerlegerscheiben mit 4 Reihen von Lochspiralen mit je 24 Löchern (= 96 Zeilen) aus. Obwohl sich durch die trotzdem notwendig gewordene Verkleinerung der Löcher die Lichtverluste entsprechend vergrößerten, war die Bildwirkung „recht befriedigend", wie Schröter in seinem 1932 von ihm herausgegebenen „Handbuch der Bildtelegraphie und des Fernsehens" schrieb.

Für Karolus nicht befriedigend genug. Um größere Helligkeitswerte zu erhalten, begann er ab 1927, seine Bilder mit Hilfe von Weillerschen Spiegelrädern zu zerlegen. „Die untereinander gleichen, ebenen Spiegel bildeten kein regelmäßiges Polygon, sondern waren fortlaufend von Spiegel zu Spiegel um einen Winkel gegen den vorhergehenden geneigt, so daß gleichmäßig eine Längs- und eine Querzerlegung der Vorlage stattfand. Bei jeder Umdrehung des Rades verlief die Bildzeile nicht in ein- und derselben Linie, sondern die Zeilen schlossen sich in parallelen Nachbarbahnen lückenlos aneinander an, und bei jeder Radumdrehung wurde das ganze Bild einmal vollständig zerlegt. Die Drehzahl des Rades war gleich der Bildwechselfrequenz." 

Mit Hilfe dieser Spiegelräder, die mit 48 Spiegeln ausgerüstet waren, d.h. 48 Bildzeilen abtasteten, konnte er den optischen Wirkungsgrad seines Fernsehers deutlich steigern. Die Überlegenheit des Spiegelrades gegenüber der Nipkowscheibe galt nicht nur für die Geberseite eines Fernseh-Apparates als Bildzerlegungsmechanismus, d.h. Verteiler eines wandernden Lichtpunktes, sondern auch als Fernbild-Projektor auf der Empfangsseite: Er erhielt hier mehr als das 100 fache an Lichtstrom, so daß er Bilder von 1 qm Größe produzieren konnte. Die Herstellung eines Spiegelrades war jedoch erheblich komplizierter und deshalb auch teurer als die einer Nipkowscheibe, weshalb Karolus versucht hat, die Glas-Spiegel durch billigere Metall-Spiegel zu ersetzen,- doch fand sich dafür keine Herstellerfirma.

Obwohl er stetig Verbesserungen erzielte, hielt Karolus die Zeit noch nicht gekommen, sein Fernseh-System der Öffentlichkeit vorzuführen. Anders der schottische Erfinder John Logie Baird, der in Großbritannien ständig von sich reden machte. 1924 war es ihm erstmalig gelungen, das Schattenbild eines Kreuzes mit Hilfe zweier Nipkowscheiben zu übertragen. Im April 1925 gab der Besitzer des Londoner Warenhauses Selfridge dem ewig in Geldnöten steckenden Baird Gelegenheit, seine noch sehr unvollkommenen Apparaturen für 25 Pfund in der Woche dreimal täglich in der Radioabteilung vorzustellen. Das gab dem von seiner Idee besessenen, zudem noch schwerkranken Erfinder die finanzielle Basis für weitere Versuche.

Berühmt wurde sein erstes Fernseh-Modell, die Bauchrednerpuppe Bill, die er statt eines Menschen vor seine Abtastvorrichtung setzte, weil ein Mensch die Hitze des Lichtes während der langwierigen Experimente nicht ausgehalten hätte. Auch Bill soll am Ende völlig verschlissen und nur ein Schatten seiner selbst vor der rotierenden Nipkowscheibe gesessen haben. Baird gründete eine Firma, die Baird Television Development Company, und verblüffte die Öffentlichkeit immer wieder mit neuen spektakulären Demonstrationen: 1927 sandte er Fernsehbilder auf einer Fernsprechleitung nach Glasgow, 1928 nach New York. Im selben Jahr zeigte er auch schon Fernsehen in Farbe: Er stattete zwei Nipkowscheiben, für 17 Zeilen bei 10 Bw/sec ausgerüstet, mit je drei Lochspiralen aus. Die eine der Spiralen war mit roten, die zweite mit blauen und die dritte mit grünen Farbfiltern bedeckt. Beim Abtasten wurden jede der drei Grundfarben des zu übertragenen Objektes für sich aufgenommen. „Die durch die Filter hindurchgegangenen Lichtstrahlen fallen in üblicher Weise auf Fotozellen. Die Lichtwerte werden wie beim Schwarz-Weiß-Verfahren in Stromimpulse umgesetzt. Die Übertragung dieser Stromimpulse erfolgt genau wie immer. Für jede Farbe ist eine besondere Welle oder Leitung nötig.

Nach geschehener Übertragung ist es nötig, die drei Bilder im Empfänger zu mischen. Das erfolgt in ziemlich einfacher Weise dadurch, daß man anstatt — wie beim Fernsehen schwarz-weißer Bilder - nur eine Lampe deren drei zur Verwendung bringt. Jede dieser drei Lampen entspricht einem anderen Grundton. Für die Farbe Rot wird eine Neonlampe verwendet, die rötliches Licht ausstrahlt. Eine zweite Lampe ist mit einem Gemisch von Helium und Spuren anderer Edelgase gefüllt. Sie gibt das gelblich-grüne Licht. Als dritte Lampe arbeitet eine Quecksilberlampe, die bläuliches Licht gibt. Die Mischung der von den drei Lampen ausgehenden Farbtöne erfolgt in der Schauöffnung des Empfängers. Flier entstehen die Mischfarben, hier entsteht das farbige Bild." 

 

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Schema: Bildgeber mit Spiegelrad

 

John Logie Baird und seine Bauchrednerpuppe Bill

Die Öffentlichkeit war von seinen Ideen begeistert, die staatliche Rundfunkgesellschaft BBC stand jedoch seinen Plänen, über das Hörfunk-Frequenzband von 9 kHz Fernsehen auszustrahlen, sehr zurückhaltend gegenüber. Obwohl er am 5. März 1929 eine Testsendung mit 30 Zeilen bei 12,5 Bw/sec durchführte, blieb die BBC abweisend. Im Mai 1929 sollte Baird in Berlin Gelegenheit bekommen, seinen Plan zu realisieren.

Hier war in derZwischenzeit einiges passiert. Der rührige und ähnlich wie Baird auf Werbewirksamkeit bedachte Mihäly hatte dank seines propagandistischen Geschicks die Frage des Fernsehens in Deutschland ins Rollen gebracht" , wie er es selbst formulierte, d.h. er hatte es verstanden, zwei wichtige Männer der Deutschen Reichspost für seine Pläne zu interessieren: Fritz Banneitz, Oberpostrat im Reichspostzentralamt (RPZ), und August Kruckow, den späteren Präsidenten des Telegraphentechnischen Reichsamtes (Trotz des öffentlich bekundeten Interesses von Staatssekretär Bredow lehnte das Reichspostministerium (RPM) in den Jahren 1924/25 „jede Entwicklungstätigkeit auf dem Gebiet des scheinbar unrentablen Fernsehens scharf ab." 

 

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Schema: Bildempfänger mit Spiegelrad

 

Die Post sah zu dieser Zeit noch die Fernseh-Versuche als technische Liebhaberei an mit dem einzigen Ziel, den Hörfunk um ein Bild zu beleben. Banneitz, der erstmals Anfang 1925 mit Mihäly zusammentraf, war jedoch trotz der öffentlichen Haltung seines Ministeriums sehr wohl interessiert, und noch im selben Jahr begann eine intensive und jahrelange Zusammenarbeit zwischen Mihäly und dem Laboratorium von Banneitz im TRA.

Bis 1926 war die Entwicklung des Fernsehens in Deutschland Privatsache. Gegen Ende dieses Jahres begann sich auch die Post, ein staatliches Organ also, offiziell für die neue optische Übertragungstechnik zu interessieren. Banneitz erhielt den Auftrag, „sich in Zukunft auch mit Fernsehen zu beschäftigen, um über den Entwicklungsstand auf dem laufenden zu bleiben und durch Anregungen und regelmäßige Übertragungen den Fortschritt zu fördern." (28) Auch die Zusammenarbeit von Karolus und Telefunken wurde enger. Hauptsächlich beschäftigten sich beide Partner in den Jahren 1926/27 mit den Problemen der Bildtelegraphie, wobei es darum ging, Übertragungen mit höheren Leistungen als bei den bisher üblichen Bildtelegraphie-Geräten nach auswärtigen Stationen zu erzielen. Hierfür stand im Februar 1926 ein drahtloser Bildsender im Telefunken-Laboratorium in Berlin-Tempelhof, der mit einer Hochfrequenzleistung von 1 kW die Bildzeichen nach Leipzig ausstrahlte, wo sie im Labor von Karolus empfangen wurden. Im März/April 1926 wurde erfolgreich die weitere Strecke Berlin-Wien getestet; 1927 wurden Versuche für den Bild-Verkehr nach Moskau unternommen, 1928 nach London und Tokio. Für Karolus war die intensive Entwicklung der Bildtelegraphie-Geräte immer nur die Vorstufe zum Fernsehen, dessen Entwicklung sein Hauptinteresse galt.

 

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„Da die Ubertragungsmittel für beide Gebiete damals die gleichen waren, hatte man an Hand der langsameren Apparaturen für die Bildübertragung alle zu einem Fernseh-Gerät gehörenden Elemente studieren und verbessern können; auch aus diesem Grunde war bei Karolus und bei Telefunken immer ein so großer Wert auf die Entwicklung einer schnellen Bildübertragung gelegt worden." 

1928 erhielt Karolus von Telefunken freie Hand, sich hauptsächlich mit Fernsehen zu beschäftigen. „Der am 10. Mai 1928 abgeschlossene, sogenannte erste Fernseh-Vertrag berechtigte Telefunken, alle Rechte und Erfahrungen sowie die zukünftigen Erfindungen von Karolus auf dem Gebiet des elektrischen Fernsehens für die ganze Welt, mit Ausnahme der USA und Kanada, auf den Namen von Karolus anzumelden. Als Lizenzgebühren wurden 5 % der Netto-Verkaufspreise für Sender und Empfänger festgesetzt. In einem Zusatzabkommen vom gleichen Tag wurden die lizenzpflichtigen Teile der Apparaturen im Detail aufgeführt. Als Vertragsbeginn wurde der I. April 1928 vorgesehen, für eine Vertragsdauer von fünf Jahren. Danach stand Telefunken das Recht zu, den Vertrag mit einer dreimonatigen Frist zu kündigen." 

Mihäly hatte in Berlin inzwischen die Telehor AG gegründet, die erste Firma in Deutschland, die sich ausschließlich mit Fernsehen beschäftigte. Einen Geldgeber hatte er in dem Weingroßhändler Paul Kressmann gefunden, der sich von der Auswertung der Patente Mihälys das schnelle und ganz große Geld versprach: In den Jahren 1927 - 1929 steckte er deshalb 900.000 Reichsmark in das Unternehmen. Das große Geld, in diesen wenigen Jahren schnell zur Antriebsfeder der Fernseh-Experimente geworden, blieb aus, dafür stellten sich aber erste technische Erfolge ein: Im Februar 1928 gelang es Mihäly, über eine von der Post zur Verfügung gestellte Telefonleitung ein Diapositiv von Berlin-Wilmersdorf zum TRA in Tempelhof zu übertragen.

Als Bildzerleger benutzte er Nipkowscheiben, die 30 Zeilen bei 10 Bildwechseln/sec lieferten. Noch waren Telefonleitungen das Vehikel, Fernsehbilder zu befördern. Die Überlegung, das vorhandene System der Telefonleitungen auszunutzen, lag auch nahe: Erstens bedurfte es keiner zusätzlichen kostenintensiven Investition; und zweitens wurde ganz logisch gedacht, Bilder genauso wie Worte per Draht zu übertragen. Die Literatur war da schon weiter. Eines der ersten Bücher, das sich mit Fernsehen beschäftigte, gab folgende Definition: „Unter elektrischem Fernsehen versteht man die instantane Sichtbarmachung eines Bildes an einer entfernten Station mit Hilfe der Telegraphie, sei es durch Drahtleitung oder auf drahtlosem Wege." 

 

11. Mai 1928: erste Fernsehübertragung in Berlin

Doch an das drahtlose Fernsehen wagte man sich noch nicht heran. Mihäly brauchte zwei Telefonleitungen, die ihm die Post zur Verfügung stellte, um am 11. Mai 1928 endlich ins Licht der Offentlichkeit zu rücken. Diese Leitungen - eine für die Synchronisierimpulse - verbanden über eine Strecke von etwa 2,5 km sein Laboratorium in der Wilmersdorfer Hildegardstraße und das Privathaus seines Mäzens Kressmann in der Hardenbergstraße am Bahnhof Zoo.

 

Albert Einstein, Physiker und Nobelpreisträger

Albert Einstein hält die Eröffnungsrede der Internationale Funkausstellung in Berlin, Funkturm, 1930

 

Der rührige Erfinder hatte zur „ersten wirklichen Demonstration des elektrischen Fernsehens" rund 50 auserwählte Gäste aus den Bereichen Post, Industrie und Presse geladen, unter ihnen auch Graf Arco von Telefunken und August Kruckow vom TRA. Bei dieser Vorführung benutzte Mihäly zwei Nipkowscheiben, die 600 mal in der Minute rotierten und 30 Zeilen abtasteten bzw. schrieben. Die übertragenen Schattenbilder und Diapositive - eins war z.B. das Porträt der Filmschauspielerin Pola Negri - hatten eine Größe von 4 cm x 4 cm und mußten mit der Lupe einzeln angesehen werden. Bilder, eher mit dem Betrachten von Briefmarken vergleichbar. Damals kam sicher niemand auf die Idee, daß das Fernsehen einmal in heftige Konkurrenz zum Kino treten würde. Um die Illusion eines bewegten Bildes zu erwecken, hatte Mihäly zudem noch einen Trick angewandt: „Die Unvollkommenheit in der Bildwiedergabe, die bei ruhendem Bild sehr störte, verschwand scheinbar, wenn das Diapositiv bewegt wurde. Deshalb baute Mihäly in den Bildabtaster ein kleines Uhrwerk ein, das die stehenden Bilder langsam hin- und herbewegte. Immer wenn das Uhrwerk abgelaufen war, mußte ein Mann zum Bildabtaster stürzen und Pola Negri so lange bewegen, bis die Feder wieder aufgezogen war." 

 

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Dennoch war das Echo positiv. Einer der anwesenden Journalisten, Albert Neuburger, beschrieb seine Eindrücke in der „BZ am Mittag" vom 25. Mai 1928: „Vorerst erscheint die Scheibe von rötlichem, flimmernden Licht erfüllt. Dann werden nacheinander verschiedene Gegenstände in den Sender gehalten: Buchstaben, die auf Glasscheiben aufgezeichnet sind, Zeichnungen verschiedener Art, darunter Porträts, gleichfalls auf Glasscheiben, feste Gegenstände, eine Zange, die sich öffnet und schließt, eine Brille usw. Sofort erscheinen auf der Mattscheibe des Empfängers diese Gegenstände. Sie sind klar und deutlich zu erkennen. Jede Bewegung der Hand, das Umdrehen der Buchstaben, das Hin- und Herbewegen, Öffnen und Schließen, alles erscheint sofort und in überraschender Deutlichkeit. Bei der Brille besonders bemerkenswert die Zwischentöne und die Lichter am Glasrand. So ergibt sich auf der Mattscheibe Bild um Bild. Es kann kein Zweifel mehr sein, daß die Frage des Fernsehens ihre Lösung gefunden hat. Es werden noch mancherlei Fragen zu bearbeiten und zu lösen sein, ehe wir das Fernsehen in unserem Hause genießen können: Die Frage des Abtastens größerer Flächen, das Abtasten im auffallenden Licht usw. Aber ein bemerkenswerter Erfolg ist erzielt, eine Grundlage ist gegeben, auf der sich weiter bauen läßt." 

Nicht einmal vier Monate nach dieser Vorführung im kleinsten Kreis sollte die deutsche Öffentlichkeit zum ersten Mal fernsehen. Die „5. Große Deutsche Funkausstellung Berlin 1928" (31.8. - 9.9.1928) warf ihre Schatten voraus. Bis dahin hatte diese Messe, die seit 1924 alljährlich in den neuerbauten Berliner Messehallen stattfand, dem Radio, d.h. dem Hörfunk gegolten. 1928 sollte nun auch der Entwicklungsstand auf dem Gebiet des Fernsehens vorgestellt werden.

Telefunken war daran gelegen, die Leistungen des mittlerweile zum Professor ernannten Karolus bei seinen Fernseh-Forschungen den Ergebnissen des Auslandes (vor allem Großbritannien und USA) gegenüberzustellen, weshalb Karolus seine Zurückhaltung gegenüber öffentlichen Vorführungen aufgab. Er entschloß sich, „seinen bisher nur Fachleuten intern gezeigten Fernkino-Apparat mit 96-Zeilen-Bildern zu demonstrieren. Als Vorlagen dienten Diapositive und Kinofilme. Mit Hilfe des Mechau-Projektors konnten die letzteren nur in einer Koordinate abgetastet werden. Die Bildzerlegung geschah mit den Vierfach-Spiralscheiben; das Verfahren zur zyklischen Ausblendung der einzelnen Spiralgänge hatte Karolus inzwischen verbessern können. Anstelle einer zweiten Scheibe verwendete er eine langsam laufende Schlitztrommel mit als Grobblenden dienenden Ausschnitten. Quer zur Vierfach-Spirale stehend, wurde dem Inneren der Trommel das gesteuerte Licht aus der seitlich angeordneten Kerr-Optik zugeführt. Ein unter -45° gegen die Scheibe geneigter Spiegel warf die Lichtstrahlen durch den im Bildfeld wandernden Schlitz auf den jeweils richtigen Lochgang. Da der Schlitz immer nur einen schmalen Lichtstreifen freigab, waren die anderen Löcher abgeblendet, und es fiel stets nur der Lichtstrom eines einzigen Loches der Vierfach-Scheibe auf den Bildschirm." Die Vorbereitungen waren seit Juni im Gange, eine für heutige Funkausstellungen unvorstellbar kurze Zeit. 

 

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Werbung für die Funkausstellung 1928

 

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Brief von Schröter: „Lieber Karolus, 24. Juni 1928

Wegen der Fernkino-Vorführung in der Funkausstellung im September habe ich mit der Rundfunk-Abteilung Vorbesprechungen gehabt. Auf dem Telefunken-Stande soll die Empfänger-Kabine eingerichtet werden, oben auf der Galerie die Sendekabine. Es soll möglichst so vorgeführt werden, daß man den Film, der am Sender abgetastet wird, gleichzeitig durch Projektion auf eine Tageslicht-Leinwand wirft. Kommt auch direktes Fernsehen in Frage, so wird man ein schönes Mädchen an den Sender setzen und vom Empfänger aus auffordern, Grimassen zu schneiden.
Viele Grüße, Ihr Schröter" 

 

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August Karolus mit Spiegelrad für 96 Zeilen, Funkausstellung 1928

 

Funkausstellung 1928: erste öffentliche Fernsehdemonstration

Die Grimassen schneidende Schöne - im Gegensatz zu Englands erstem Fernseh-Modell, der Bauchrednerpuppe Bill, konnte man sich in Deutschland auch 1928 als Demonstrationsobjekt nur hübsche Frauengesichter vorstellen - kam dann während der Funkausstellung nicht zur Geltung, auch gliederte sich der Stand nicht in zwei Etagen, wie Schröter vorgeschlagen hatte. Sondern „er war so angelegt, daß das Publikum an dem durch eine Glaswand abgeschlossenen Sender des Femkinos und des Gleichlaufkinos vorbeigeführt wurde und danach den Fernseher im Betrieb betrachten konnte. In einem verdunkelten Gang schloß sich dann ein Einblick in den Empfangsraum mit dem Spiegelrad-Projektor an." 

Das Empfangsbild der Nipkowscheiben-Anlage von Karolus hatte eine Größe von 8 x 10 cm mit einer Auflösung in 10.000 Bildpunkte. Das war schon eine Bildgröße, die von mehreren Personen gleichzeitig betrachtet werden konnte. Der in der vorigen Quelle zitierte Spiegelrad-Projektor diente zur Erzielung der „Projektion auf eine Tageslicht-Leinwand", die Schröter in seinem Brief vom 24. Juni 1928 erwähnt. Dieses Projektionsbild hatte die beachtliche Größe von 25 x 75 cm. Die Sendeseite dieser zweiten Apparatur war identisch mit der, die das 8 x 10 cm große Bild lieferte. Auf der Empfänger-Seite hatte Karolus aber die Spiral-Lochscheibe durch ein Weillersches Spiegelrad mit 96 Spiegeln ersetzt, das einen Durchmesser von 80 cm hatte. Das von einer Hochleistungs-Kerrzelle modulierte Licht wurde über dieses Spiegelrad auf die Leinwand reflektiert. Für die Fachwelt war dieses lichtstarke und feingerasterte Telefunken-Karolus-System die Sensation. Für die Ausstellungsbesucher eher das, was gleich nebenan in der Halle zu sehen war, der Telehor von Mihäly.

 

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Denes v. Mihäly und sein Telehor, Funkausstellung 1928

 

Auf Veranlassung Kruckows, der von den Vorführungen Mihalys im Mai stark beeindruckt war, hatte sich die Post entschlossen, seine bei der damaligen Demonstration verwendete Apparatur auf dem Stand der Reichspost vorzuführen. Mit einer Auflösung in nur 900 Bildpunkte und der wiederum nur mit Lupe zu betrachtenden Bildgröße von 4 x 4 cm fiel der Telehor genannte Empfänger gegen das Telefunken-Karolus-System deutlich ab. Trotzdem stauten sich die Zuschauer vor dem mit Schranken gesicherten Dunkelzelt, in dem die Anlage aufgebaut war.

 

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Zuschauer vor dem Telehor

 

Diese erstaunliche Reaktion des Publikums ist sicher mit der unterschiedlichen Strategie zu erklären, die beide Systeme vertraten. Telefunken machte garkein Hehl daraus, daß die ausgestellten Apparaturen unverkäufliche Prototypen waren, da man noch nicht so weit war, eine Serie zu erschwinglichen Preisen herzustellen. Anders Mihäly. Er wollte mit seiner Telehor AG Umsatz machen, Herr Kressmann durch den Serienverkauf seine investierten Forschungsgelder amortisieren. Mihäly verstand es, durch geschickte Pressevorführungen das Publikum Glauben zu machen, das Fernsehen wäre bald - wie der fünf Jahre alte Hörfunk - allgemeine Wohnzimmerrealität.

Walter Bruch, Anfang der 30er Jahre noch Assistent von Mihäly, in den 60er Jahren erfolgreich bei der Entwicklung des PAL-Farbfernseh-Systems, geht in seiner Kritik an den verfrühten Prophezeiungen Mihälys noch weiter, indem er Jahre später unter der Überschrift „In Berlin suggeriert ein Erfinder den ,Volksfemseher'" schreibt: „Mihäly hatte das Interesse des kleinen Mannes angesprochen, ihm suggerierend, daß in absehbarer Zeit für etwa 100 Mark Fernsehgeräte zum Anschluß an das Rundfunkgerät zur Verfügung stehen sollten. Mihälys Geschick für Publizistik hat das Fernsehen in die Tagespresse gebracht." 

 

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Originalgröße der Empfangsbilder: Mihäly 4 x 4 cm, 30 Zeilen

 

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Karolus, 8 x 10 cm, 96 Zeilen


In der Tat. Albert Neuburger schrieb in der „BZ am Mittag" vom 1. September 1928: „Neues, noch nie Dagewesenes bahnt sich an. Das Fernsehen! Der große Apparat des Dr. Karolus, der die Bilder auf eine Fläche von 75 Zentimetern im Quadrat wirft. Dort der Fernseher von Mihäly in mehrfacher Ausführung. Eine kleine Einrichtung für den Fiausgebrauch, ähnlich der, die wir vielleicht schon in Bälde mit unserem Rundfunkempfänger verbinden werden. Tonfilm, Rundfunk und Fernsehen werden vielleicht früher, als wir es selbst zu hoffen wagen, eine Einheit sein. Dann bringt uns der Rundfunk das sprechende, singende, das von Musik begleitete lebende Bild auf den Wellen des Äthers ins Haus. Es zeigt uns die Wasserfälle des Niagaras und läßt uns ihren Ton hören. Er führt uns durch die Stätten der Weltindustrie und übermittelt uns in gleichzeitigem Geschehen ihre Melodien." Und in der Deutschen Tageszeitung vom 24. Februar 1929 hieß es: „Wie sich jeder überzeugen konnte, war das an sich vorzüglich ausgearbeitete System Karolus zu kostspielig und umständlich für den Hausgebrauch. In richtiger Erkenntnis der praktischen Notwendigkeiten hatte von Mihäly von Anfang an bei seinen Konstruktionen auf größte Einfachheit und Billigkeit gesehen, selbst auf Kosten der Bildschärfe, so entstand ein richtiger Volksapparat, der in seiner heutigen Vollendung den ersten Anforderungen vollauf genügen dürfte. Die Leistungen sollen, wie wir hören, den ausländischen Systemen im allgemeinen nicht nur entsprechen, sondern sie in manchem, besonders in der Einfachheit und Zuverlässigkeit der Bedienung erheblich übertreffen." 

„Die erste Fernsehbühne (in Schenectady bei New York). Diese Bühne zeigt außer Mikrophonen drei Fernseh-Kameras. Da man noch nicht ganze Figuren aufnehmen konnte, wählte man das Verfahren der Groß- und Einzelaufnahmen (Kopfbilder, Spielmomente wie Zigarren-Anzünden und Revolver-Ergreifen). Hierzu benötigte man drei Kameras."

 

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Szenenfoto zu „Der Bote der Königin" in: Funkstunde Nr. 52/21. Dezember 1928

 

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Man sieht, die Begriffe sind noch nicht gefunden: Mit dem „wandernden Fernseher" ist der Teil der Anlage gemeint, für den man später den Begriff Kamera fand. Und das „Fernseh-Hörbild" ist eine Wortschöpfung, die es eigentlich gar nicht gibt. Doch auch in Deutschland ging es weiter. Sehr verdient um die Fortschritte machte sich die Post, die der Rundfunk-Historiker Gerhart Goebel lobt: „Der Deutschen Reichspost gebührt das Verdienst, daß sie sich als erste Fernmelde-Hoheitsbehörde der Welt - unbeschwert von bürokratischen Bedenken - vorbehaltlos zum Fernsehen bekannt hat." 

Nach der Funkausstellung hatte das Fernseh-Referat von Banneitz im Herbst 1928 begonnen, die Fernseh-Forschung zu intensivieren und eigene Apparaturen zu entwickeln. „Die ersten Nipkow-Scheiben für 15, dann für 30 Zeilen wurden noch aus schwarzer Pappe geschnitten. Die Löcher mußten mit einer vierkantig geschliffenen glühenden Nadel ausgebrannt werden. Anfang 1929 stellte man die Scheiben aus Membranblech her und stanzte die Löcher auf einer mit Teilkopf versehenen Drehbank mit einer Schuster-Ösenpresse aus. Als modulierbare Lichtquelle diente anfangs eine gewöhnliche Bienenkorb-, später eine Flächen-Glimmlampe. Mangels jeglicher Unterlagen mußte man nach den technischen Angaben der Nipkowschen Patentschrift aus dem Jahre 1884 arbeiten."

Man stelle sich heute vor: Eine 45 Jahre alte Patentschrift dient als Unterlage für neueste technische Forschung! Anfang 1929 kaufte die Post von der Telehor AG für 25.000 Reichsmark einen Filmabtaster für 30 Zeilen, mit dem aus dem Maschinenkeller des Berliner Rundfunksenders in Witzleben - zu Füßen des Funkturms, dort, wo das Deutsche Rundfunk-Museum stand - von Mihälyin der Nacht zum 9. März 1929 von 23.10 bis 0.30 Uhr auf Welle 475,4 Meter die erste drahtlose Fernsehübertragung durchgeführt wurde. In der Nacht deshalb, weil damals nachts keine Hörfunkprogramme gesendet wurden, d.h. der Sender „frei" war.

Ein Augenzeuge, der Rundfunkautor Eugen Nesper, beschrieb diese Premiere: „Am Abend des 8. März 1929, kurz nach 23.00 Uhr, wurde ich durch einen Anruf von Fritz Banneitz überrascht: Ich möchte mich fertig machen, denn er würde mich in etwa 10 Minuten im Auto von meiner Wohnung abholen, da ,es' soweit sei. Und tatsächlich hielt bald darauf vor meiner Haustür ein ziemlich klappriges Taxi, in dessem Inneren ich Banneitz, im Schlafrock und mit Filzpantinen an den Füßen, sowie zwei Telehor-Fernsehempfänger mit reichlich Zubehör entdeckte. Mihäly hatte ihn eine halbe Stunde vorher roh aus dem Bett geholt und ihm zur Belebung seiner Herztätigkeit reichlich Sliwowitz eingeflößt, zugleich mit der Bitte, sich sofort an möglichst vielen Stellen in Groß-Berlin den Fernsehempfang anzusehen. Auf meine Frage, wer denn sende, erhielt ich die lakonische Antwort: ,Na, der Rundfunksender Witzleben!'

Der Wahrheit die Ehre: ja, wir sahen nicht allzuviel. Ich flüsterte, Bilder, aber es waren nur auf Glasstreifen gezeichnete Buchstaben sowie eine sich öffnende und schließende Zange, die in den Strahlengang gehalten wurde, und dergleichen."  Nicht nur Banneitz und Nesper waren Augenzeugen, zumindest auch der Reporter des Berliner „12-Uhr-Blattes", das am 9. März mit einem begeisterten EXTRABLATT herauskam. Waren die Visionen des Reporters in bezug auf die Programminhalte auch nicht so ganz falsch, kam seine Annahme, daß die damit verbundenen Probleme bereits gelöst seien, entschieden zu früh.

 

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Die Versuchssendungen, die ab 14.März 1929 vom RPZ und Mihäly gemeinsam durchgeführt wurden, hatten keinerlei Programmcharakter und waren auch noch stumm. Die engagierte und um alle Entwicklungsmöglichkeiten bemühte Haltung der Post öffnete dem englischen Erfinder Baird in Deutschland die Fernseh-Türen, die ihm in Großbritannien noch verschlossen waren. Bredow hatte ihm bei einem London-Besuch im Dezember 1928 den Vorschlag gemacht, sein System in Berlin vorzuführen, und im Mai 1929 kam Baird samt Gerät und Mitarbeitern seiner Company an die Spree. Sein Bildgeber wurde im Vox-Haus, dem Sitz der ältesten deutschen Rundfunkgesellschaft Funk-Stunde AG, aufgestellt und von seinen Mitarbeitern bedient. Die Versuchssendungen, die über den Sender Witzleben ausgestrahlt wurden, fanden täglich von 9.00 bis 10.00 Uhr, manchmal auch von 13.00 bis 14.00 Uhr und nach Mitternacht statt; sie endeten am 13. Juli 1929. Kurz danach, am 20. Juli, setzte die DRP im Einverständnis mit der Fernseh-Industrie die erste deutsche Fernseh-Norm fest: Zerlegung des Bildes in 30 Zeilen, d.h. in 1.200 Bildpunkte, bei 12,5 Bw/sec.

 

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Erste deutsche Fernseh-Norm: 30 Zeilen bei 12,5 Bw/sec.

 

Ab März 1929: Versuchssendungen der Post

Eine solche verbindliche Norm war für die künftige Fferstellung der Geräte wichtig, denn inzwischen konnte tatsächlich von einer Fernseh-Industrie gesprochen werden. An der entscheidenden Sitzung im RPZ, die zum Einverständnis der Industrie mit der von der Post vorgeschlagenen Norm geführt hatte, hatten neben den bekannten Firmen Telefunken (Vertreter: Graf von Arco und Dr. Schröter und Telehor AG von Mihäly) auch ein Vertreter der Baird Television Ltd. und Dr. Siegmund Loewe für die Fernseh AG teilgenommen.

Loewe war Gründer und Besitzer der Röhren- und Radiogerätefirma D. S. Loewe in Berlin. Ihm war von Baird angeboten worden, die Auswertung und Entwicklung seiner Fernseh-Patente in Deutschland zu übernehmen. Der Kapitalaufwand wäre jedoch für Loewe allein zu groß gewesen, weshalb er die Beteiligung anderer anregte: Am 11. Juni 1929 kam es zur Gründung der Fernseh AG mit Sitz in Berlin, an der die Robert Bosch GmbH (Stuttgart), Baird Television Ltd. (London), Zeiss-Ikon (Dresden), und D. S. Loewe (Berlin) beteiligt waren. Wenn diese Zusammensetzung auch schon zukünftige Marketing-Strategien erkennen läßt, kann von einem Internationalen Multi noch nicht die Rede sein: „Der bescheidene Kapitaleinsatz von 100.000 Reichsmark läßt erkennen, daß die wirtschaftlichen Aussichten für das neue Unternehmen damals noch nicht abzusehen waren. Das Konzept, auf dem diese Gründung basierte, war jedoch wohl überlegt und erfolgversprechend: Baird brachte Erfahrung zur Bildzerlegung und zu elektrooptischen Wandlern ein, Loewe konnte zur elektronischen Verstärkertechnik beitragen, bei Bosch lagen große Kenntnisse auf dem Gebiet der Feinmechanik und der Meßtechnik vor, und Zeiss-Ikon verstand sich auf die Lösung optischer und photographischer Probleme." Telefunken war mit der vorgeschlagenen Norm gar nicht einverstanden, beugte sich aber dem Votum der anderen.

Am 16. Juni hatte Schröter an Karolus geschrieben: „Lieber Karolus, ich benutze die Gelegenheit, Ihnen mitzuteilen, daß Baird hier eine große Gesellschaft zusammengebracht hat: Zeiss, Bosch, Loewe- Radio. Das Reichspost-Zentralamt will Fernsehen starten, 30 Linien, Frequenzband nicht über 9.000 Hz. Wir haben erklärt, keine Patentschwierigkeiten machen zu wollen, wenn das Reichspost-Zentralamt und Baird unter ihrer eigenen Verantwortung den Sendebetrieb eröffnen wollen. Unser Entgegenkommen gilt jedoch nur für ein Experimentierjahr. Dann wollen wir beweisen, daß wir mehr leisten können. Wir gehen von 48 Linien einstweilen nicht ab; und nur die Erfahrungen im praktischen Rundfunk könnten uns veranlassen, selbst primitivere Apparate unter dem Namen Karolus-Telefunken auf den Markt zu bringen. Will Baird solche unter seiner eigenen Firma in Deutschland vertreiben und gibt ihm der Verband der Funkindustrie keine Lizenz dafür, so ist Telefunken eventuell bereit, die Geräte für Baird herzustellen. Soweit die Politik von Schapira, die Bredow gutgeheißen hat und die auch ich augenblicklich für die einzig mögliche halte.
Viele Grüße Ihr Schröter"

Interessant die erste Verbindung von Politik und Wirtschaft auf diesem Gebiet: Bredow war vor seinem Eintritt in den Staatsdienst leitender Ingenieur bei Telefunken gewesen. Auch Karolus hielt die niedrige Zeilenzahl für einen Rückschritt und die Versuchssendungen des RPZ für verfrüht. Auf der 6. Großen Deutschen Funkausstellung, die am 28. August 1929 begann und auf derzum zweiten Mal Fernsehen demonstriert wurde, war das einzig vorgestellte höherzeilige System denn auch von Telefunken-Karolus: Ein Personen-Lichtstrahl-Abtaster, bei dem die Bildzerlegung und -Zusammensetzung durch Weiller-Spiegelräder für 48 Zeilen erfolgte.

Das Kernstück der Fernseh-Demonstration war aber die Sendeeinrichtung für Fernkino des RPZ. Die Abtastung erfolgte mit Nipkow-Scheibe in der vorgeschriebenen Norm und diente zur Übertragung von kleinen Filmschleifen. Die ausgestrahlten Sendungen wurden von Empfängern der Firmen Telefunken-Karolus, Telehor, Fernseh AG und mehreren vom RPZ entwickelten Geräten wiedergegeben. In diesem Empfangsraum herrschte rotes Dämmerlicht, um die relativ schwachen Bilder deutlicher werden zu lassen. Alle Beteiligten hatten sich auf nur einen Empfangsraum geeinigt, um einen Vergleich der verschiedenen Systeme zu ermöglichen.

Auch das ist heute unvorstellbar: Mehrere Firmen in edlem Wettstreit freundschaftlich nebeneinander. Karolus hatte für diese Demonstration gegen eigene Einsicht einen Empfangsapparat für 30 Zeilen gebaut, dessen Abtastung mit einem Weiller-Spiegelrad erfolgte und dessen Projektionsbild eine Größe von 10 x 10 cm hatte. Die Telehor AG stellte ihren sogenannten „Volksempfänger" vor, der den vom RPZ ausgestrahlten Film drahtlos empfangen konnte. Die Fernseh AG hatte einen Baird-Empfänger aus London eingeflogen, der mit Nipkow-Scheiben arbeitete und „Fernseh 30 " genannt wurde. Die Unterschiede der einzelnen Systeme lagen hauptsächlich in der Größe der Empfangsbilder, wobei das von Karolus mit 100 qcm noch das größte war.

 

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Spiegelrad-Empfänger von Karolus für 30 Zeilen

 

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Fernsehbild des Spiegelrad-Empfängers für 30 Zeilen

 

Die Reaktion der Presse auf diese zweite öffentliche Fernseh-Vorführung war auch nicht so überschwenglich wie 1928, sondern sehr viel sachlicher und realistischer, wie der Artikel aus der Rundfunkzeitschrift „Die Funkstunde" vom 13. September 1929 zeigt.

 

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Waren die Bilder auch noch so flimmernd, grob gerastert und dadurch unscharf, beschleunigten diese ersten drahtlosen Übertragungen doch das Entwicklungstempo der Fernsehtechnik und trugen zur Verbreitung der Idee bei. Denn solche einfachen Bildschreiber wie die Nipkowscheibe konnten sich geschickte Bastler selbst bauen und an ihr vorhandenes, mit einer leistungsfähigen Endröhre (RE 604) ausgestattetes Radio anschließen. Die Nipkowscheibe spielte für das Fernsehen eine ähnliche Rolle wie der auch selbst zu bauende Detektorempfänger für die Entwicklung des Hörfunks 1923 bis ca. 1926. Zumindest von der Fernseh AG wurden während der Funkausstellung 1929 schon Bastlereinzelteile abgegeben, wenn auch in geringem Umfang. 

 

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Baukasten der TeKaDe, 1929

 

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Originalzeichnung Köhler des ersten Fernsehgerätes für Bild- und Tonempfang

 

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Wer nicht nur die Versuchssendungen des RPZ, die vom 23. September an täglich über den Sender Witzleben ausgestrahlt wurden (9.00 - 10.00 Uhr und 13.05 - 13.25 Uhr), sondern auch die seit dem 30. September stattfindenden Versuchssendungen der BBC (sie hatte endlich mit Baird Frieden geschlossen) sehen wollte, konnte sich aus den Teilen eines 1930 angebotenen Baukastens der Firma TeKaDe für 195,50 Reichsmark einen Fernseher für die deutsche und englische Norm zusammenbauen. Andere suchten bei Fahrradhändlern, feinmechanischen Werkstätten, bei Süßwarenhändlern. Das Silberpapier von Schokoladentafeln eignete sich vorzüglich zum ,Abkleben' von Glimmlampen, um störendes Fremdlicht auszuschalten.

Einer dieser Bastler hieß Hans-Kurt Köhler, war 20 Jahre alt, Praktikant bei Siemens und seinerzeit um einiges voraus. In der Zeitschrift „Bastelbriefe der ,Drahtlosen"' hatte er im November 1929 die Bauanleitung eines von ihm konstruierten Fernsehempfängers veröffentlicht. Das Gerät arbeitete wie üblich mit einer Nipkowscheibe für 30 Zeilen und hatte auch das damals ,normale' winzige Empfangsbild 13,5 x 4,5 cm. Das Sensationelle war jedoch, daß der Apparat über eine gemeinsame Antenne Bild und Ton empfangen konnte: eine gemeinsame HF-Verstärkung und HF-Abstimmung im Eingang, die erst im Gerät in Bild- und Tonkanal getrennt wurde. Es wog rund 15 kg und hatte den jungen Konstrukteur exakt 184,- RM gekostet.

Im Januar 1930 veranstaltete eine andere Fachzeitschrift, „Die Sendung", ein Preisausschreiben, wobei es um den Eigenbau von Fernsehempfängern ging,- die Geräte wurden in einer Ausstellung vom 10. bis 26. Januar 1930 in Berlin dem Publikum vorgeführt. Köhler, der sich daran beteiligt hatte, gewann mit seinem Apparat den 5. Preis und eine Prämie von 100,- RM. Sein Gerät war damit der erste „Tonfilm- Empfänger" in Deutschland, wie er selber ihn nannte. Und das fünf Jahre, bevor die bislang ohne Ton ausgestrahlten Fernseh-Versuchssendungen der Post auch akustisch wurden. Solange fanden sie in den Hörfunk-Pausen statt, da der Sender Witzleben nur normalen Rundfunk-Ton oder stumme Fernseh-Bilder übertragen konnte. Erst nachdem 1934 ein zweiter UKW-Sender installiert worden war, konnten auch Tonfilme ausgestrahlt werden.

 

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Zuschrift Köhler an den Verlag der Zeitschrift „Die Sendung"

 

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Bis dahin dienten die Versuchssendungen ausschließlich technischen Zwecken, insbesondere der industriellen Entwicklung, wobei an Ton und Programminhalte noch kaum gedacht wurde (Vergleich: Beginn des Tonfilms: 1929). Nicht nur die meist anonymen Bastler engagierten sich für die Fernseh-Idee, sondern auch eine hochkarätige Versammlung aus Wirtschaft und Politik. Am 13. September 1929 war in Berlin der „Allgemeine Deutsche Fernsehverein" (A.D.F.V.) gegründet worden, der in Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen der Reichspost „die Förderung des Fernsehen und die Vertretung aller damit zusammenhängenden Interessen" bezweckte. So formuliert in § 2 der Satzung des Vereins, abgedruckt in der ersten Nummer seines Vereinsorgans „FERNSEHEN, Zeitschrift für Technik und Kultur des gesamten elektrischen Fernsehwesens". 

Die enge Verbindung des Vereins zur Politik wird deutlich in der Zusammensetzung des Ehrenpräsidiums: Reichspostminister Schätzei, der 1926 zum Rundfunk-Kommissar ernannte Bredow und der Präsident des TRA Kruckow, die drei mächtigsten Männer von Post und Rundfunk in der Weimarer Republik. Nach den zwei Funkausstellungen, auf denen Fernsehen öffentlich vorgeführt worden war, „mangelte es nicht an Stimmen, die sich für die baldige Einführung des Fernseh-Rundfunks einsetzten, die die baldige Aktivierung der Massen in Aussicht nahmen und auf angeblich weitergehende Erfolge des Auslandes verwiesen. Durch die erfreulicherweise festzustellende Mitarbeit aller am Fernsehen interessierten Kreise, insbesondere der offiziellen Stellen, war es möglich, durch sachliche Prüfung die Bewegung dem Stand der technischen Entwicklung anzupassen und vor übereilten Publikationen und gefährlicher Überstürzung zu bewahren." 

 

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Diese vernünftige Zurückhaltung kommt auch im Geleitwort des Reichspostministers und im ersten Artikel, den Rundfunk-Kommissar Bredow zum Thema Fernsehen schrieb, zum Ausdruck. Die Vereinszeitschrift FERNSEHEN zählte bald nach Erscheinen 500 Abonnenten - das war für die damalige Situation schon ein beträchtlicher Leserkreis - und wurde schnell zum Forum für wissenschaftliche Erörterungen und für Erfahrungsberichte der Amateure, wie es beabsichtigt war: „Es ist nicht möglich, sich in den Entwicklungsarbeiten nur auf die Laboratorien der Erfinder, der Industrie, der Post zu verlassen. Es muß auch die Erfahrung auf der Empfangsseite dazu kommen, und wiederum nicht nur die des bestellten Beobachters, sondern auch die Hilfe des nicht vorinformierten Empfängers. Wir brauchen die ständigen Berichte aus Bastlerkreisen, um feststellen zu können, wie weit die vorhandenen Empfangsapparaturen für den akustischen Rundfunk sich für die Aufnahme der Fernsehsendungen eignen, bzw. welche Ergänzungen und Änderungen notwendig werden. Wir brauchen den Bastler, um von ihm zu hören, wie sich die Fernsehsendungen im Nah- und Fernempfang überhaupt aufnehmen lassen, welche Störungen auftreten, wann und wie die beste Klarheit der Bilder erreicht wird."

 

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aus: FERNSEHEN Nr. 1/1931

 

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aus: FERNSEHEN

 

Horst Hewel, damals Ingenieurstudent, nach dem Krieg Fernseh-Ingenieur, beschrieb in einem Artikel, wie er, der bis dahin begeisterter Funkamateur war, den Weg zum Fernsehen fand: „Gegen Mitte März 1929 hörte ich auf der Berlin-Witzlebener Welle jeden Mittag nach Beendigung des Nauener Zeitzeichens eigenartige Knurrtöne. Meine Ansicht war zuerst, daß der Vorverstärker des Senders infolge Abschaltens der dämpfenden Kabelleitung zum Selbsttönen gekommen war. Am 19. März aber erfuhr ich durch Zufall, daß es sich bei diesen Geräuschen um Fernsehversuche nach dem Mihälyschen System handele. Noch am gleichen Tage wurden alle einschlägigen Artikel in den Funkzeitungen durchgestöbert. Auf Grund der angegebenen Daten wurde eine Nipkowscheibe aus Pappe mit 30 Löchern von 1 qmm in gleichem Winkelabstand hergestellt. Am Mittag des 20. März sah ich zum ersten Male im selbstgebauten Fernseher ein Gebilde, das gewisse Ähnlichkeit mit einem Menschenkopf hatte.

Nur zwei Fehler zeigten sich: Der Kopf erschien als negatives Bild und war außerdem eigenartig verzerrt. Durch Umpolen der Glimmlampen-Ankopplung wurde ein Positivbild erzielt. Die Verzerrungen (alle geraden Unien des gesendeten Bildes waren parabolisch gekrümmt) waren darauf zurückzuführen, daß die Winkelteilung der Lochscheibe falsch war. Als einzige andere Möglichkeit kam nur die Teilung mit gleichem Lochabstand (hier: 30 mm) in Frage. Eine neue Scheibe mit dieser Teilung wurde angefertigt, und der Erfolq war endlich da. Am 26. März gelang die erste einwandfreie Aufnahme der Berliner Fernkinoversuche (Filmbilder eines Zigaretten rauchenden Herrn, einer jungen Dame, die sich in einem Handspiegel betrachtet; Fotos usw). Schon einige Tage vorher hatte ich mich brieflich an das Reichspostzentralamt in Tempelhof gewandt und meine Empfangsergebnisse mitgeteilt. Herr Dr. Banneitz vom RPZ lud mich daraufhin in überaus freundlicherweise zu einer Besichtigung der Versuchsgeräte seines Laboratoriums ein und teilte mir mit, daß ich zu seiner großen Überraschung der erste in Berlin sei, der als Amateur die Versuche empfange.

Neben einer „Patentschau" und einer „Literaturschau" die in- und ausländische Patente, bzw. neu erschienene Bücher zum Thema Fernsehen veröffentlichte, gab es auch eine Leserbrief-Ecke, in der Fragen an die Redaktion gestellt und beantwortet, Hinweise gegeben wurden und Richtigstellungen erfolgten. Wie die von Paul Nipkow vom 30. Januar 1930, der sich mit dieser Zuschrift zum ersten Mal öffentlich äußerte.

 

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aus FERNSEHEN, Nr. 3/1930, S. 142

 

Langsam wurde man auf den noch lebenden Erfinder der Nipkowscheibe aufmerksam. Im August 1930 veröffentlichte Eduard Rhein (nach dem Krieg Chefredakteur der Zeitschrift: Hör zu) in der Zeitschrift ein Porträt Nipkows anläßlich dessen 70. Geburtstages, und Nipkow wurde kurz darauf zum Ehrenmitglied des A.D.F.V. gewählt.

 

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Im Laufe des Jahres 1930 ging die Fernseh-Diskussion allmählich vom Technischen auf das Programm, d.h. den Inhalt der zu übertragenden Bilder, über. Seit Ende 1929 hatte die Post statt der bis dahin üblichen Diapositive schon einen kleinen Film gezeigt, der sich in einer Endlos-Schleife wiederholte: Zwei junge Mädchen im Badeanzug, die sich mit den Köpfen aufeinander zu- und voneinander fortbewegten, ab und zu in einen Apfel bissen (wie symbolisch!) und die sich mühenden Fernsehtechniker zum Lohn dabei lieb anlächelten.

In der entstehenden Diskussion warnte eine Reihe von Fachleuten davor, sich mit einem erweitertem Programm überhaupt zu befassen, „da in dem Augenblick, in dem das Publikum davon erfahre, es zu hohe Ansprüche stellen werde, die im Augenblick durch die Technik des Fernsehens noch nicht befriedigt werden könnten. Bei dem Rundfunk sei es auch so gewesen, erst sei der Rundfunk da gewesen und dann wurde das Programm geschaffen." 

Die Kritiker der Programmdiskussion fühlten sich in ihrer ablehnenden Haltung bestätigt nach einer öffentlichen Demonstration in der Berliner Scala, was sich in einem empörten Artikel Luft machte: „Wenn man sich darüber orientieren wollte, was der Laie sich so im allgemeinen unter Fernsehen vorstellt, dann brauchte man nur Gesprächsfetzen aus dem Munde der Besucher der Berliner Scala nach den dort vorgeführten Versuchen aufzufangen. Geradezu tropische Fantasieblüten wucherten hier üppig empor. Drahtloses Heimkino, Reportage aller nur einigermaßen interessierenden Ausschnitte des Weltgeschehens waren so ungefähr der Durchschnitt des Verlangten. Über Anpassung an das sonstige Rundfunkprogramm, über alle sofort in Erscheinung tretenden technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen zerbrach man sich nicht im mindesten den Kopf. Auch nicht darüber, in welcher Form, durch welche Apparaturen der Empfang im einzelnen eigentlich stattfinden sollte." 

 

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Die Befürworter der Programmfrage waren dagegen der Ansicht, „diese spiele doch auch eine sehr wichtige Rolle und man müßte sich ihr, auch bevor das Fernsehen wirklich so vollkommen sei, daß es dem Publikum überreicht werden könne, widmen, denn das Programm bestimme schließlich die Grenze der Bildschärfe, bis zu der man überhaupt gehen müsse." 

 

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Auf dieser Seite standen die phantasievolleren Träumer, deren Träume knapp 25 Jahre später schon Realität waren: „Was können - vielmehr: Was wollen wir alles sehen? Alltägliche Vorgänge sicherlich nicht. Davon haben wir in unserer allzu lebhaften Zeit ohnehin schon mehr, als die Nerven mancher vertragen können. Zunächst wird vermutlich die Reportage sich des Fernsehens im weitesten Umfange bedienen können. Ein Gang durch Fabriken, Hafenanlagen, fesselnde Betriebe, darüber hinaus aber auch ein Fernbesuch von Museen, Gemäldegalerien und Ausstellungen wird uns in seinen Bann ziehen. Ein Riesenflugzeug mit Sendestation könnte uns aus weiter Ferne die herrlichen Landschaftsbilder übermitteln, welche seine Insassen beispielsweise über unerforschten brasilianischen Urwäldern und dem gewaltigen Gebirgskamm der Kordilleren erblicken. Unmittelbar folgend genießen wir im bewegten Bild besser wie durch den gewandtesten Sportreporter den Endkampf eines internationalen Fußballspieles aus einem Londoner Stadion. Ein berühmter Redner mag sodann seinen fesselnden Vortrag durch seine sichtbare Gebärde noch anregender gestalten und eine Opernübertragung durch gleichzeitige Sichtbarmachung der belebten Bühne den Abend überaus genußreich beschließen. Oder sollen wir lieber mal ins Kino gehen? Wozu? Auch der Film kann übertragen werden. 

Weitsichtig war ebenfalls Dr. Paul Goerz, Direktor der Fernseh AG, der sich auch andere Anwendungsgebiete für die Fernsehtechnik vorstellen konnte: „Das Fernsehgebiet wird sich aber außer der Übertragung durch die Rundfunksender auch noch andere, vielleicht wirtschaftlichere Gebiete, zu erobern wissen. Man denke beispielsweise an die Möglichkeit der Beaufsichtigung eines Warenhauses von einer zentralen Stelle aus, von der der Geschäftsleiter in der Lage ist, die Vorgänge in den einzelnen Abteilungen zu beobachten. Eine Ersparnis an Aufsichtspersonal hierdurch wäre durchaus denkbar. Man könnte sich ferner vorstellen, daß die Polizei für die verschiedensten Zwecke Fernseheinrichtungen verwendet, so beispielsweise für die Überwachung von Bahnsperren, für die Gegenüberstellung von Verbrechern, bzw. Vergleichen von Fotografien mit dem durch den Fernsehsender gesandten Original. Man wäre hierdurch in der Lage, Zeit und kostspielige Reisen zu ersparen. Man denke ferner an das Nachtsehen, d.h. das Erkennen von Lichtzeichen im Dunkeln, bzw. im Nebel, beispielsweise von Lichtsignalen auf dem Meere." 

 

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Die erstaunliche Vorstellungskraft des Paul Goerz ging noch weiter - Bildtelefon, Bildschirmtext, das alles sah er schon vor seinem geistigen Auge, als man ein Bild noch per selbstgelochter Nipkowscheibe in armselige 30 Zeilen zerlegte. Wieder war es die Post, die sich tastend weiter vorwagte. Trotz aller Diskussion um Programm und Technik hatte sie Anfang 1930 bei der Kommerzfilm AG den ersten Fernsehfilm in Auftrag gegeben. Er sollte die Äpfel kauenden Badenixen während der Versuchssendungen ablösen. Im Januar 1930 hatte das RPZ sein Versuchs- „Studio" von Tempelhof in unmittelbare Nähe des Senders Witzleben verlegt, d.h. in einen Keller der Hallen unter dem Funkturm, wo auch der Hörfunksender stand. Man wollte bei den täglichen Versuchssendungen jede äußere Störung aufgrund der langen Modulationsleitung vermeiden. Zur „7. Großen Deutschen Funkausstellung und Phonoschau 1930" (22. - 31.8.1930) brachte die Industrie im Rahmen der Fernseh-Sonderschau der Post erstmalig komplette Empfangsgeräte auf den Markt. Telefunken-Karolus lehnten eine Teilnahme ab, weil sie nichts zeigen wollten, was nicht bereits verkäuflich war.

Verkäuflich waren bei der Telehor AG und der Fernseh AG allerdings auch nur Baukästen mit Einzelteilen für den Eigen-Zusammenbau eines Fernseh-Gerätes. Wie viele davon an die Bastler gingen, ist nicht bekannt. Die vorgestellten Geräte waren weiterhin Prototypen für 30-Zeilen-Bilder mit 12,5 Bw/sec, die unverändert mit Nipkowscheiben zur Bildzerlegung und mit Glimmlampen am Empfänger arbeiteten.

 

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Darüber hinaus waren aber auch die anderen Firmen, dem Beispiel Telefunken folgend, zu höheren, willkürlich gewählten Zeilenzahlen und Bildfrequenzen übergegangen. Die Fernseh AG stellte einen Personenabtaster mit Nipkowscheibe als Zerleger für 67 Zeilen und 25 Bw/sec ( = 3.500 Bildpunkte) vor. Durch einfache Umrüstung war für Versuchszwecke eine Zerlegung der Bilderausch in 90 oder 120 Zeilen möglich. „Die deutlichen Bilder wurden damals bewundert, vor allem war das ,Flackern' durch die höhere Bildfrequenz vollkommen verschwunden'. Die Helligkeit der Empfänger-Bilder allerdings war, vor allem bei höherer Zeilenzahl, unzureichend. Erst als es in Zusammenarbeit mit Osram gelang, die Natriumdampflampe für die Bildwiedergabe brauchbar zu machen, war der Weg für größere und hellere Bilder frei." 

Ein solcher Filmabtaster war von der Post im Haus des Rundfunks, der Berliner Rundfunk-Zentrale, aufgestellt und mehrere Jahre lang zur Modulation der Sender Witzleben und Königs Wusterhausen eingesetzt. Die Telehor AG - Mihäly hatte inzwischen sein Laboratorium auflösen müssen und seine Patente an die TeKaDe verkauft - führte eine Fernseh-Anlage für 42 Zeilen bei 16,6 Bw/sec (= 1.764 Bildpunkte) vor, deren 5 x 5 cm großes Empfangsbild mithilfe einer Lupe auf das Doppelte vergrößert wurde und die auch für Tonempfang ausgerüstet war.

1931 wurden mechanische Bildgeber mit Nipkowscheibe für 48, 60, 84 und 100 Zeilen entwickelt, wobei die Bildwechselzahl mit Rücksicht auf die Übertragung von Tonfilmen bei 25/sec lagen. Dies entsprach der 1931 neu festgesetzten Deutschen Fernseh-Norm: 48 Zeilen bei 25 Bw/sec. Die Konstrukteure der 20er Jahre hatten die mechanischen Bildzerleger zu einem hohen Niveau enwickelt, ohne hinreichend befriedigende Ergebnisse zu erzielen.

 

Erste Fernsehgeräte: Prototypen mit Nipkowscheibe

„Das Jahr 1931 war für die Femsehentwicklung im gewissen Sinne kritisch; denn obwohl man es auf der Bildzerlegerseite durchaus schon in der Hand hatte, höherzeilige Bilder zu erzeugen, versagten auf der Empfängerseite alle bis zu diesem Zeitpunkt angewendeten steuerbaren Lichtquellen hinsichtlich ihrer Leuchtdichte, also die Glimmlampe." Durch die Natriumdampflampe, die die zu schwache Glimmlampe als helligkeitsgesteuertes Organ ersetzte, gelang es, Bilder mit über 10.000 Bildpunkten zu erzielen. „Diese hellen, wie gestochen wirkenden Bilder gaben der gesamten Fernsehtechnik einen neuen Auftrieb. Eine schier unüberwindliche Schranke im Kampf um die höhere Bildpunktzahl war niedergerissen worden.". Der große Sprung von 10.000 auf 30.000 Bildpunkte brachte „zwar eine weitere Verbesserung, jedoch nicht in dem Maße, wie man es vielleicht erwartet. Derer forderliche Aufwand an Mitteln zur Übertragung derartig hoher Bildpunktzahlen steht aber in keinem rechten Verhältnise mehr zu den erzielten Verbesserungen." 

Die Forderung nach möglichst hohem Auflösungsvermögen des Bildobjektes, also guter Detailwiedergabe bei bewegten Bildern mit vielen Einzelheiten, bedingt daher:

- einen möglichst feinen Abtaststrahl,
- sehr dünne Zeilen,
- eine sehr hohe Zeilenzahl.

Die rein mechanischen Lösungen des Fernseh-Problems mußten in einer Sackgasse enden, da der Mechanik körperliche Grenzen gesetzt sind.

 

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Fernseh-Baukasten der Telehor AG, 1930

 


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Kontrollraum des Fernsehsenders

 

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Verlagsmitteilung in: „Wilhelm Schräge, Fernsehen. Wie es vor sich geht und wie der Radiohörer daran teilnehmen kann", München 1930

 

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Braunsche Röhre für Fernsehzwecke

  

4. Kathodenstrahlröhre, Ikonoskop, Manfred von Ardenne, Fernsehübertragungen

ln der Jubiläumsschrift von Bosch zum 50 jährigen Bestehen der Fernseh AG (Bosch war ab Mitte der 30er Jahre zusammen mit Zeiss-Ikon und später allein Gesellschafter der Firma) steht der denkwürdige Satz: „Die Frage drängt sich auf, warum zu dieser Zeit nicht die Braunsche Röhre zur Bildwiedergabe benutzt wurde, da doch schon Dieckmann die Brauchbarkeit der ,Bildröhre' im Jahre 1906 nachgewiesen hatte." 

In der Tat: Nahezu alle Bausteine, die in den 30er Jahren zum elektronischen Fernsehen mit der geforderten hohen Bildauflösung führten, waren schon vorher gefunden worden. Das älteste Element war die Kathodenstrahloder nach ihrem Erfinder benannte Braunsche Röhre. Der Physikprofessor Ferdinand Braun hatte sich 1897 mit den ein Jahr vorher entdeckten Röntgenstrahlen beschäftigt. Wie viele andere Wissenschaftler war auch er vom durch diese Entdeckung ausgelösten „Strahlenfieber" gepackt - jeder suchte damals nach neuen Strahlen oder wenigstens neuen Eigenschaften der Röntgenstrahlen bei seinen Untersuchungen stieß er auf die Kathodenstrahlen. Die von Braun entwickelte Kathodenstrahlröhre hatte einzig den Zweck, ein schnell reagierendes Anzeige- und Beobachtungsinstrument für Schwingungsvorgänge zu sein, um die Kurvenform von Wechselströmen aufzeichnen zu können. 

Um die Wirkungsweise der Kathodenstrahlenröhre zu verstehen, gehen wir am besten von der Wirkungsweise der Elektronenröhre aus. Eine Elektronenröhre besteht aus einem luftleer gemachten Glaskolben, der bei der einfachsten Form zwei Elektroden enthält, von denen die eine geheizt wird Den in der beheizten Elektrode steckenden Elektronen wird eine zusätzliche Bewegungsenergie erteilt, die sie befähigt, die zum Verlassen der Metalloberfläche nötige Austrittsarbeit zu leisten. Wird dann außerdem eine Spannungsquelle so mit den beiden Elektroden verbunden, daß der negative Pol an der erhitzten Elektrode der Kathode, der positive Pol an der kalten Elektrode der Anode liegt, so verlassen die Elektronen unter dem Einfluß beider Wirkungen die Kathode und fliegen zur Anode hinüber. Derartig frei durch den luftleeren Raum fliegende Elektronen werden Kathodenstrahlen genannt. Diese Strahlen haben verschiedene Eigenschaften. Eine besonders kennzeichnende besteht darin, daß sie bestimmte Stoffe zum Selbstleuchten bringen, eine Erscheinung, die man Fluoreszenz nennt. Überzieht man z.B. die hinter der Anode liegende Glaswand mit einem solchen Stoff, so entsteht auf diesem Fluoreszenz oder Leuchtschirm ein Lichtfleck.

 

Kathodenstrahlröhre von Ferdinand Braun

1. Kathodenstrahlröhre von Ferdinand Braun, Länge ca. 1 m

 

Die Helligkeit dieses Leuchteffektes kann man ändern, wenn man die Geschwindigkeit der Elektronen ändert: Der Lichtfleck wird mit steigender Geschwindigkeit dunkler, weil er kürzer auf einem Punkt verweilt, und heller, wenn er langsamer läuft. Durch senkrecht zur Strahlrichtung erzeugte elektrische oder magnetische Felder kann die Richtung des Kathodenstrahls abgelenkt werden: Auf diese Weise kann man den Lichtpunkt auf dem Leuchtschirm der Kathodenstrahlröhre beliebig in seitlicher Richtung hin- und herbewegen.

Max Dieckmann und Gustav Glage, beides Assistenten von Ferdinand Braun, hatten 1906 ein „Verfahren zur Übertragung von Schriftzeichen und Strichzeichnungen unter Benutzung der Kathodenstrahlröhre" beschrieben und praktiziert, d.h. sie hatten als erste die Braunsche Röhre als Bildschreiber für die elektrische Übertragung von Bildern verwendet.

 

Bildempfänger von Dieckmann und Glage, 1906

Bildempfänger von Dieckmann und Glage, 1906

 

„Die willkürlichen Bewegungen eines Abtaststifts in einem sog. Koordinaten-Geber wurde durch zwei senkrecht zueinander angeordnete Schiebe-Widerstände in zwei Ströme wechselnder Stärke verwandelt, die auf der Wiedergabeseite durch zwei senkrecht zueinander stehende Spulenpaare den Kathodenstrahl einer Braunschen Röhre analog der Bewegung des Geberstiftes ablenkten."  Die technische Forschung in West-Europa konzentrierte sich, wie auf den vorhergehenden Seiten ausgeführt, auf mechanische Lösungen des Bildübertragungs-Problems. Hier kann nur das Wie beschrieben werden und nicht das Warum. Denn unverständlich bleibt, warum der von Dieckmann und Glage bereits 1906 vorgeschlagene Weg nicht gegangen wurde.

 

Zworykins US-Patentanmeldung
Originalzeichnung des ersten Ikonoskops aus Zworykins US-Patentanmeldung

 

Es muß noch mal betont werden: nicht begangen wurde in West-Europa. Denn in Ost-Europa, genauer in Petersburg (Leningrad), beschäftigte man sich mit der Braunschen Röhre: Boris Rosing soll im Dezember 1910 einen solchen elektronischen Bildschreiber der Kaiserlich-Russischen Technischen Gesellschaft zu Petersburg vorgeführt haben. Rosing war der Überzeugung, daß die Lösung des Fernsehens nicht im mechanischen, sondern im rein elektronischen Bildrasterverfahren liegt. Bewiesen hat es einer seiner Schüler, Vladimir Kosma Zworykin, der nach der russischen Revolution in die USA auswanderte, dort Mitglied des Forschungslaboratoriums der Westinghouse Electric and Manufacturing Company in East Pittsburgh wurde und ab 1929 für die RCA (Radio Corporation of America) arbeitete.

Ende 1923 gelang es Zworykin, auf elektronischem Wege das Schattenbild eines Kreuzes zu übertragen. Am 29. Dezember 1923 meldete er ein USA-Patent auf die Braunsche Röhre als Abtaster für Diapositive und Filme an. Er ging bei seinen Untersuchungen vom menschlichen Auge aus: „Diesen optisch-elektrischen Wandler, wenn wir die Signale in den Sehnerven, als in Elektrizität umgewandelte Lichtsignale ansehen, wollte er nachbilden. Auf einer Kondensatorplatte schuf er Millionen von kleinen lichtempfindlichen Elementarkondensatoren, die eine vergleichbare Funktion wie die Rezeptorelementchen des Auges haben sollten.

 

Zworykin vor seinen ersten Ikonoskopen

Zworykin vor seinen ersten Ikonoskopen

 

Vladimir K. Zworykins Ikonoskop

Das ,Ikonoskop' wie er sein elektrisches Auge nannte (eikon, griech.: das Bild), besitzt eine dünne, gut isolierende Glimmerplatte als Träger, darauf Millionen feiner Cäsium-Silber-Tröpfchen: im Mikroskop als kleine Inselchen erkennbar, durch Zwischenräume voneinander isoliert. Auf der Rückseite der Glimmerplatte eine Silberfolie, so daß die kleinen Inselchen mit der Silberfolie als zweitem Belag, die Millionen kleinster Kondensatoren bilden. Auf die Tröpfchenseite wird das Bild projiziert, dann sendet jede photoempfindliche Insel Elektronen aus: und zwar lädt sie sich, abhängig von ihrer Beleuchtung, durch den Verlust an negativen Elektronen entsprechend der Helligkeit des jeweiligen Bildpunktes positiv auf. 

Auf dem Schirm entsteht ein Bild aus je nach Helligkeit verschieden großen elektrischen Ladungen, ähnlich wie in der Retina des menschlichen Auges durch Veränderung des Sehpurpurs in den Rezeptorelementchen ein Bild kurzzeitig gespeichert ist. Ein das ,Ladungsbild' mit 625 Zeilen (der heutigen deutschen Fernseh-Norm entsprechend) abtastender Elektronenstrahl zapft diese Ladung punktweise an, er gibt sie ab und führt sie dann als Bildsignal dem Verstärker zu. Da während der ganzen Dauer einer Bildabtastung bis zum kurzen Entladungsvorgang die elektrische Ladung aufgespeichert wird, ist das Ikonoskop sehr empfindlich." 

 

Fernsehversuche von Manfred von Ardenne mit Braunscher Röhre

Durch die Einführung des Speicherprinzips hat Zworykin mit seinem Ikonoskop er nannte es auch Speicherröhre, die Grundlage aller heutigen Fernseh-Systeme mit hoher Auflösung geschaffen. In Deutschland verhalf der Braunschen Röhre als elektronischem Abtastorgan ein junges Universalgenie zum Durchbruch, Manfred von Ardenne.

1925, mit erst 18 Jahren, hatte Ardenne zusammen mit Siegmund Loewe die legendäre Mehrfachröhre 3NF entwickelt, die erste integrierte Schaltung der Welt, die einen Dreiröhrenverstärker in sich vereinigte. Eingebaut in den Ortsempfänger „Loewe OE 333", der 1926 für nur 39,50 Reichsmark auf den Markt kam, beendete diese Röhre die Zeit der Detektorempfänger und brachte dieses billige und einfach zu handhabende Radio unters Volk: Noch 1926 war die erste Million verkauft, der Loewe OE 333, der erste „Rundfunk-Millionär", das erste in großer Serie verkaufte Radio der Welt. Auch den jungen Ardenne machte die Röhre reich. Aus den ihm zufließenden Lizenzgeldern baute ersieh in Berlin-Lichterfelde, ganz in der Nähe der Röhren- und Radiofabrik seines Ziehvaters Loewe, ein Labor auf und betrieb in dessen Auftrag Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Fernsehtechnik.

Dabei setzte er, anders als die großen Firmen und die Post, auf die Möglichkeiten der Elektronik durch die Braunsche Röhre, mitderem verbesserten Aufbau er sich beschäftigte. „Alle an der Entwicklung des Fernsehens maßgeblich beteiligten europäischen Stellen bedienten sich 1930 ohne Ausnahme mechanischer Methoden zur Bildzerlegung und -Zusammensetzung. Mit zunehmender Bildfeinheit mußte der mechanisch-optische Weg zu sehr lichtschwachen Bildern und zu sehr teuren präzisions-mechanischen Bauelementen führen, die dann ein Hindernis für die allgemeine Durchsetzung des Fernsehens gebildet hätten. Ich sah, daß dieser Weg in einer Sackgasse enden mußte. Dem gegenüber hatte die Bildsynthese mit abgelenkten Elektronenstrahlen den grundsätzlichen Vorteil, daß bewegte mechanische Teile ganz wegfielen und höchste Präzision der Bildschreibung allein auf Grund der elektronen-optischen Entwicklung erreichbar schien. Ein weiterer prinzipieller Vorzug bestand, wie ich aus theoretischen Erwägungen erkannte, in der viel höheren Helligkeit bei großer Bildfeinheit (und der für allgemeine Nutzung notwendigen hohen Bildpunktzahl)." 

 

Ortsempfänger Loewe OE 333

Ortsempfänger Loewe OE 333

 

Im Mai 1930 schrieb er in der Zeitschrift FERNSEHEN einen Artikel, in welchem er die Ergebnisse seiner Studien ausführlich darlegte. Wochen später wurde ihm plötzlich klar, „daß eigentlich im Lichterfelder Laboratorium fast alles betriebsbereit zur Verfügung stand, um einen ersten Versuch zur Übertragung von Diapositiven unter Verwendung der Elektronenstrahlröhre auf der Sende- und Empfangsseite vorzunehmen. Ich erklärte Emil Lorenz (sein Glasbläser) meinen Plan. In fieberhafter Eile entnahmen wir dem Fertigungslager zwei Elektronenstrahlröhren, stellten zwei Einrichtungen zur Erzeugung der Ablenkspannungen aus Bestandteilen des Niederfrequenz-Labors zusammen, brachten einen der Breitband-Verstärker in Betriebsbereitschaft und entlehnten dem optischen Labor eine Linse hoher Lichtstärke und eine Photozelle geringer Trägheit.

Noch am gleichen Abend, am 14. Dezember 1930, hatten Emil Lorenz und ich ein entscheidendes Erlebnis. Ich hielt eine Schere vor den Schirm meines ,Leuchtfleck-Abtasters' und sah tatsächlich, wie ihre Konturen am anderen Ende des Zimmers auf dem Leuchtschirm der Empfängerröhre erschienen. Wir wiederholten den Versuch mit einem Diapositiv und erzielten einen noch viel eindrucksvolleren Erfolg. Der Leuchtfleck-Abtaster, der an diesem Tag von mir konzipiert und erstmalig experimentell realisiert wurde, ist später unter der englischen Bezeichnung ,flying spot scanner' zum vielbenutzten Element der Fernseh- und Computer- Technik sowie der Elektronik geworden. Und schließlich gelang im Frühjahr 1931 die Übertragung von Kinofilmen mit der damals von den Fernsehern auf mechanischer Grundlage gerade erreichten Bildqualität von 10.000 Bildpunkten, aber mit sehr viel qrößerer Bildhelligkeit."

 

von Ardenne und sein Glasbläser Emil Lorenz 1931

 

Die erste öffentliche Vorführung dieser Anlage fand auf der „8. Großen Deutschen Funkausstellung Berlin 1931" (21. - 30.8.1931) statt - später vielfach als „Weltpremiere des elektronischen Fernsehens" bezeichnet. Vorbei die Zeiten, in denen ein Erfinder wie Mihäly bei Nacht und Nebel schemenhaft zu erkennende Bilder aussendet, und ein Postrat wie Dr. Banneitz mit Filzlatschen an den Füßen durch die dunkle Stadt geistert, um sie aufzufangen.

Der 23 jährige Ardenne hatte das Stichwort gegeben, Post und Industrie folgten. Bei Telefunken fand eine Umstellung statt: Die Herstellung der elektronischen Geräte mit ihren Laboratorien für Vakuumtechnik, für Elektronenoptik, Photoschichten und Leuchtschirmen überstiegen die Möglichkeiten des Leipziger Universitätsinstituts von Karolus. Die weiteren Entwicklungsarbeiten fanden jetzt in Berlin unter der Leitung von Prof. Schröter statt, an denen Karolus nur noch beratend teilnahm. Die Zeit derfürsich arbeitenden Erfinder war vorbei - und damit auch die von Mihäly. Die Fernseh AG richtete 1932 eine Abteilung für Hochvakuum-Technik ein, die führend auf diesem Gebiet werden sollte. Auch die Firmen Blaupunkt, Loewe, Lorenz und TeKaDe fingen an, sich mit elektronischen Fernseh-Fragen zu beschäftigen, übrigens schloß 1933 von Ardenne, der sich mittlerweile von Loewe getrennt hatte, mit der C. Lorenz AG einen Vertrag, in dessen Rahmen die Fernseh-Abteilung der Firma ausgebaut wurde. Walter Bruch schreibt, daß Berlin damit nicht nur die Metropole des deutschen Fernsehens war. 

 

Leuchtstoffe für Kathodenstrahlröhren

Demonstrationsaufbau einer Kathodenstrahlröhre

 

„Wegen der Konzentration, mit der am Fernsehen gearbeitet wurde, war Berlin einmalig in seiner Bedeutung für die Entwicklung des Fernsehens in der Welt. Der Einsatz von so vielen Fachleuten war in Deutschland nur in Berlin möglich, weil dort der größte Teil der deutschen Elektroindustrie konzentriert war. Dazu kam die Zusammenarbeit von Industrie und Forschungsstellen der Deutschen Reichspost und der feste Wille beider, das Fernsehen so schnell wie möglich dem ganzen Volke zugänglich zu machen." 

 

Fernsehempfänger von Loewe/Ardenne

Fernsehempfänger von Loewe/Ardenne

 

1932 war auch Entscheidendes in der Transportfrage eines künftigen Fernseh-Programmes geschehen. Von den Telefonleitungen der ersten Übertragungen war man abgekommen, da nur der drahtlose Transport über Wellen die erstrebte Übertragung „an Alle" gestattete.

 

Nutzung der ultrakurzen Wellen für Fernsehen

Zunächst hatte man versucht, die Langwellensender für Fernseh-Übertragungen nutzbar zu machen, weil sie größte Reichweite besitzen. Von der Reichs-Rundfunk- Gesellschaft wurde z. B. der Deutschlandsender versuchsweise in den Dienst der Sache gestellt; die BBC in London hielt Mittelwellen für geeigneter. Bald hatte man aber erkannt, daß beide Wege unbrauchbar sind und daß nur die ultrakurzen Wellen mit Wellenlängen unter 10 Metern die Möglichkeit zur einwandfreien Übertragung von Fernsehsendungen bieten.

Warum das so ist, erklärt Ardenne in seinem 1935 erschienenen Buch „Fernseh-Empfang": „Für feinere Bildzerlegungen, die allein auf die Dauer das Interesse am Fernsehrundfunk wachhalten können, ist Bedingung, daß die Lichtintensität am Empfängerin fast einmillionstel Sekunde vom Sender von Hell auf Dunkel gesteuert werden kann. Die bei der Übertragung des Bildes zulässige Trägheit ist etwa einhundertmal kleiner als die erlaubte Trägheit bei Übertragung von Rundfunk. Trägheit und Länge der zur Übertragung erforderlichen Welle sind bekanntlich in gewisser Weise miteinander verknüpft. Je kürzer die Welle, desto kleinere Trägheiten lassen sich für das gesamte Übertragungssystem erzwingen. Es ist ein glücklicher Umstand, daß die Ultrakurzwellen bis zu einer Länge von etwa 10 Meter durch die Brechung in den höheren Schichten der Atmosphäre, nicht wie die längeren Wellen, immer wieder zur Erdoberfläche zurückgelenkt werden, sondern daß sie sich ziemlich geradlinig fortpflanzen, sonst würden gegenseitige Störungen zwischen den im Laufe der Entwicklung zu erwartenden zahlreichen Fernsehsendern der Welt unvermeidlich sein.

Aus der Tatsache der gradlinigen Ausbreitung folgen zwei wichtige Eigenschaften: Feldstärkeschwankungen, wie sie im Gebiet der Rundfunkkurzwellen durch gegenseitige Auslöschung auf verschiedenen Wegen einfallender Wellen häufig stattfinden und als Schwunderscheinungen bekannt sind, existieren bei Ultrakurzwellen nicht. Infolge der fast gradlinigen Wellenausbreitung kann der Sender nur überall dort aufgenommen werden, wo seine Antenne noch optisch sichtbar ist. Um den Bereich der optischen Sicht möglichst groß zu halten und damit durch einen Ultrakurzwellensender eine möglichst große Fläche zu bedecken, ist es notwendig, die Sendeantennen hoch über der Erdoberfläche anzubringen." 

 

Filmabtaster mit Nipkowscheibe und Gleichstromverstärker

Mechanischer Filmabtaster mit Nipkowscheibe und Gleichstromverstärker

 

Die damals höchste Stelle in Berlin war mit 150 m der Funkturm, der „Lange Lulatsch", auch heute noch Wahrzeichen der Stadt. Er war 1924 zur ersten Funkausstellung als 120 m hoher Stahlgittermast errichtet worden, weil der Rundfunksender Witzleben einen Antennenträger brauchte. 1926 war er um 30 m zu seiner jetzigen Größe erhöht worden. Diesen bisher dem Hörfunk dienenden Turm nutzte die Post ab 10. August 1932, als sie ihre Fernseh-Versuche auf UKW umstellte, auch als Fernseh-Turm. Im Haus des Rundfunks (HdR) in der Masurenallee (Fertigstellung 1931) stand ein neuer mechanischer Filmabtasterder Fernseh AG, der durch einfache Umstellung eine Zerlegung der Bilder in 60, 90 und 120 Zeilen ermöglichte; er war durch ein 750 m langes Kabel mit dem stärksten bis dahin gebauten UKW-Sender (Leistung: 16 kW) verbunden, der in der Funkhalle IV stand: ein Laborgerät der Firma Telefunken, die ihn der Post leihweise für die Versuche überlassen hatte. Die Fernseh-Versuche fanden tagsüber stumm statt, während abends in unregelmäßigen Abständen auch Hörfunk-Versuche auf UKW durchgeführt wurden.

Das Jahr 1933 brachte einschneidende Veränderungen: Am 30. Januar hatte Reichspräsident Hindenburg Adolf Hitler, den Vorsitzenden der faschistischen NSDAP, zum Reichskanzler berufen. In seiner Begründung für das Ermächtigungsgesetz, durch das die Nazis nahezu jede gesetzgeberische Maßnahme ohne parlamentarische Kontrolle sofort in die Tat umsetzen konnten, führte Hitler am 23. März aus: „Unser gesamtes Erziehungswesen, das Theater, der Film, Literatur, Presse, Rundfunk, sie werden als Mittel zum Zweck (zur moralischen Sanierung des deutschen Volkskörpers) angesehen und demgemäß gewürdigt. Es ist die Aufgabe der Kunst, Ausdruck dieses bestimmten Zeitgeistes zu sein. Blut und Rasse werden wieder zur Quelle der künstlerischen Intuition." 

Joseph Goebbels hatte als Chef des neugeschaffenen Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (MfVuP) diesen Kurs durchzusetzen. Wie er sich dabei des Rundfunks, d.h. genauer des Hörfunks bemächtigte, dem sein Hauptaugenmerk galt, soll hier als bekannt vorausgesetzt werden. Das junge Pflänzchen Fernsehen existierte für die neuen Machthaber noch nicht, d.h. es war für ihre politischen Absichten noch nicht einsetzbar. Dennoch sollte sich die politische Umstellung auch bald auf diese neue Technik auswirken.

Vorerst jedoch blieb das Hoheitsrecht der Post auf dem Gebiet des Fernsehens noch unbestritten. Zwar war das RPZ 1932 mit seinem Versuchs-Studio" aus den Kellern der Funkhalle IV in den 3. Stock des HdR umgezogen und hatte „damit die publizistische Bedeutung des Fernsehens anerkannt, trotzdem hielt die Reichspost weiterhin an ihren Versuchsreihen fest." Die eigentlichen Forschungsarbeiten fanden nach wie vor in den Laboratorien des RPZ in Berlin-Tempelhof statt. Gegen Ende des Jahres 1932 hatte die Post eine durch die Benutzung der Ultrakurzwellen möglich gewordene höhere Zeilennorm - 90 Zeilen bei 25 Bw/sec - festgesetzt, die auch 1933 beibehalten wurde. Auf der „10. Funk-Ausstellung Berlin 1933" (18. - 27.8.1933) hatte sich die Braunsche Röhre ais elektronischer Bildschreiber durchgesetzt. Die Nipkowscheibe wurde wegen ihres großen Umfanges auf der Empfängerseite nicht mehr verwendet.

 

Fertigung des Loewe FED, 1933

Fertigung des Loewe FED, 1933

 

Loewe FED

Loewe FED

 

Die vorgeführten Empfangsgeräte waren recht monströse Truhen: Sie vereinigten eine Braunsche Röhre (nur TeKaDe benutzte noch die mechanische Spiegelschraube) mit einem UKW-Empfänger und boten mit max. 15 x 18 cm noch recht kleine Empfangsbilder. Diese Empfänger waren Prototypen; selbst in Serie aufgelegt hätten sie zwischen 2.500 bis 3.600 Reichsmark gekostet. Welcher „Volksgenosse" hätte das bezahlen können, bei einem durchschnittlichen Wochenlohn von 25 Reichsmark.

 


mechanische Spiegelschraube

Spiegelschraube

 

Die Attraktion 1933 war denn auch nicht das Fernsehen, sondern das erste politische Radio, der „Volksempfänger 301". Das Propagandaministerium hatte ganz auf den Hörfunk gesetzt und unter der Parole „Rundfunk in jedes deutsche Haus" die Industrie in Gemeinschaftsarbeit zur Massenproduktion eines billigen Kleinradios gezwungen. Die technische Ausrüstung des neuen Radios sollte bewußt nur soweit gehen, daß allein der nächstgelegene Reichssender gehört werden konnte, um möglichst vielen Hörern in Deutschland den Empfang ausländischer Sender unmöglich zu machen. Für den Preis von RM 76,- waren schon am ersten Tag der Funkausstellung 100.000 dieser Geräte verkauft.

 


Volksempfänger 301

Volksempfänger 301

 

Der April 1934 brachte entscheidende Neuerungen auf dem Gebiet des Fernsehens, sowohl in organisatorischer als auch technischer Sicht. Die RRG, dem Propagandaministerium unterstellt, hatte sich auf Betreiben des ehrgeizigen Reichssendeleiters Hadamowsky dazu entschlossen, eine eigene Fernseh-Abteilung zu gründen. Dies geschah am 1. April 1934, und ein Stab von sechs Technikern übernahm das bis dahin vom RPZ geführte Laboratorium im Haus des Rundfunks. Die Postler mußten alle Geräte zurücklassen, konnten aber schon am 9. April 1934 ihren Versuchs-Betrieb in einem neuen Laboratorium ganz in der Nähe, in der Rognitzstr. 8, wiederaufnehmen.

Dieses Laboratorium, ebenfalls durch ein Kabel mit dem weiterhin posteigenen Sender unterm Funkturm verbunden, besaß einen Filmabtaster für 50 Minuten Filmlänge und einen mechanischen Personenabtaster (mit einer Vierfach-Spirallochscheibe) mit einer Abtastkabine - das eigentliche „Studio" von 1,5 qm. Obwohl seit Sommer 1933 zwischen Post- und Propagandaministerium wegen Verteilung der Rundfunkgebühren ein ständiger Konflikt herrschte, bedeuteten diese beiden nebeneinander existierenden Versuchs-Betriebe weder Konkurrenz noch Zusammenarbeit, „sondern eher eine stillschweigende Arbeitsteilung. Die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft widmete ihre Aufmerksamkeit den Experimenten auf den Gebieten der Studiotechnik, während die Post eher die Entwicklung der Sendertechnik im Auge behielt." 

 



UKW-Sender von Telefunken (16 kW)

UKW-Sender von Telefunken (16 kW)

 

Und da gelang der Post Bahnbrechendes. Schon 1933 hatte sie in Zusammenarbeit mit der Industrie die Modulation von 180 zeiligen Bildern bei 25 Bw/sec erprobt, was ab 1. April 1934 zur neuen deutschen Fernseh-Norm erklärt wurde. Sie galt bis 1937.

Am 18. April 1934 nahmen die Techniker des RPZ einen von Telefunken gelieferten 2. UKW-Sender (20 kW) in Betrieb, so daß nun auch gleichzeitig zu den Bildübertragungen der Ton moduliert werden konnte. Dazu wurden auf dem Funkturm zwei neue Antennen angebracht, die eine Reichweite von rund 50 km hatten, d.h. für den Versuchs-Betrieb in Berlin ideal waren.

 

Schema Fernseh-Sendeanlage Berlin-Witzleben
Schema Fernseh-Sendeanlage Berlin-Witzleben

 

„Damals waren aus der Sicht der Reichspost alle fernsehtechnischen Voraussetzungen geschaffen, um Programmversuche für einen den heutigen Vorstellungen entsprechenden Fernsehrundfunk ausstrahlen zu können." 

Noch 1930 hatte der Autor des Buches „Technik und Aufgaben des Fernsehens" von einem Fernsehprogramm folgende Vorstellung: „Der Ansager kündigt einen Redner oder eine Sängerin dem Rundfunkpublikum an, dann ertönt das typische Femsehgeräusch, ein Zeichen, daß man auf Bildempfang umschalten soll - ein Druck auf einen Knopf genügt, man sieht als dann, wie der Vortragende sich verbeugt, dann schaltet man bisweilen auf Fernsehen ein, um eine schematische Erläuterung zu erhalten, die die Skizze auf der Wandtafel ersetzen soll, oder um Lebewesen unter dem Mikroskop zu betrachten oder Diapositive zu sehen usw." 

Für ein solches Programm hätte sich der enorme technische Aufwand sicher nicht gelohnt. Das RPZ ging denn auch einen anderen Weg: Der nicht nur für die gesamte technische Leitung des Studiobetriebes, sondern auch für die Programmgestaltung verantwortliche Telegraphen-Werkmeister Max Zielinski lieh sich von der Filmindustrie Stummfilme aus, die er in Ausschnitten sendete. Diese „Fernkino" genannten Versuchssendungen fanden täglich (außer freitags und sonntags) regelmäßig in der Zeit von 10.00 - 12.00 Uhr, unregelmäßig auch von 14.00 - 15.00 und 21.00 - 22.00 Uhr statt.

 

Der Funkturm mit den zwei Ringantennen

Der Funkturm mit den zwei Ringantennen für Bild und Ton

 

Ab 1934: Bild und Ton bei Fernsehübertragungen

Mit der Inbetriebnahme des 2. UKW-Senders war es möglich geworden, auch Tonfilme ins Programm aufzunehmen, das weiterhin ausschließlich aus Kultur- und Spielfilmen bestand. 1934 liefen Ausschnitte so berühmter UFA- Filme wie „Viktor und Viktoria" (1933 mit Renate Müller und Adolf Wohlbrück) und „Der Kongreß tanzt" (1931 mit Lilian Harvey und Willy Fritsch). Walter Bruch beschreibt „Maxe" als echtes Berliner Original: „Wer sich mit ihm gut stellte, und das war nicht allzu schwer, konnte in jener Zeit, als noch kein Programm angekündigt wurde, von ihm für eine Vorführung einen speziell gewünschten Film oder auch eine Sonderprogrammstunde gesendet bekommen." 

 

Post und RRG mit ersten Programmen

Ab Juni 1934 trat die Post ihre zwei UKW-Sender dreimal in der Woche (montags, mittwochs, sonnabends) in der Zeit von 20.30 bis 22.00 Uhr an die RRG ab, die allerdings noch keine Bilder lieferte, sondern sich erst mit Musik-Übertragungen „einspielte". Es war wieder die Post, die den nächsten Schritt machte: vom reinen Konserven-Film-Kino in Richtung Live-Fernsehen. Sie hatte Ende 1934 eine junge, völlig unbekannte Schauspieler-Komparsin engagiert, Ursula Patzschke, die die Filme in den Versuchsübertragungen ansagte. Aus Etat gründen wurde sie als Postfacharbeiterin eingestellt; in den Sendepausen mußte sie die Filmausschnitte, die sie ansagte, auch selbst kleben.

 

Ursula Patzschke und Annemarie Beck

Ursula Patzschke (li.) und ihre spätere Kollegin Annemarie Beck (re.)

 

Ab Anfang 1935 wurde dieser erste Live-Teil des Programms erweitert. Für 300 Reichsmark monatlich, eine damals fürstliche Summe, mußte Ursula Patzschke dreimal am Tag rund zehn Minuten Programm füllen. Sie sagte Gedichte auf, spielte selbst verfaßte Sketche und brachte ab und zu ihren Hund mit in die kleine dunkle Abtastkabine. Für mehr Personal war auf den 1,5 qm auch kein Platz. „Auch körperlich strengte das ganz schön an. In der kleinen Zelle standen nur ein Hocker, ein Telefon und das Mikrofon. Ich hatte in eine grell-weiße Spezialröhre zu schauen. Diese besondere Abtastelektronik war auch Ursache dafür, daß wir Frauen es optisch leichter hatten. Denn auch die gepflegtesten Herren sahen beim leisesten Bartwuchs aus wie unrasierte und abgemagerte U-Boot-Fahrer." 

Um nicht aus der Abtastlinie der „Spezialröhre" zu geraten, durfte Ursula Patzschke sich kaum bewegen; sie saß auf dem Hocker, und abgetastet wurde auch nur ihr Kopf, der bei 180 Zeilen nicht mehr als „flimmernde" Ähnlichkeit mit ihr hatte. Auch die Filmausschnitte entsprachen nicht der Ästhetik, die man 1935 bereits vom Kino her gewöhnt war. „An technischen Mitteln steht uns eine Bildgeberapparatur zur Verfügung, die es gestattet, Kinofilme auf dem Fernsehwege zu übertragen. Es muß hierbei hervorgehoben werden, daß durch die technische Begrenzung der Bilder auf 180 Zeilen und 25 Bildwechsel eine Auswahl der verwendeten Filmbilder notwendig ist. Es empfiehlt sich, nur einfache Motive zu übertragen. Leider ist auch die Übertragung von normalen Kopien nur selten möglich. Bei Filmen, die sämtliche Schwärzungs-Unterschiede enthalten, muß man fast stets ein wenig gedecktes, flaues Positiv für die Wiedergabe durch den Fernsehgeber herstellen." 

Daß sich die Propagandamaschinerie der Nazis bis dahin nicht sonderlich für das neue Medium interessierten, mag mit der vermuteten geringen propagandistischen Effektivität Zusammenhängen, weil die Technik noch sehr unvollkommen war. „Es kann wohl als sehr wahrscheinlich gelten, daß die Führer des deutschen Faschismus etwas dagegen hatten, sich und ihre Massenversammlungen als ,einfache Motive' auf, wenig gedecktem, flauem Positiv' auf das Fernsehbild bringen zu lassen. Führer-Masse-Beziehungen ließen sich über die Totalen-Projektion im Kino sicherlich wirkungsvoller darstellen als Fackelzüge, Feuerpfannenflammen, Sturm- und Blutfahnen oder B(und) D(eutscher) M(ädchen)-Reigen auf dem 180-Zeilen-Fernsehbild.

Auch hätte die schallende Größe der nationalsozialistischen Wort-, Trommeln- und Fanfaren-Propaganda möglicherweise sich mit ihrem visuellen Diminutiv auf dem 18 mal 22 Zentimeter kleinen Fernsehbild schlecht vertragen, bzw. lächerlich gemacht." Das änderte sich schlagartig, als aus Großbritannien die Nachricht kam, die BBC, die schon mit 405 Zeilen experimentierte, wolle im Herbst 1935 die bisherigen Versuchssendungen durch einen regelmäßigen „Television-Service" ablösen (was dann allerdings erst Ende 1936 passierte).

 

Fernsehen und Politik seit 22. März 1935 regelmäßiger Programmbetrieb

Nicht die Massenwirkung der neuen Technik, sondern sein ideologischer Gebrauchswert als Propaganda Instrument für den Nationalsozialismus rückte ins Bewußtsein; Deutschland, die erste Fernseh-Nation der Welt! Und so konnte Reichssendeleiter Hadamowsky die Techniker drängen, alles in die Wege zu leiten, um am 22. März 1935 den „ersten regelmäßigen Fernsehprogrammdienst der Welt" zu eröffnen.

 



Der erste Fernsehprogrammbetrien der Weld

 

Hadamowsky: „Heute beginnt der nationalsozialistische Rundfunk in Zusammenarbeit mit der Reichspost und der deutschen Industrie als erster Rundfunk der Welt den regelmäßigen Fernsehprogrammbetrieb. Einer der kühnsten Menschheitsträume ist verwirklicht. Unserer kleinen Versammlung in diesem Saal des Witzlebener Funkhauses werden zu gleicher Zeit über unseren Fernsehsender die jenigen Volksgenossen bei wohnen, die heute schon im Besitz eines Fernsehempfängers sind. Während wir hier im Saale atemlos lauschen und schauen, hat die Zeit eines neuen, unbegreiflichen Wunders begonnen. Nach dem 30. Januar 1933 hat der Rundfunk das Wort des Führers allen Ohren gepredigt.

In dieser Stunde wird der Rundfunk berufen, die größte und heiligste Mission zu erfüllen: nun das Bild des Führers unverlöschlich in alle deutschen Herzen zu pflanzen. Das nationalsozialistische Gemeinschaftsleben erhält seine höchste und edelste Form in Zukunft durch die Beteiligung unseres höchsten und edelsten Sinnesorganes, des Auges. Das soll nicht länger das glückliche Los einiger Auserwählter sein. Dem nationalsozialistischen Femsehrundfunk erwächst die großartige Aufgabe, im wahren Sinne des Wortes ein Volk zum Sehen aufzurufen. Dem Rundfunk der Welt winkt die herrliche Mission, die Völker sehend zu machen und damit der Wahrheit und dem Frieden zu dienen. Für diese Stunde wollen wir unermüdlich arbeiten. Damit eröffne ich das regelmäßige Fernsehprogramm des Fernsehsenders Berlin-Witzleben." 

Die Feierstunde fand in einem zum Fernsehstudio umgebauten Saal des Hauses des Rundfunks statt, dort, wo heute die Bibliothek des Senders Freies Berlin angesiedelt ist. Der Festakt und der erste Programmabend verlief nach den Erinnerungen eines, der dabei gewesen war folgendermaßen:

Das Eröffnungsprogramm am 22. März 1935 um 20.00 Uhr 
I. Begrüßung der Gäste durch den Leiter der Abteilung Presse der Reichssendeleitung.
II. Ansprache des Chefingenieurs und Direktors der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft, Dr. Hubmann
III. Ansprache des Oberingenieurs der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft, Dr. Hoffmann
IV. Ansprache des Oberpostrates des Reichspost-Zentralamtes, Dr. Banneitz
V. Ansprache des Reichssendeleiters, Hadamowsky
VI. Beginn der Fernseh-Sendungen des „Fernsehsenders Berlin-Witzleben"

 

Programm-Ablauf:
1. Ansage in Bild und Ton
2. Der Reichssendeleiter spricht
3. Ansage in Bild und Ton
4. „Badenweiler Marsch"
5. Bildfolge von Groß-Kundgebungen der Jahre 1933/34: Der Führer spricht
6. Ansage in Bild und Ton
7. Musik von Schallplatte: „Ritter und Recken" Marsch von Rathke
8. Ansage in Bild und Ton
9. Bilderfolge von der Berliner Heldengedenkfeier 1935
10. Ansage in Bild und Ton
11. Übertragung des UFA Tonfilms „Mit dem Kreuzer Königsberg' in See"
12. Ansage in Bild und Ton
13. Musik von Schallplatte: „Intermezzo ,Sefora"'
14. Ansage in Bild und Ton
15. Ein Trickfilm der UFA: „Vorsicht! Es brennt!"
16. Schluß-Absage in Bild und Ton 

 

Obwohl von Hadamowsky das Fernsehen als künftiges politisches Machtinstrument gepriesen wurde, war von der national-sozialistischen Machtelite kein Vertreter zur Eröffnung gekommen. Hadamowsky aber mußte „seinen" Beitrag zur deutschen Rundfunkgeschichte unbedingt dokumentieren, was er mit nachstehend abgedrucktem Telegramm an Hitler tat. Die recht kühlen Antwort-Telegramme von Hitler und Goebbels zeigen, daß ihr Propaganda-Interesse den über sechs Millionen Hörfunk-Teilnehmern galt und nicht den auserwählten Besitzern der wenigen Fernsehempfänger (von der Industrie kostenlos zur Verfügung gestellte Prototypen), denen das Eröffnungsprogramm „ins Herz gepflanzt" wurde. 

 

Telegramm an Fuhrer und Reichskanzler Adolf Hitler

 

„In Berlin und Umgebung gab es nur rund 250 Fernsehempfänger; das war eine politisch propagandistisch unwichtige Erscheinung. Die Empfänger standen bei offiziellen Persönlichkeiten der Regierung und der Partei, die man nicht mehr zu beeinflussen brauchte. Diese Teilnehmer machten allerdings von ihrem Empfänger keinen Gebrauch, es sei denn, er wurde gelegentlich Gästen vorgeführt. Die Apparate standen bei Ingenieuren und Technikern, die sich für die Bildgüte, aber nicht für den Bildinhalt interessierten. Sie standen bei Rundfunkmännern; sie standen bei einigen Journalisten, deren Veröffentlichungen man kontrollieren konnte." So der erste deutsche Fernseh-Kritiker, Kurt Wagenführ, in seinen Erinnerungen an den 22. März 1935. Die Industrie war zur Serienfertigung noch nicht bereit. Telefunken verbreitete in seinen für den Rundfunkhandel bestimmten Mitteilungen im Frühjahr 1935 Zurückhaltung: 

„Man verlangt heute klare und unverzerrte Bilder vom Film. Vom Rundfunk verlangt man höchste Qualität der Sendungen. Auf beiden Gebieten hat sich also in der Vorstellung des Publikums ein bestimmter Qualitätsbegriff entwickelt, den man in die Entwicklungsarbeit des Fernsehens einbeziehen muß. Das Publikum kommt bereits mit besonderen Vorstellungen hinsichtlich Güte und Leistung an das Fernsehen heran, im Gegensatz zu den Anfängen der Film- und Rundfunkentwicklung, denen das Publikum ohne jegliche Vorbelastunggegenüberstand. Je gründlicher die Untersuchungen und Versuche sein werden, die man auf dem Fernsehgebiet durchführt, desto sicherer bannt man die Gefahr, daß die überstürzte Herstellung von Fernsehempfängern in großer Serie den Fernsehgedanken, dem eine große Zukunft offensteht, diskreditiert." 

Auch hätten sich für die hohen Herstellungskosten kaum Käufer gefunden. Deshalb setzte die Post, die an größeren Zuschauerkreisen interessiert war, auf Gemeinschaftsempfang, ohnehin ein Schlagwort der Nazi Ära. Am 9. April 1935 eröffnete sie die erste öffentliche Fernsehempfangsstelle (Bild: 18 x 22 cm) im Berliner Reichspostmuseum, heute das Post-Museum der DDR in Ost Berlin, Leipziger-, Ecke Mauerstraße. Am 15. Mai wurden vier weitere öffentliche „Fernsehstuben" in Betrieb genommen, die jede rund 30 Personen faßte, und deren Eintritt kostenlos war.

Nach der Eröffnung des offiziellen Programmbetriebes gestalteten RRG und RPZ die Darbietungen zunächst abwechselnd. Die Post, deren Sendungen weiterhin Versuchszwecken dienten, arbeiteten wie bisher mit UFA-Filmen, Ursula Patzschke und einer zweiten Schauspielerin, Annemarie Beck, vormittags (9.00 bis 11.00 Uhr), nachmittags (15.00 bis 16.30 Uhr) und zweimal abends je Woche (dienstags und donnerstags 20.30 bis 22.00 Uhr). Das eigentliche Publikumsfernsehen fand an drei Wochenabenden statt, produziert von der RRG. 

 

 Öffentliche Fernsehstube

Öffentliche Fernsehstube

 

Eintritskarte Öffentliche Fernsehstube

 

Was machten nun die Programmleute der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft ab März 1935? Sie lebten auf einer Art Insel. Dem stellvertretenden Reichssendeleiter Carl-Heinz Boese war der Fernsehdienst unterstellt worden. Er war Film kameramann, politisch absolut stur-zuverlässig und mit anderen Aufgaben (wie die Vorbereitung von Propaganda-Veranstaltungen für den Rundfunk) so beschäftigt, daß er nicht genügend Zeit hatte, in den Versuchsdienst einzugreifen. So konnte kein großer Schaden entstehen; im Gegenteil: die Fernsehleute genossen eine gewisse Narrenfreiheit für das Experiment. Sie setzten sich zum Teil aus Männern zusammen, die dem Hörrundfunk nicht besonders genehm, aber nicht direkt abzuschieben waren - wie z. B. Arnolt Bronnen.

Die von Boeses Fernseh-Abteilung hergestellten Sendungen waren improvisiert, es gab noch keine Programmkonzeption. In der Woche vom 7. bis 13. April 1935 kamen z.B. folgende Beiträge zur Sendung:

1. Musik
2. Bilder der Woche
3. Musik
4. Kultur-Tonbild: „Wo die Isar rauscht"
5. Musik
6. Aus der Werkarbeit: „Von der Hand für die Hand"
7. Musik
8. Ein Lustspiel: „Die ideale Wohnung"
9. Schlußmusik

 

Die richtige Bestuhlung einer Fernsehstube

„Die richtige Bestuhlung einer Fernsehstube"

 

Telefunken-Fernseher FE IV, 1935

Telefunken-Fernseher FE IV, 1935

 

Es wirkten auch schon Prominente in diesen Programmen mit, u.a. Else Elster, Johannes Heesters und Otto Gebühr als Friedrich der Große: Er sprach anläßlich der Eröffnung der ersten Fernsehstube außerhalb Groß-Berlins in Potsdam einen Monolog aus seinem Film „Das Flötenkonzert von Sanssouci". Das Studio war immer noch nicht größer als eine Telefonzelle „Wegen der starken Rotempfindlichkeit der Photozellen schminkte man die Lippen der Darsteller schwarz, die Augenlider grün. Das Haar der Schauspieler wurde mit Goldpuder bestäubt, damit es auch ohne Effektbeleuchtung Glanz erhielt. Andererseits wirkten allzu große Helligkeitsgegensätze im Bildfeld störend. Deshalb spritzte man weiße Wäsche bei dunkler Kleidung grau und versah blanke Metallteile mit einem stumpfen Überzug." Wie das Publikum auf diese ersten Programmfolgen reagierte, ist bei Kurt Wagenführ nachzulesen. Er war einer der ersten Journalisten, die sich aus der Zuschauer Distanz beruflich mit dem neuen Medium beschäftigten, und dem deshalb auch ein Empfänger zur Verfügung gestellt worden war.

„Das bedeutete aber für den Kritiker, der einen Empfänger bekam, noch nicht, daß dieser auch sofort betriebsbereit war. Zuerst galt es festzustellen, ob in der Wohnung (in der Straße, auf der Straßenseite) der richtige Strom vorhanden war, nämlich Wechselstrom — was in Berlin durchaus nicht überall der Fall war. Im Gegensatz zum Hörfunkempfänger mußte das Fernsehgerät, das die Größe eines Straßen-Standbriefkastens der Jetzt zeit hatte, einen besonderen Platz im Zimmer finden. Möglichst in einer Ecke, auf die nicht das Licht, das durch die Fenster einfiel,auf die kleine Bildscheibe traf. Eine besondere Antenne war anzubringen, und jeder wird sich noch an die hallenden Rufe im Treppenhaus zwischen Dach und Parterrewohnung erinnern, wenn die Antenne, gerichtet' wurde, um ein gutes Bild zu gewährleisten. Die zweite Sorge trat erst beim Empfang auf, wenn das Bild von leuchtenden Punkten und Linien durchzogen war: das waren dann Störungen von Autozündkerzen, von Straßenbahnen oder Hochbahnen, von elektrischen Geräten in Küchen usw. Die Störungen, so sagte man damals im Scherz, hatten den Vorteil, daß man sie beim Fernsehen nicht nur hörte, sondern auch sah.

Der Kritiker stellte bald fest, daß Fremde und Freunde seine Einladungen zum Fernseh Abend gern annahmen. Er hatte fast täglich mehrere Personen aus dem Haus, aus dem Freundeskreis, aus der Stammkneipe zu Besuch. Der Kritiker fühlte sich damals fast ganz als ,Femsehmann' als Mitverantwortlicher für dieses Wunder der Technik, als wohlwollender Gutachter, kenntnisreicher Betrachter und Propagandist des Neuen. Er wurde durch die Besucher bald enttäuscht, denn sie teilten seine Begeisterung selten. Nüchtern und lieblos waren ihre Bemerkungen, sie monierten die Kleinheit und das Flimmern des Bildes, die Einfärbung (beige oder bläulichweiß), die zu beobachtenden Störungen, das noch zu einfache, nach Inhalt, Vielfalt und Dauer primitive' Programm. Zu schnell wurden Vergleiche mit dem Film gezogen, schnell war das Wissen, einem ,Wunder' beizuwohnen, verflogen, schnell kam die Frage: ,Und was steht morgen auf dem Programm?' Dann folgten Fragen nach dem Preis des Empfängers, nach dem Stromverbrauch, ob die Bedienung einfach oder kompliziert sei, ob es wohl möglich wäre, sich einen Fernsehempfänger selber zu basteln. Die Quintessenz war meist: Warten wir noch ab, bis das Programm an jedem Abend gesendet wird, mehr bietet, technische Sicherheit garantiert wird und die Anschaffungskosten niedriger sind. ,Und bis das Bild farbig ist!'" 

Das werden die meisten dieser nörgeligen Besucher wohl nicht mehr erlebt haben. Wagenführ, von 1930 bis zu seiner fristlosen Entlassung am 1. April 1933 Leiter der Pressestelle der Deutschen Welle in Berlin, konnte seine ersten Betrachtungen über das „Theater der Däumlinge", wie Fernsehen abschätzig von der Theater- und Filmkritik damals genannt wurde, dennoch in zahlreichen Fachzeitschriften veröffentlichen z.B. in „Deutsche Radio Illustrierte", „Der Neue Funkbote", „Funkstunde".

Natürlich kann man heute sagen, daß das, was damals geschrieben wurde, keine Kritik war. Gewiß nicht im heutigen Sinne, genau so wie die Sendungen kein Programmdienst im heutigen Sinne waren, aber, und das läßt sich nachweisen, es gab eine Betrachtung von Einzelsendungen und Programmen, soweit es in einer Diktatur möglich war. Selbst über die Trägerin einer nicht kleinen Rolle in einem Femsehspiel, die sogar hohe Protektion genoß, konnte damals geschrieben werden, daß sie erst einmal eine Schauspielschule besuchen solle, ehe sie sich an solche Rollen wage. Besonders angenehm war weder dem Kritiker noch dem verantwortlichen Redakteur (damals hieß das Kunstbetrachter und Schriftleiter) bei solchen Stilübungen zumute, aber auch andere Kritiken, die allgemeiner gehalten waren, wurden veröffentlicht. Die Kritiken waren - wie in einer Diktatur üblich - durch „Sprachregelungen", Anweisungen und Verbote eingeschränkt.

Wer sich danach nicht richtete, wußte, daß er ein Berufsverbot erhalten konnte. Wie solche Sprachregelungen' aussahen ? Das Fernsehen konnte im Rahmen einer Aktion gelobt werden, und das Lob mußte variiert in allen Zeitungen erscheinen. Es konnte bald darauf eine Anweisung erfolgen, zur Zeit das Fernsehen nicht zu erwähnen, weil die Aufmerksamkeit und Aktivität des Publikums auf andere Gebiete und Vorhaben gelenkt werden sollte. Das Fernsehen konnte aber auch monatelang unbehelligt bleiben, also praktisch von den ,Propaganda Führungsstellen' nicht beachtet werden. Es war andererseits möglich, daß  bestimmte Stoffe und Personen dann wieder plötzlich für das Fernsehen gesperrt wurden oder daß sie als förderungswert erklärt wurden.

 

Streit um politische Zuständigkeit 

Von diesen „Seiltänzen" hat die deutsche Bevölkerung sicher kaum etwas erfahren, wie auch wahrscheinlich wenig von dem Gerangel um die politische Zuständigkeit für das neue Medium. Der Reichspostminister wurde als erster aktiv. Er wollte die technische Seite des Fernsehens allein in der Hand behalten, d.h. jeden Einfluß von Goebbels' Propagandaministerium und seinem schrillen Reichssendeleiter ausschalten; vielleicht hatte er auch noch den verlorenen Streit um die Rundfunkgebühren vom Sommer 1933 im Kopf.

Einen Verbündeten fand er im Reichsluftfahrt-Ministerium von Göring, der Goebbels Ministerium ohnehin für ein „Nachtwächter-Ministerium" hielt. Hinter Goebbels Rücken setzten beide den „Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Zuständigkeit auf dem Gebiete des Fernsehwesens" vom 12. Juli 1935 durch: „Die weitere Entwicklung des Fernsehwesens erfordert dringend eine Zusammenfassung der staatlichen Zuständigkeiten in einer Hand. Mit Rücksicht auf die besondere Bedeutung des Fernsehwesens für die Flugsicherung und den nationalen Luftschutz ordne ich daher an: Die Zuständigkeiten auf dem Gebiete des Fernseh wesens gehen auf den Reichsminister der Luftfahrt über, der sie im Benehmen mit dem Reichspostminister ausübt."

Von Goebbels Propagandaministerium war keine Rede. Die seit dem 16. März 1935 eingeführte Allgemeine Wehrpflicht und Hitlers Aufrüstungspläne hatten Görings Einfluß bei ihm verstärkt, so daß Goring bei Hitler leichtes Spiel hatte, indem er darauf hinwies, daß durch die Experimente der dem Propagandaministerium unterstellten RRG mit der Fernsehtechnik die Entwicklung von Radargeräten und damit die Flugsicherung gefährdet sei. Goebbels fühlte sich natürlich hintergangen. Erwies auf die bereits laufenden regelmäßigen Fernsehsendungen der RRG hin, auf die bestehenden Fernsehstuben, auf die Zugehörigkeit des Fernsehens zur Kultur allgemein und damit insbesondere auf die Zuständigkeit des Propagandaministeriums.

 

Reichsgesetzblatt

 

„Darüber hinaus möchten wir Sie bitten, beim Führer wegen dieser Angelegenheit vorstellig zu werden und ihn zu bitten, eine Ergänzung seiner Verordnung vom 12. Juli 1935 dahin vorzunehmen, daß das Fernsehen, soweit es im Rundfunk Verwendung findet, unter die Zuständigkeit des Reichspropagandaministers fällt und daß im übrigen die Zuständigkeiten auf dem Gebiete des Fernsehwesens nicht nur im Benehmen mit dem Reichspostminister, sondern auch mit dem Benehmen des Reichspropagandaministers ausgeübt werden." - schrieb Goebbels Staatssekretär Funk an den Chef der Reichskanzlei Lammers. Goebbels Einspruch hatte Erfolg: Schon am 6. August 1935 hob Hitler seinen Erlaß wieder auf und bestimmte in einem Ergänzungserlaß vom 11. Dezember 1935 die endgültigen Zuständigkeiten. Die Bedeutung, die die Militärs dem Fernsehen beimaßen, geht aus dem ersten Absatz hervor, der das Fernsehen der „Sicherung der Luftfahrt, des Luftschutzes und der Landesverteidigung" unterordnete. Und natürlich durch die einbeziehende Unterschrift des Kriegsministers. Es dauerte noch ein halbes Jahr, bis sich im Juni 1936 Post und Propagandaministerium auf die „Dienstanweisung für den Fernsehbetrieb" einigten. 

„Im Gegensatz zur Studiotechnik des Rundfunks, die ausschließlich zum Arbeitsbereich der Techniker der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft gehörte, stellte die Post die technischen Fernseheinrichtungen wie Filmgeber, Abtaster und Mikrophone der RRG zwar zur Verfügung, wartete und bediente aber sämtliche Geräte selbst. Der Betriebsablauf der Sendungen mußte bis in Details zwischen dem von der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft berufenen Programmleiter und dem von der Post bestellten technischen Leiter festgelegt werden. Die Posttechniker hatten, da nur sie Mikrophone, Beleuchtungs- und Schalteinrichtungen zum Abhören und Mischen bedienten und über die Qualität von Bild und Ton bestimmen durften, immer das letzte Wort." 

Das Jahr 1935 brachte durch das „Zeilensprungverfahren" für den Empfang und durch das „Zwischenfilmverfahren" für die Möglichkeit von Außenübertragungen entscheidende Verbesserungen. Bis dahin wurde, sicher auch von einigen der nörgeligen Gäste Kurt Wagenführs, am häufigsten das Flimmern der Fernsehbilder bemängelt, das besonders dann auftrat, wenn der Bildschirm hell war. „Die Ursache: Wenn der Leuchtpunkt bei seinem raschen hin- und her Weg unten am Bildrand angekommen ist, sind die obersten Zeilen bereits verblaßt, obwohl die vom Elektronenstrahl getroffenen Stellen des Bildschirms eine kurze Zeitspanne lang nachleuchten. Die Bildhelligkeit wechselt also bei jedem Einzelbild von oben nach unten verlaufend, wodurch derEindruckdes Flimmerns entsteht. Ein findiger Kopf kam nun auf die Idee, den Elektronenstrahl so zu lenken, daß er bei seinem ersten Weg über die ganze Bildfläche jedesmal eine Zeile ausläßt und diese bei seinem zweiten Weg - wieder von oben beginnend - nachzieht.

Würde man die einzelnen Zeilen fortlaufend numerieren, so würde der Leuchtpunkt erst alle mit ungeraden Zahlen bezeichneten Zeilen ziehen und dann die Malarbeit für die gradlinigen Zeilen nachholen. So wird der Schirm in jeder fünfzigstel Sekunde mit halber Zeilenzahl zum Aufleuchten gebracht. Der von oben nach unten fortschreitende Helligkeitswechsel geht doppelt so rasch vor sich wie bei dem ursprünglichen Verfahren. Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß bei der senderseitigen Abtastung des zu übertragenden Bildes entsprechend vorgegangen werden muß. Zur Umlenkung des Elektronenstrahls und mithin des Leuchtpunktes nach Beendigung eines Zeilenablaufs muß die Stromrichtung in den Ablenkspulen jedesmal umgekehrt werden. Um das zu erreichen, bedient man sich eines Kippapperates - einer vollautomatisch arbeitenden elektrischen Umlenkeinrichtung. Das Gerät kippt die Stromrichtung in den Ablenkspulen stets zur rechten Zeit um. Auf diese Weise bietet die übliche Übertragung von 25 Bw/sec unserem Auge scheinbar 50 Bildwechsel, die ausreichend flimmerfrei empfunden werden. Dieses Zeilensprungverfahren wird bis heute flimmerfrei empfunden werden. Dieses Zeilensprungverfahren wird bis heute aus nahmslos bei allen Fernseh-Systemen angewandt.

 

 Schema Zeilensprung

Schema Zeilensprung

 

Zeilensprung und Zwischenfilmverfahren

Der findige Kopf, der sich schon 1930 die ldee für das Zeilensprungverfahren hatte patentieren lassen, war übrigens Fritz Schröter, der Mentor von Karolus bei Telefunken. Fernseh-Reportagen, d.h. Aufnahmen von aktuellen Ereignissen, die nicht im Studio, sondern an einem beliebigen anderen Ort und noch dazu im Freien, stattfinden, waren möglich geworden durch das 1934 von der Fernseh AG entwickelte „Zwischenfilmverfahren". Der Name kommt daher, daß bei diesem Sendeverfahren das zu übertragende Ereignis zuerst auf einen Film aufgenommen, danach abgetastet und gesendet wurde. Die Fernseh AG hatte „Zwischenfilmgeber" genannte Apparaturen entwickelt, eingebaut in spezielle mobile „Fernsehaufnahmewagen", wodurch es gelang, die Pause zwischen Aufnahme des Films und seiner Übertragung durch den Fernsehsender so weit zu verringern, daß es praktisch einer „Live-Übertragung" gleichkam.

In diesem „Spezialgerät" wurde eine 60 m lange endlose Blankfilmschleife mit einer lichtempfindlichen Gelatine-Emulsion beschichtet. Nach einer Trockenzeit von 2 Minuten durchlief sie ein Bildfenster, wo sie mit dem zu projizierenden Fernsehbild im Umkehrverfahren belichtet wurde. Nach einem anschließenden Durchlauf durch ein Entwicklungs-, Fixier- und Wässerungsbad konnte der Film 65 Sekunden nach der Aufnahme als fotografisches Positiv projiziert werden. Anschließend wurde die Gelatineschicht wieder abgewaschen und so dann der Blankfilm getrocknet und erneut beschichtet. Der dazugehörige Ton wurde magnetisch gespeichert und künstlich verzögert, so daß er mit dem Bildlauf synchronisiert war. Später benutzte man Fertigfilm anstelle der immer wieder beschichteten endlosen Filmschleife.

 

 Schema Zwischenfilm-Fernsehsender

Schema Zwischenfilm-Fernsehsender

 

Es wurden Überlegungen angestellt, auch auf der Empfangsseite einen „Zwischenfilmempfänger" zu benutzen. „Die ankommenden Wellen werden von der Antenne aufgenommen und einem Ultrakurzwellen-Bildempfänger 1 zugeführt, der beispielsweise eine Punktlichtglimmlampe 2 aussteuert. Auf die Glimmlampe folgt die Lochscheibe 3. Um eine größere Lichtausbeute zu erzielen, ist in der Abbildung eine Linsenscheibe vorgesehen, die ein punktförmiges Bild der Lichtquelle über den Film 4 wandern läßt. Da das Licht im Takt der Sendermodulation schwankt, wird dieser Film genau in der gleichen Weise belichtet wie der Film, der die Trägerwelle des Senders gesteuert hat. Die Folge ist, daß auf dem Film 4 der Empfangsanordnung das gleiche Bild entsteht, natürlich zunächst unsichtbar wie bei jeder Filmaufnahme.

Deshalb durchläuft der Film 4 nach der Belichtung das Entwicklungsbad 5, das Wasserbad 6 und das Fixierbad 7. Dann wird er getrocknet und nun werden die Bilder in der aus den Kinos bekannten Weise durch den Projektor 8 auf den Bildschirm 9 geworfen, auf dem so alle Vorgänge, die das Sendegerät festgehalten hat, eine Minute nach der Aufnahme des Originalfilms erscheinen. Ist die Projektion erfolgt, so kann man den Film auf eine Trommel spulen und beiseite legen. In diesem Fall verbraucht man aber natürlich verhältnismäßig viel Filmmaterial. Infolgedessen geht man in der Praxis, statt den Film aufzuspulen, so vor, wie es die Zeichnung veranschaulicht. In dieser Apparatur bildet der Film eine endlose Schleife, die ständig umläuft. Hat der belichtete Film den Projektor 8 passiert, so geht er durch das Säuberungsbad 10, in dem die belichtete Schicht abgewaschen wird. Der saubere Film, der nun wieder einen blanken Zelluloidstreifen darstellt, wandert dann durch das Bad 11, das ihn mit einer neuen lichtempfindlichen Schicht versieht. Sobald diese Schicht trocken ist, kann der Film wieder belichtet werden.

 

Schema Zwischenfilm-Femsehempfänger

Schema Zwischenfilm-Femsehempfänger

 

Bild: Reichs Rundfunk

 

Bild: Reichs Rundfunk

 

Bild: Reichs Rundfunk

 

Bild: Reichs Rundfunk

 

Bild: Reichs Rundfunk

 

Kamera für Zwischenfilmverfahren

 Kamera für Zwischenfilmverfahren

 

Kamera für Zwischenfilmverfahren

 

Kamera für Zwischenfilmverfahren

 Filmentwicklung im Wageninnern

 

Die TV Filmentwicklung im Wageninnern

 

Die TV Filmentwicklung im Wageninnern

 

Die TV Filmentwicklung im Wageninnern

 

Die TV Filmentwicklung im Wageninnern

 

Wird keine Endlosschleife, sondern für jede Übertragung neues Filmmaterial benutzt, kann man sich also ein Archiv anlegen: Der „Zwischenfilmempfang" als Urahne von Video! Nur war es wohl nicht jedermanns Sache, im eigenen Wohnzimmer, das für die nicht gerade kleinen Apparaturen auch genügend Platz bieten mußte, ständig mit Entwicklungs- und Fixierflüssigkeiten zu hantieren. Deshalb beschränkten sich diese Überlegungen denn auch auf Großprojektionen in Kinos zum Beispiel. Der erste propagandistische Einsatz eines Zwischenfilmwaqens fand am 30. April 1935 statt. Anlaß war die Generalprobe für die 1.Mai Feier auf dem Tempelhofer Feld am folgenden Tag. In einer vorhergehenden Pressekonferenz hatte das Propagandaministerium die Presse um ausdrückliche Teilnahme an dieser „sensationellen Vorführung" ersucht, da es „die Fernseharbeit der Reichssendeleitung mit Nachdruck in der Presse vertreten sehen möchte." 

 

Funktechniker Vorwärts

 

„Es waren 87 Journalisten eingeladen. In einem kleinen Zimmer des Berliner Lokals, das "Jägerklause" hieß, waren zwei Fernsehempfänger aufgebaut. Anwesend waren neben den Technikern der Reichssendeleiter, sein Vertreter Boese, der RRG- Direktor Hubmann, die drei Berichter E. R. Dietze, Fred Krüger und RoIf Wemicke, also erste Besetzung, die auf Politik, Technik und hohe Aktualität schließen ließ; dazu waren noch anwesend Walter Schulze (Reichspropagandaleitung der NSDAP/München) und Walter Schulze-Wechsungen (Gaupropagandaleiter der NSDAP, Gau Groß-Berlin), die beide als Vertreter des Führers' Sprechproben von der Rednertribüne durchführten.

Die Ansage sprach Boese: "Achtung! Achtung! Reichs-Rundfunk-Gesellschaft Berlin, Fernsehprogrammbetrieb der Reichssendeleitung. Die Fernsehbetriebstechnik der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft versucht eine nicht öffentliche Propagandaübertragung. Wir nehmen heute den ersten Fernsehübertragungswagen der Welt in den praktischen Programmbetrieb. In Zusammenarbeit mit der Firma Telefunken und der Fernseh AG ist dieses neue Wunder der Technik möglich geworden. Ohne Beteiligung weiterer Behörden hat damit die Reichs-Rundfunk-Gesellschaft einen erneuten Beweis ihrer organisatorischen und technischen Leistungsfähigkeit erbracht." 

Obwohl die Übertragung klappte, wurden die Nazi-Feierlichkeiten zum 1. Mai am folgenden Tage übrigens nicht im Fernsehen übertragen. Während weltberühmte deutsche Wissenschaftler wie Albert Einstein oder Arthur Korn „entlassen, verfolgt und verjagt wurden, machten die Nazis aus einem senilen Rentner einen reinrassig deutschen Fernseh-Genius."  Als am I. Mai 1935 die deutschen Abeiter unter der Hakenkreuzfahne durch die Städte und Dörfer marschierten, hielt in Berlin ein glücklicher alter Mann ein Telegramm in seinen Händen, das seine großen Verdienste würdigte. Er erhielt einen Ehrensold und wurde Ehrenpräsident der Fernsehgemeinschaft, welche die führenden Männer des Rundfunks, der Wissenschaft und der Wirtschaft umfaßt." 

Paul Nipkow: Nach ihm wurde am 29. Mai 1935 der Fernsehsender Berlin-Witzleben in „Fernsehsender Paul Nipkow" umbenannt. Hitler und Goebbels schickten ihm Ehrungstelegramme, die Deutschen hatten endlich wie schon in Bredow den „Vater des Rundfunks" - in Nipkow ihren „Vater des Fernsehens" gefunden.

Hadamowsky: „Wir sind unendlich stolz darauf, daß dieser Mann ein Deutscher ist und daß damit wie vor einem halben Jahrtausend ein Deutscher die grundlegende Erfindung für eine neue Kulturepoche schuf, nämlich den Buchdruck, nun wiederum ein Deutscher, der heute noch in unseren Reihen steht, die grundlegende Erfindung einer neuen Kulturepoche geschaffen hat." 

 

Stations-Dia des „Fernsehsenders Paul Nipkow

Stations-Dia des „Fernsehsenders Paul Nipkow "

 

Die Übertragung dieser bemerkenswerten Worte anläßlich der feierlichen Eröffnung des „Fernsehsenders Paul Nipkow" durch den zweiten Einsatz des Zwischenfilmwagens war allerdings „ein Mißerfolg, weil der starke Tonbildsender der DRP, der an jenem Vormittag zufällig für Versuchssendungen lief, die Bild- und Tonübertragung mit den beiden 20-W-Reportagesendern des Zwischenfilmwagens bis zur Unbrauchbarkeit störte." Ob dieses „Störmanöver" der Post wirklich so zufällig war, ist aus den zugänglichen Quellen nicht ersichtlich. Vorstellbar ist zumindest, daß sich die Post-Techniker für die Rede von Boese am 30. April rächen wollten, in der er betont hatte, daß die RRG weder Post noch andere Behörden für ihre Übertragungen brauche.

Einen weit größeren Rückschlag erlitt die Fernsehentwicklung während der „12. Großen Deutschen Rundfunkausstellung Berlin 1935" (16. - 25.August). In der Funkhalle IV hatte die RRG zum ersten Mal eine Fernseh-Straße aufgebaut: Je fünf Geräte der Firmen Telefunken, Fernseh AG, Radio AG D. S. Loewe, zwei von TeKaDe und Lorenz und einer der Firma C. H. F. Müller aus Hamburg ermöglichten den Ausstellungsbesuchern den direkten Vergleich der Bildqualität, denn sie strahlten das drahtlose 180-Zeilen-Bild des Senders mit je einer besonderen Stabantenne aus. Diese Halle, die aus hochfrequenztechnischen Gründen ganz aus Holz errichtet worden war, brannte am Abend des 19.August vollständig ab: Auf einem der Firmenstände (vermutlich Telefunken) soll sich eine Filmspule damals aus leicht brennbarem Acetat - vermutlich durch Rauchen entzündet und explosionsartig die ganze Halle in Brand gesetzt haben. Es gab ein Todesopfer, einen Telefunken-Mitarbeiter, und sehr hohen Sachschaden:

Die ausgestellten Fernsehempfänger und die für das Fernsehprogramm benutzten zwei UKW - Sender der Post wurden vollständig zerstört. Mit Hilfssendern, die allerdings nur zwei Fernsehstuben in Berlin mit dem Programm der RRG versorgen konnten, wurden die Ausstrahlungen des Fernsehprogramms bis Dezember 1935 aufrechterhalten. Am 23. Dezember 1935 standen zwei neue, von Telefunken gebaute UKW-Sender (14kW) zur Verfügung, die am 15. Januar 1936 mit einem Festprogramm in Betrieb genommen wurden. Am Vortag hatte das RPZ in Übereinstimmung mit Hitlers zweitem Fernseher laß vom Dezember 1935 den eigenen Programmbetrieb eingestellt und der RRG sein Studio in der Rognitzstraße zur Programm-Produktion überlassen. Damit war der Übergang von Versuchssendungen zum regelmäßigen Programmdienst vollzogen. Das tägliche, zweistündige Programmangebot (20.00 - 22.00 Uhr) bestand zur Hälfte aus Live-Sendungen, die zweite Hälfte blieb dem Tonfilm Vorbehalten, wie es das Festprogramm vom 15. Januar zeigt. Im Verlauf des Jahres 1936 festigte sich das Programmschema folgendermaßen:

1. Aktueller Bildbericht
2. Künstler stellen sich vor
3. Ausschnitte aus Tonfilmen
4. Kulturfilme

 

Festprogramm vom 15. Januar 1936

Festprogramm vom 15. Januar 1936

 

Im Sommer 1936 wurde ebenfalls in der Rognitzstraße ein zweites Studio gebaut, das mit ca. 8 qm etwa 5 mal größer war als die erste 1,5 qm grosse Abtastzelle. Durch den leicht ansteigenden Studioboden konnten mit dem Mechau-Linsenkranzabtaster von Telefunken (statt Nipkowscheibe rotierende Trommeln mit 180 Mikroskop Objektiven) - schon Großaufnahmen gemacht und kleine Stücke mit 3 - 6 sich bewegenden Personen aufgeführt werden.

 

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Das heißt, bewegen ist eigentlich ein bißchen viel gesagt, denn die ,Bühne' jener kleine schwarze Raum, den der Abtaster umfassen konnte, war so winzig klein, daß ein größerer Schritt bereits aus dem Bild herausführte. Weiße Holzleisten begrenzten diesen Spielraum, und stets mußte jemand auf dem Boden sitzen, um eventuellen ,Grenzübertritten' vorzubeugen. Ein neuer Inspizient hatte einmal diese Aufgabe zu erfüllen, während über seinem Kopf die ,Schiffsbar auf der Oceana' aufgebaut war. Eine Stewardess hatte gerade ein Glas zu putzen ein extra dickes, massives Glas, sonst wäre es vielleicht unsichtbar geblieben in der Dunkelheit, verfehlte sie die Tischplatte, das Glas fiel auf den auf dem Boden sitzenden Inspizienten aufs linke Auge. Etwas später reichte man ihm eine Schiffshupe, mit der er die Abfahrt signalisieren sollte anstatt in seiner Hand landete sie in seinem rechten Auge. Und da aller guten Dinge drei sind, stolperte einige Minuten später ein Akkordeonspieler und schlug dem Mann unterm Tisch sein Instrument mitten ins Gesicht.

Bevor sich die Aufnahmesituation für Schauspieler und Inspizienten im Studio verbesserte, trieb die Zusammenarbeit von Industrie und Nazi-Führung die Fernsehentwicklung der Außenübertragungen voran. Die faschistischen Machthaber wollten die vom 1.-16. August 1936 in Berlin stattfindende Sommer-Olympiade zu einem Propaganda Feldzug für Deutschlands Größe nutzen; zu dieser positiven Selbstdarstellung sollte nicht nur die Durchführung der Spiele generell verhelfen, sondern auch ihre Übertragung im Fernsehen.

1935 hatte Telefunken angefangen, nach dem von Zworykin entwickelten „Bildspeicherrohr-Abtaster" Ikonoskop-Kameras, also vollelektronische Bildzerleger, zu bauen. Die speziell für die Olympiade angefertigte Ikonoskop-Kamera, wegen ihrer Ausmaße „Fernseh-Kanone" genannt, war im Olympia Stadion unterhalb der Ehrentribüne am Rand der Aschenbahn - 10 m vor der Ziellinie und 70 m von der Mitte des Stadions entfernt aufgebaut worden. Sie arbeitete wahlweise mit 3 Objektiven 25, 90 und 160 cm Brennweite. (Das Leitz-Objektiv von 1,60 m Brennweite besaß einen Linsendurchmesser von 40 cm und ein Gewicht von 45 kg). Die Gesamtlänge der Kamera bei eingesetztem Teleobjektiv betrug 2,20 m. Der Kameramann konnte das optische Bild über einen Winkelspiegel parallaxenfrei auf der Mosaikkathode betrachten und scharfeinstellen. Zur Bedienung der Olympia-Kamera waren 5 Personen erforderlich, von denen zwei ständig an der Kamera tätig waren, zwei die Verstärkeranlage überwachten und einer beim Objektivwechsel half.

 

Telefunken - Dienstanweisung für Fernseh-Reparaturen

 

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Telefunken - Dienstanweisung für Fernseh-Reparaturen

  

Fernseh-Kanone von Telefunken

„Fernseh-Kanone" von Telefunken

 

Die Kamera war mit dem zugehörigen Speisegestell durch ein 30 m langes Kabel verbunden. Übrigens hatte Walter Bruch an der Konstruktion dieser Kamera mitgewirkt und sie auch teilweise während der Übertragungen bedient. Die Fernseh AG hatte nach dem von dem Amerikaner Philo T. Farnsworth 1934 entwickelten Bildsonden-Abtaster eine sog. Farnsworth-Kamera gebaut, die über dem Maratontor aufgestellt wurde.

Anmerkung: Diese Kameras verwandeln einen abzubildenden Gegenstand in seiner Gesamtheit in ein Elektronenbild, brauchen für Aufnahmen im Freien viel Sonnenlicht, genügen den Anforderungen einer höheren Zeilenzahl nicht und wurden deshalb später nicht mehr verwendet.

Eine dritte elektronische Kamera mit Bildspeicherröhre (Ikonoskop), die vom RPZ entwickelt worden war, stand in der Zuschauertribüne des Schwimmstadions. Außerdem hatte das RPZ noch einen Zwischenfilmwagen mit Filmkamera eingesetzt. Die Bildsignale dieser vier Kameras (zum Vergleich: Bei der Olympiade 1922 in München waren 120 Kameras in Betrieb) wurden über Breitbandkabel zum RPZ-Studio in der Rognitzstraße übertragen. Mit dem dort aufgestellten Mischpult konnte das auszusendende Signal, d.h. das auszustrahlende Fernsehbild, ausgewählt und auf den Fernsehsender am Funkturm gegeben werden. Diese Live-Übertragungen vom Reichssportfeld hatten immerhin eine tägliche Dauer von acht Stunden: wie üblich abends von 20.00 - 22.00 Uhr, dazu von 10.00 - 12.00 und 15.00 - 19.00 Uhr. Wie perfekt schon ein Sendeablauf geplant war, zeigt der folgende Auszug aus dem „Olympia-Programm" der RRG.

 

Olympiade 1936

„Eröffnungsfeier 1. August 1936 Ansage aus dem Fernseh-Senderaum Rognitzstraße: ,Achtung! Achtung!` Hier ist der Fernsehsender Paul Nipkow Berlin, mit Ton auf Welle 7,06 Meter und mit Bild auf Welle 6,77 Meter mit der Olympia-Sondersendung. Es senden gemeinsam die deutsche Reichspost, die deutsche Fernseh Industrie und der Fernseh Programmbetrieb direktes Übertragen der wichtigsten Kampf-Phasen von den Olympischen Kampfstätten und in Abwechslung Darbietungen erster deutscher Künstler mit Tonfilmen der Film Industrie und des aktuellen Bilddienstes, des Fernsehsenders Paul Nipkow, Berlin'. Am heutigen Tage der feierlichen Eröffnung der XI. Olympischen Sommerspiele beginnen wir mit einer Filmsendung von den Vorbereitungen der Olympischen Spiele und werden anschließend auf das Maifeld umschalten, um Ihnen einen Stimmungsbericht vom Reichssportfeld zu verschaffen. 'Einsetzen des UFA Films, Vorbereitungen der Olympischen Spiele'.

Ansage aus dem Fernseh-Senderaum Rognitzstraße: ,Achtung! Achtung! Der ,Fernsehsender Paul Nipkow, Berlin' zeigte in seiner Sondersendung den Sportfilm der UFA, Vorbereitungen der Olympischen Spiele'. Wir schalten nunmehr auf das Reichssportfeld um. Es melden sich auf der 1. Ü.-Stelle, auf dem Zwischenfilmwagen, der Ansager Graebke: ,Achtung! Achtung! Hier ist der Fernsehsender Paul Nipkow Berlin mit dem Beginn der direkten Übertragung von den Olympischen Kampfstätten.' Danach Einschaltung des Bildes und Bildbericht des Sprechers Graebke in Übereinstimmung mit der Fernseh-Technik.

Ca. 16.00 Uhr: Ü-Stelle II, oberer Umgang im Stadion: In dem Moment, wo die Spitze erscheint, sofort Aufnahmen mit der Farnsworth-Kamera. Danach Ü-Stelle III im unteren Umgang die Aufnahmen abnehmen und kurz ein Gesamtbild bringen mit dem Fünfhunderter-Objektiv. An Ü-Stelle II, Farnsworth-Kamera, oberer Umgang, steht der Sprecher Marek und schildert die sich ergebenden Bilder. Marek muß sich bei Müller oder Boese genau Orientierung über Persönlichkeiten des Gefolges etc. verschaffen. Die Schilderung des Gefolges hat demnach nicht durch den Sprecher Graebke auf dem Zwischenfilmwagen der Ü-Stelle 1 zu erfolgen. Leitung auf Ü-Stelle 2 oberer Umgang im Stadion hat Marek.

16.09 Uhr: spielt die Musik die ,Olympia-Fanfare' von Herbert Windt.

16.12 Uhr: erfolgt das Kommando ,Heißt Flagge!' Eine Abteilung der Kriegsmarine hißt auf sämtlichen Masten des Stadions die Flaggen der beteiligten Nationen. Die Olympia-Glocke läutet. All dies wird von der Ü-Stelle II, der Farnsworth-Kamera, mit Sprecher erfaßt und gesendet. Umschalten auf Ü-Stelle I, Zwischenfilmwagen: Beim Ausklingen der Olympia Glocke beginnt der Einmarsch der Aktiven: Zuerst Griechenland, zuletzt Deutschland, begleitet von Militärmärschen.

Dauer des Einmarsches bis ca. 16.55 Uhr. Dazu folgende Musikstücke: Yorkscher Marsch, Königgrätzer Marsch,Kaiser-Friedrich-Marsch, Regimentsmarsch, Alexander-Marsch, Hellenen-Marsch, Fridericus-Rex-Marsch. Der Einmarsch der Nationen wird in Ablösung von der Zwischenfilm-Ü-Stelle wechselseitig von Ü-Stelle oberer Umgang und Ü-Stelle unterer Umgang erfaßt. Hierfür sorgt das Reichspost-Zentralamt im Einvernehmen mit Oberingenieur Beckmann von der Reichs-Rundfunk-Gesellschaft, Mikrofonanschließung zur Erfassung der Musik unter gleichzeitiger Anschaltung eines Mikrofons zur Erfassung der Vorgänge am Rednerpult der Ansprachen und der Eidesleistung. 

16.55 Uhr: Rede Coubertins, Ansprache des Präsidenten des O.K., Excel Lenz Lewald.

17.04 Uhr: Anschließend wird die Olympische Flagge gehißt. Achtung, dies erfaßt die Ü-Stelle 2, die Farnsworth-Kamera, mit Erklärung des Sprechers Marek. Die Artillerie-Abteilung schießt Salut. Tausende von Brieftauben werden abgelassen.

17.05 Uhr: Olympische Hymne von Richard Strauß. Bitte an Postrat Harder, Mikrofon an den Rundfunk anzuschließen, damit das Fernsehen die Tonführung erhält.

17.11 Uhr: Wichtig für die Sprecher: Eintreffen des Fackelläufers am Osttor.

17.11 Uhr: Erfassung durch Ü-Stelle III im unteren Umgang: Der Fackelläufer läuft über die südliche Aschenbahn zum Westtor.Achtung, Erfassung durch Ü-Stelle 2, Kamera im oberen Umgang: Der Fackelläufer erscheint an der Olympia-Feuersäule und entfacht das Feuer.

17.15 Uhr: Der Marathon-Sieger Olympia, 1896, Louis, überreicht einen Ölzweig von Olympia. Ü-Stelle 2 muß versuchen, das zu erfassen.

17.20 Uhr: Ü-Stelle 3 im unteren Umgang hat 500- oder 900-Objektive auf die Rednerkanzel gerichtet, die nunmehr Ismayer als Eidessprecher betritt. Ismayer spricht den Eid. Die Mannschaften leisten den Eid.

17.21 Uhr: Musik spielt das Halleluja von Händel. Anschließend beginnt Ausmarsch der Teilnehmer durch den Marathon-Tunnel. Sprecher erklären die Vorgänge. Umschalten auf Zwischenfilmwagen U-Stelle I. Sprecher Graebke schildert das Zurückfluten der Mannschaften und sagt abschließend: ,Achtung, Achtung! Der Fernsehsender Paul Nipkow, Berlin brachte versuchsweise zum ersten Male in Deutschland und als gewaltigstes Ereignis in der Welt die direkte Fernsehübertragung der feierlichen Eröffnung der XI. Olympischen Sommerspiele. Wir beenden nunmehr die heutige direkte Übertragung von den Olympischen Kampfstätten und schalten in die Femsehsenderäume um. Sie hören und sehen in Wechselfolge künstlerische Darbietungen und Tonfilme.' Danach Umschalten auf Rognitzstraße. In Rognitzstraße meldet sich der Ansager Bublitz: ,Der Fernsehsender Paul Nipkow, Berlin setzt das Sonderprogramm Olympia durch direktes Senden von Künstlern fort. Sie sehen und hören den griechischen Tenor Lysandro Joannides. 

Erstaunlich, wie die Umschaltungen und Übertragungen der ersten elektronischen Außenaufnahmen trotz der sehr kurzen Vorbereitungszeit für die Techniker klappten. An die nicht technischen Hindernisse, die es dabei zu überwinden galt, erinnert sich Walter Bruch: „In erbittertem Kampf mit dem Architekten, der sein Stadion durch kein technisches Gerät verunzieren wollte, war der Platz für ihre Aufstellung der großen Ikonoskop-Kamera ausgehandelt worden. Dazu mußte eigens eine Blechattrappe hergestellt werden, mit der geprüft wurde, ob die Kamera den Blick von der Führer-Loge zum 100-m-Ziel nicht behindert. Von einem Bunker unterhalb der Kampfbahn bedient, durfte sie jedoch den Umgang des Stadions nur um einige Zentimeter überragen. Sie mußte also ihre Bilder aus der Froschperspektive aufnehmen. Trotz dieser Beschränkung war der Aufstellungsort gut gewählt - außerdem erhöhten die Techniker sofort nach der Eröffnung durch vorbereitete Zwischenringe die Stativsäule unerlaubt um 20 cm." 

 

Abtaster für Fernseh-Sprechdienst

Abtaster für Fernseh-Sprechdienst

 

In den 25 Berliner Fernsehstuben, der einen in Potsdam und zwei Empfangsstellen in Leipzig (durch Kabel seit 1. März 1936 mit Berlin verbunden: Eröffnung des Fernseh-Sprech-Abtaster für Fernsehdienstes, d.h. Telefonzellen mit Bildschirm-Sprechdienst mit Sicht des Gesprächspartners) sollen 162.228 Besucher die Olympia-Übertragungen gesehen haben, d.h. im Schnitt rund 10.000 pro Tag. Wieviel Ausländer darunter waren, geht aus der Statistik nicht hervor. Umgerechnet auf die 28 Fernsehstuben heißt: Jede Fernsehstube hatte pro Tag während der Olympischen Spiele rund 360 Besucher. Das ist sicherlich keine übermäßig hohe Zahl, die auch im offiziellen Schrifttum der Zeit nicht ausgeschlachtet wurde. Organisatorisch unterstanden die Fernsehstuben der Reichspropagandaleitung der NSDAP und da der Hauptstelle Reichspropaganda mit ihrem Hauptstellenleiter Hadamowsky dessen Nazi-Blitzkarriere zu der Zeit ihren Höhepunkt bereits überschritten hatte. 

 

Organisation des Fernsehsenders 

 


Organisation des Rundfunks ab 1937

Organisation des Rundfunks ab 1937

 

Die Demonstration technischer Möglichkeiten war über die Erfordernisse des sportlichen Ereignisses weit hinausgegangen. Die eindrucksvolle Leistungsschau deutscher Technik sollte davon ablenken, daß die Kriegsvorbereitungen bereits auf Hochtouren liefen. Zehn Tage nach den Olympischen Spielen, „die die Bande der Freundschaft unter den Völkern stärken" sollten, so Goebbels, wurde die Dienstzeit der deutschen Wehrmacht auf zwei Jahre erhöht, und an den Herbstmanövern 1936 nahmen zum ersten Male zivile Berichterstatter des Hörfunks teil. Mit der Arbeit dieser vom Propagandaministerium abgestellten Rundfunkreporter wollte man Erfahrungen für eine künftige „Kriegspropaganda" sammeln. Die technischen Leistungsanstrengungen im Vorfeld und während der Olympiade hatten dazu geführt, daß die Programmarbeit weiterhin als Stiefkind behandelt wurde. Als aus Großbritannien das Gerücht zur Gewißheit wurde, daß die BBC im November 1936 mit einer durchdachten Programmkonzeption und einer hochzeiligen (405) vollelektronischen Technik den regelmäßigen Fernsehprogrammdienst eröffnen wollte, wurde auch die RRG wach.

Bisher waren Boese und zwei weitere nebenamtliche Mitarbeiter der Reichssendeleitung für die Abwicklung des Programms verantwortlich gewesen; die Arbeit machten rund ein Dutzend hauptamtlicher Mitarbeiter, denen 1936 ca. 300.000 RM an Programmmitteln zur Verfügung standen, 1937 waren es rund 700.000 RM. Im Vergleich zu diesem geringen Etat: Die Post investierte in die Anlage-und Forschungsmittel für die Fernsehentwicklung 1937 18 Millionen und 1938 waren es 23 Millionen RM.

 

Abtastzelle einer Fernseh-Sprechzelle

Abtastzelle einer Fernseh-Sprechzelle

 

Anfang 1937 kam es in der politischen Rundfunkspitze zu Neuregelungen, die auch die Fernseh-Abteilung betrafen. Am 19. März 1937 richtete Goebbels die Stelle eines Generaldirektors und Reichsintendanten des deutschen Rundfunks ein, der zugleich Vorsitzender der RRG und mit Dr. Heinrich Glasmeier, dem bisherigen Intendanten des Kölner Senders, besetzt wurde. Damit hatte der politisch bereits schwer angeschlagene Hadamowsky einen direkten Vorgesetzten bekommen, was einer Entmachtung gleich kam. Glasmeier machte aus der bisherigen Fernseh-Abteilung einen selbständigen Fernsehsender und berief am 1. Mai 1937 den 28 jährigen Reichsfilmdramaturgen und früheren Kulturredakteur des „Angriff", Hans-Jürgen Nierentz, zum Intendanten. Der Personalbestand vergrößerte sich bis November 1938 auf 37 Mitarbeiter. Einer von ihnen, der Dramaturg Arnolt Bronnen, beschreibt Nierentz als labilen Egozentriker: „Nierentz war unerzogen, haltlos, in bornierten Haß- und Rachegefühlen herangewachsen. Die ,Maul auf und schrei!'-Lyrik der ersten Jahre des Nationalsozialismus hatte ihm zahlreiche Gedichte entlockt, die mangelnde Anerkennung seitens der zünftigen Poesie hatte ihn mit dem schwierigen Ressentiment des kleinen Spießers gegenüber jeder Art von Geist erfüllt." 

1939 wurde Nierentz vom Dienst suspendiert und in eine Heilanstalt eingewiesen. Sein Nachfolger wurde Dr. Herbert Engler; ab 1944 fungierte als 4. Intendant- zumindest auf dem Papier - Harry Moss.

 

Gehatsgruppen

 

 Gehatsgruppen

 

Gehatsgruppen

 

Der Intendanz unterstanden fünf Abteilungen:

1. die Sendeleitung (Willi Bal, dann Julius Jacobi) mit: dem Leiter vom Dienst (G. Greimer), den Sprechern (H. W. Bublitz, H. Piper);
2. die Oberspielleitung (Leopold Hainisch, dann Hanns Farenburg) mit: den Regisseuren (B. Reisner, H. Küpper, W. Oehlschläger), der Dramaturgie (Arnolt Bronnen, Dr. Wahnrau, Lore Weth), dem Besetzungsbüro (H. Tetzlaff), den Inspizienten IW. Neusch, H. Mähnz-Junkers), der Musikabteilung (R Noack-Ihlenfeld, Rio Gebhard), der Ausstattung (Heinz Monnier, K. H. Joksch), der Werkstatt, den Gewandmeistern, Requisiteuren und den Maskenbildnern;
3. der Zeitdienst 1936 W. Bublitz, dann auch Alfred Braun und Czymansky) mit den als freie Mitarbeiter tätigen Reportern (u.a. R. Dietze, Elena Gerhardt, K. Krüger-Lorenzen, H. Murero);
4. die Film-Abteilung (nacheinander H. W. Bublitz und B. Reisner) mit den Ingenieuren (Augustin, Schulze) und den Kameramännern (Wellerf, W. Buhler);
5. die Programmverwaltung (Boris Grams).

Das Jahr 1937 brachte einen „Zeilen'-Sprung in der Fernseh-Technik. Am 15. Juli hatte der Reichspostminister eine neue deutsche Fernseh-Norm erklärt: 441 Zeilen bei 25 Bw/sec, wobei nach dem Zeilensprungverfahren 50 Halbbilder von je 220 1/2 Zeilen übertragen werden. Die Umstellung auf die neue Norm verzögerte sich, da erst im Spätherbst 1938 (1. November) die von Telefunken gebauten neuen UKW-Sender (14 kW) den endgültigen Betrieb aufnehmen konnten. Sie waren im Turm des Amerikahauses (neben dem Deutschlandhaus gelegen) untergebracht, was wegen der geringen Höhe die Reichweite einschränkte: Der Bildsender (auf Welle 6,67) konnte nur einen Umkreis von rund 35 km bestrahlen. (Ob deswegen die Fernsehstube in Potsdam geschlossen wurde, konnte nicht ermittelt werden.)

Auch das neue Studio in der Rognitzstraße war längst zu klein geworden. Die Post mietete deshalb im Deutschlandhaus am damals sogenannten Adolf-Hitler- (heute Theodor-Heuss-) Platz, in unmittelbarer Nachbarschaft des Funkhauses und des Funkturms, geeignete Räume, mit deren Ausbau zu einem Fernsehkomplex im September 1937 begonnen wurde. Das Personal des Fernsehsenders zog im Dezember ins Deutschlandhaus um und produzierte bis zur Fertigstellung des Hauptstudios (März 1938) in einem Behelfsstudio, noch mit der alten Norm von 180 Zeilen. Damals waren die Techniker der Meinung, daß ein runder Raum ein ideales Fernsehstudio sei; deshalb wählte man einen ursprünglich als Cafe gedachten, ca. 300 qm großen Raum zum Hauptstudio: 

„Rundherum an einer Rundwand oder einem Rundhorizont können die Dekorationen gebaut werden; und über ihre Anordnung brauchen Bühnenbildner, Regisseur und Kameramänner sich nicht mehr den Kopf zu zerbrechen. Die Kameras stehen in der Mitte und können mit Schwenkungen mühelos alle verschiedenen Dekorationen wechselnd aufnehmen - eine ,,verkehrte Drehbühne", bei der sich der Beschauer, die Kamera, dreht und die Dekoration am Platze bleibt und außerdem fällt das lästige Hinterherziehen und schleppen der empfindlichen Kabel fort oder wird wenigstens vermindert, sind doch die Fernseh-Kameras, anders als die Film-Kameras, kabelverbunden." Die umfassendste Darstellung dieses Studio-Komplexes findet sich bei Gerhart Goebel im „Archiv für das Post- und Fernmeldewesen", eine für den Fernseh-Historiker zum Dokument gewordene Quelle für die Entstehungsgeschichte des Mediums.

Technisches Gerät waren ein mechanischer Filmabtaster der Fernseh AG, zwei Ikonoskop-Kameras und ein mechanischer Filmabtaster mit Ikonoskop von Telefunken und eine dritte Ikonoskop-Kamera, die für Kamerafahrten auf einen luftbereiften Wagen montiert worden war. Aus der Dunkelheit, die in den „Abtastzellen" der Rognitzstraße geherrscht hatte, kam man durch die elektronischen „Bildfänger", wie die Kameras damals auch genannt wurden in das andere Extrem: Das Studio war in gleißende Helligkeit getaucht, da die Ikonoskop-Kameras viel Licht brauchten. Erzielt wurde das durch dutzende extrem starke Scheinwerfer. Das Ergebnis: Die Temperatur stieg bis auf 50 Grad. Die Kameramänner konnten ihre Köpfe mit Papierhüten schützen, die Künstler waren jedoch oft blind von der blendenden Helligkeit, manch einer verbrannte sich die Finger an heiß gewordenem Metall und sehr viele sollen bis zu 2 kg Gewicht während einer Übertragung verloren haben.

Das änderte sich erst 1939, als die Fernseh AG empfindlichere Ikonoskope konstruiert hatte, die nicht so viel Licht benötigten. Die Fernseh Produktionsstätte war vollelektronisch geworden, das Programm kümmerte weiter dahin. Kritiker Wagenführ äußerte sich vorsichtig: „Über die Programmlinie zu sprechen, erscheint uns zur Zeit etwas verfrüht; sie hält ein ziemlich regelmäßiges Schema ein, das sich aus aktuellem Dienst (Unterredungen und Erläuterungen am Gegenstand), Wochenschau, Filmsendung (fast ausschließlich Kultur- oder kleine Spielfilme) und unmittelbarer Sendung, d.h. Kabarett oder Spielszenen zusammensetzt. Eine größere Beweglichkeit, vornehmlich der Weg aus dem Senderaum heraus, ist zur Zeit außer mit den Hilfsmitteln des Zwischenfilms — noch nicht eingeschlagen, ein Umstand, der nicht zuletzt auf die festgelegte Sendezeit zurückzuführen ist, die an Wochentagen von 20 bis 22 Uhr liegt."

Für die von Wagenführ genannten „unmittelbaren Sendungen", also den im Studio hergestellten Live-Beiträgen, galt die Maxime: Gemütsaufheiterung, d.h. es waren Lustspiele, Operetten, Revuen und Variete. Goebbels hatte für den Hörfunk Programminhalte gefordert, die sicher auch unausgesprochen das Fernsehen einschlossen: „Erholung, Unterhaltung, Entspannung zu geben. Das ist keine Aufgabe zweiter, sondern allererster Klasse. Denn es ist ein Unterschied, ob ein Volk mit Freude und Optimismus seiner schweren Lebensaufgabe dient, oder ob es kopfhängerisch und pessimistisch den Sorgen des Alltags gegenübertritt. Es kann auch nicht Sache des Rundfunks sein, nur künstlerische Spitzenleistungen zu senden. Er muß seine Darbietungen wenigstens im großen Ganzen auf die breiten Massen einstellen. Ich bin weit davon entfernt, hier einem bequemen Opportunismus das Wort zu reden. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, daß nach Tagen schwerer Sorge und Last eine Stunde der Entspannung und unterhaltsamer Erholung oft Wunder wirkt." 

 

Studios im Deutschland-Haus

 

Archiv für das Post- und Fernmeldewesen

aus: Gerhart Goebel, in: „Archiv für das Post- und Fernmeldewesen"., Frankfurt/M. 1953

 

Fernsehstudio im Deutschlandhaus

Fernsehstudio im Deutschlandhaus

 

Ikonoskop-Kamera auf Rollwagen

Ikonoskop-Kamera auf Rollwagen

 

Das entsprach inhaltlich dem, was Hitler in seiner Eröffnungsrede des „Haus der Deutschen Kunst" in München 1937 von der bildenden Kunst gefordert hatte: „Niemals war die Menschheit im Aussehen und in ihrer Empfindung der Antike näher als heute. Sport-, Wett- und Kampfspiele stählen Millionen jugendlicher Körper und zeigen sie uns nun steigend in einer Form und Verfassung, wie sie vielleicht tausend Jahre lang nicht gesehen, ja kaum geahnt worden sind. Ein leuchtend schöner Menschentyp wächst heran, der nach höchster Abeitsleistung dem schönen alten Spruch huldigt: Saure Wochen, aber frohe Feste. Dieser Menschentyp, den wir erst im vergangenen Jahr in den Olympischen Spielen in seiner strahlenden, stolzen, körperlichen Kraft und Gesundheit vor der ganzen Welt in Erscheinung treten sahen, dieser Menschentyp, meine Herren prähistorischen Kunststotterer, ist der Typ der neuen Zeit, und was fabrizieren Sie? Mißgestaltete Krüppel und Kretins, Frauen, die nur abscheuerregend wirken können, Männer, die Tieren näher sind als Menschen, Kinder, die, wenn sie so leben würden, geradezu als Fluch Gottes empfunden werden müßten! Und das wagen diese grausamsten Dilettanten unserer heutigen Mitwelt als die Kunst unserer Zeit vorzustellen, das heißt als den Ausdruck dessen, was die heutige Zeit gestaltet und ihr den Stempel aufprägt." 

Frohsinn, schöne Menschen, heile Welt das sollte das Selbstwertgefühl der deutschen Bevölkerung erhöhen, die Rassenpolitik der Nazis untermauern und von den Kriegsvorbereitungen ablenken. Nach sauren Wochen war der Durchschnitts-Bruttolohn 1938 minimal auf die Höhe von RM 27,84 „angestiegen" - frohe Feste: Das Fernsehprogramm bestand denn auch zu rund 3/4 aus Unterhaltung und Belehrung und nur zu 1/4 aus Direktpropaganda, wo unter Direkt-Übertragungen der NSDAP-Reichsparteitage in Nürnberg fielen (erstmals 1937 per Kabel), wie auch die von Leni Riefenstahl gedrehten Huldigungsfilme: Am 31. Januar 1938 kam in einer gekürzten Fassung ihr Film vom Reichsparteitag 1934 „Triumph des Willens" ins Programm.

 

Übersicht der Programmwoche 1938

 

Intendant Nierentz dachte öffentlich über das Programm nach, jedoch nicht über die eigentlichen Unterhaltungssendungen, sondern über die massive Berichterstattung des 37er Parteitages, die für ihn auch unterhaltenden Wert gehabt haben muß: „Tagelang übertrug das Fernsehen alle technisch einfangbaren Ereignisse des Geschehens über Kabel nach Berlin: In Bild und Ton. Und wie im Traum saßen vor den Empfängern in Berlin die Fernsehbegeisterten und erlebten, was sich in der selben Sekunde in Nürnberg begab. Sie sahen den Führer, sie hörten seine Worte, sie sahen die marschierenden Formationen, sie sahen die Ehrengäste, sie sahen Nürnberg im disziplinierten Fanatismus eines Ereignisses, auf das die Welt schaute.

Sie sahen manchmal mehr als der Anwesende, als der Nürnberger. Die Konferenzschaltung, die der Rundfunk für seine Mikrophone erfand, verwendeten wir für unsere Fernsehkameras. Vom Standpunkt des Programmleiters aus erhielten die auf verschiedene Standorte verteilten Kameramänner die Anweisung zum Ein- und Ausschalten ihrer Apparatur. Wo sich etwas begab, schnurrte die Kamera und fing ihre Bilder ein. Was sich bei dem Turm des gewaltigen Zeppelinfeldes ereignete, wurde durch Kamera Nr.1 ins Bild genommen. Was sich vor der Führertribüne begab, das war bereits im Objektiv der Kamera II, und was sich dort hinten bei Turm XVII tat, das trug in der Naheinstellung die Kamera III über das Kabel bereits nach Berlin. Vervielfachtes Erleben. Das ist unser Traum, das ist unsere Aufgabe. Es ist unser Wunsch, daß einmal jedes Ereignis nationalen Ausmaßes bildhaft und tönend der Nation übermittelt wird. Die Forderungen steigern sich. Die Erkenntnisse wachsen. Laßt sie reifen."

 

Beleuchter-Umgang im Fernsehstudio Deutschlandhaus

Beleuchter-Umgang im Fernsehstudio Deutschlandhaus

 

Filmabtaster im Fernsehstudio Deutschlandhaus

Filmabtaster im Fernsehstudio Deutschlandhaus

 

Zeit-Gong wurde mit Hand bedient

Regisseur Karl-Heinz Uhlendahl als Nachrichtensprecher. Die Zeituhr war so plaziert, daß der Zuschauer sie sehen konnte; der Zeit-Gong wurde mit Hand bedient.

 

Sie reiften, doch noch nicht verfügbar für den „leuchtend schönen Menschentypen'' den „träumenden Fernseh begeisterten". Auf der „15. Großen Deutschen Rundfunkausstellung" 15. - 21. August 1938) zeigten die fünf führenden Firmen der deutschen Fernsehindustrie (Fernseh AG, Radio AG D. S. Loewe, C. Lorenz AG, TeKaDe und Telefunken) weiterhin Prototypen vor, deren Verkaufspreis, wären sie in Serie hergestellt worden, auch kaum weit unter 2.000 RM gelegen hätte.

Alle Geräte arbeiteten mit Braunscher Röhre und waren für ein 441 zeiliges Bild ausgerüstet. Es waren drei Gruppen zu erkennen:
1. Standempfänger, bei denen die Braunsche Röhre wegen ihrer Länge senkrecht eingebaut war, wodurch das Bild nur in einem Umlenkspiegel gesehen werden konnte (Bildgröße zwischen 21 x 26 und 27 x 36 cm).
2. Tisch-Kleinempfänger, teils als reine Bildempfänger, die für den Tonempfang an ein Radio angeschlossen werden mußten, teils auch für die Wiedergabe des Tons ausgerüstet (Bildgröße ca. 20 x 23 cm): Der Fernseh AG war es gelungen, um 50 % kürzere Braunsche Röhren zu entwickeln, so daß die ganze Technik in kleinere Chassis paßte.
3. Heimprojektionsempfänger mit Braunscher Hochvoltröhre für etwa 20 kV Anodenspannung (Bildgröße ca. 40 x 50 cm). 

 

Telefunken-Fernsehempfänger FE VI

Telefunken-Fernsehempfänger FE VI mit senkrecht eingebauter Bildröhre, 1937

 

Die Produktionstechnologie war hoch entwickelt, der Rezipient - wenn man ihn schon so nennen darf - drückte sich jedoch immer noch in den engen Fernseh-Stuben herum. Die Industrie wollte endlich ihre Forschungsergebnisse vermarkten und drängte immer stärker auf die Freigabe einer Fernsehheimempfänger-Serienproduktion.

Aus einem Brief der Fernseh AG an das Reichspostministerium vom 14. Juli 1938: An der Einführung des Fernsehens ist nicht nur die Fernsehindustrie, die Deutsche Reichspost und Reichs-Rundfunk-Gesellschaft in höchstem Grade interessiert, sondern auch die Elektrizitäts-Wirtschaft. Es wäre nun denkbar, die genannten Gruppen, die man mit Rücksicht auf die bedeutenden politischen und kulturellen Aufgaben des Fernsehens noch um die D.A.F. (Deutsche Arbeitsfront) oder ihre Unterorganisation K.d.F. (Kraft durch Freude) erweitern könnte zu einer Finanzierungsgesellschaft zusammenzufassen, welche die Auflegung so großer Serien von Fernsehgeräten ermöglichen könnte, daß der Preis des Einzelgerätes sich bereits so weit absenken ließe, daß zwar für den Anfang nicht die Allerärmsten, aber doch schon weite Kreise der Bevölkerung für die Anschaffung eines Fernsehgerätes interessiert werden könnte.

Goebbels war dagegen, sicher nicht aus Mitleid mit den Allerärmsten. Ersetzte weiterhin auf Film und Hörfunk - 1938 kam ein zweites, noch billigeres Gemeinschaftsradio auf den Markt, der DKE 1938 (RM 35,-) -, Fernsehen war für ihn nur vorstellbar als Gemeinschaftsemptang. Und Hitler interessierte sich nicht sonderlich für das neue Medium. Nur der Postminister war offen für diese Vorschläge, schließlich hatte die Post ja auch ungeheure Summen in die Fernsehforschung investiert, und signalisierte eine allgemeine private Teilnahme am Fernsehen voraussichtlich zum Oktober 1938. Noch während der Funkausstellung kam es zu einer Einigung zwischen Post und den fünf Industriefirmen: Es sollte, nach dem Vorbild des Volksempfängers, in Gemeinschaftsarbeit ein Fernseh-Einheitsempfänger entwickelt werden. In der ersten Serie sollten „4.600 Geräte produziert werden, wobei die einzelnen Firmen entsprechend ihrer Kapitalstärke beteiligt wurden, und die Reichspost 25 Prozent des Risikos für den Produktionsanlauf übernahm."

 

Innenansicht des FE VI

Innenansicht des FE VI

 

In einer Diplomarbeit der Technischen Hochschule Berlin aus dem Jahr 1942 über diesen Einheitsempfänger heißt es dazu: „Genau so, wie die Einführung eines allgemeinen Fernsehrundfunks nicht nur eine rein technische, sondern ebenso auch eine wirtschaftlich technische Aufgabe ist, so waren auch für den Bau des Einheitsempfängers neben den rein technischen Fragen besonders die wirtschaftlich-technischen Seiten von maßgebender Bedeutung; denn beide müssen für die Gesamtheit der Einrichtungen des Fernsehrundfunks gelöst, bzw. berücksichtigt werden. Es waren also vornehmlich wirtschaftliche Fragen, die den Anstoß gaben, den Einheitsempfänger in selbstloser Gemeinschaftsarbeit zu schaffen. Das Ziel eines verhältnismäßig niedrigen Gestehungspreises war nur durch Ausschaltung jeden Konkurrenzkampfes erfüllbar. Ein umfassender Erfahrungsaustausch wurde daher in großzügigster Weise beschlossen. Ferner mußte die Konstruktion für eine Großserienfabrikation durchgebildet werden; denn die Herstellung in großer Stückzahl war die selbstverständliche Voraussetzung für einen niedrigen Preis. Aber auch für die Fabrikationsvorbereitung, Materialbeschaffung und Fertigung selbst war im Interesse der Preisbildung unbedingt engste Zusammenarbeit aller Beteiligten erforderlich. So wurde die Herstellung der Einzelteile getrennt an die verschiedenen Firmen vergeben, damit die Werkzeugkosten möglichst gering blieben. Parallel hierzu durften bei der technischen Entwicklung des Empfängers in keiner Weise irgendwelche Hemmnisse durch die Verteilung des Patentbesitzes oder durch Lizenzfragen entstehen. Das Bestehen auf erworbene Patent- und Lizenzrechte wäre der Einführung eines die Allgemeinheit betreffenden Kulturfortschritts sehr hinderlich gewesen."

Im November 1938 nahm die Industrie die Fertigung auf. Im Februar 1939 kam das erste Mustergerät heraus; mittlerweile waren 10.000 Stück geplant. „Die Empfangsversuche ergaben, daß man im Umkreis von etwa 20 km um den Berliner Fernsehsender, mit einem ausreichend guten, zum Teil auch mit sehr gutem Empfang rechnen' konnte." 

 

Einheitsempfänger E1

 

 

 

Einheitsempfänger E1

 

Zur „16. Großen Deutschen Rundfunk und Fernseh-Rundfunk-Ausstellung Berlin 1939" (28.7. - 6.8. 199 - erstmals führte die Funkausstellung auch das Wort „Fernsehen" im Titel) kam der deutsche Einheits-Fernsehempfänger E1 zum Preis von RM 650,- auf den Markt, allerdings von der geplanten hohen Auflage erst rund 50 Exemplare. Trotz des für die meisten sicher immer noch unerschwinglichen Preises war mit diesem Empfänger die Richtung angegeben, in der sich die neue Kommunikationstechnik entwickeln sollte: Reichspostminister Ohne sorge kündigte während der Funkausstellung die Ausbreitung des Fernsehens durch Freigabe des privaten (noch kostenlosen) Empfanges an. Der E1 hatte dementsprechend auch alle „Heim'-Vorteile. Er war klein (37 cm Höhe, 65 cm Breite und 38 cm Tiefe) und einfach in der Bedienung. Erreicht wurde sein handliches Format durch eine neue, von der Fernseh AG entwickelte Braunsche Röhre.

 


Diplomarbeit von Edgar Suhling

 

Aus der Diplomarbeit von Edgar Suhling: Bisher war es üblich, Fernsehröhren runder Form mit stark gekrümmtem Leuchtschirm zu benutzen. Die geforderte räumliche Beschränkung bei großem Bildformat läßt sich mit einer solchen Röhrenform schlecht vereinbaren, weil erhebliche Teile der runden Schirmfläche infolge des rechteckigen Bildformats ungenutzt bleiben. Deshalb wurde für den Einheitsempfänger eine Röhre mit viereckigem Leuchtschirm entwickelt, dessen Fläche nur unwesentlich größer als das geplante Bildformat ist und bei welcher der vom Kathodenstrahl nicht überstrichene Teil des Kolbenraums eingespart wird. Die Tiefe des Empfängergehäuses wird durch die Röhrenlänge bestimmt. Zur Beschränkung der Tiefenabmessungen mußte man sich im allgemeinen behelfen, die Röhre senkrecht anzuordnen und das Leuchtschirmbild mit Hilfe eines Spiegels zu betrachten oder den Kolbenhals über die Rückwand des Gehäuses hinausragen zu lassen, was wieder keine vollkommene Beschränkung darstellt.

1938 wurde erstmalig für den Kleinempfänger der Fernseh-GmbH ein Rohr von bis dahin ungewöhnlich geringer Länge entwickelt, indem der Kippwinkel gleichzeitig eine bisher für unmöglich gehaltene Vergrößerung erfuhr. Die Röhren länge ging insgesamt auf etwa 30 % zurück! Die hier gesammelten Erfahrungen konnten bei der Entwicklung der Röhre für den Einheitsempfänger sehr gut verwertet werden. Bei den bisher entwickelten Röhren kleiner Abmessungen störte aber fast noch mehrals das kleine Bildformat die starke Krümmung des Leuchtschirms. Deshalb wurde der Boden des Viereckrohrs so flach wie möglich gestaltet. Für das gewölbte Bildformat von 195 x 225 mm wurde ein Krümmungsradius von 800 mm gewählt, der eine genügend kleine Wölbung des Leuchtschirms bei hinreichend großer Implosionssicherheit des Kolbens ergibt. Die gesamte Länge der Röhre wurde auf 384 mm festgelegt. Die fertige Röhre wird zur Erhöhung der Implosionsfestigkeit noch mit Klebestreifen beklebt und der Kolben am Leuchtschirm in einen aus Preßmasse hergestellten Rahmen gebettet, der nach den Kanten des Viereckrohrs profiliert ist und eine Glasscheibe aus Sicherheitsglas trägt." 

 

Bildröhre des E1

Bildröhre des E1

 

Äußeres und Chassis des Fernsehempängers E1, 1939

Äußeres und Chassis des Fernsehempängers E1, 1939

 

Äußeres und Chassis des Fernsehempängers E1, 1939

 

Schaltbild des E1

Schaltbild des E1

 

Der erste viereckige Bildschirm. Er erlaubte einen Betrachtungsabstand von 1,7 bis 2 m, stellte also auch für „normale" Wohnzimmer kein Raumproblem dar. Am 1. September 1939 marschierte Deutschland in Polen ein und löste damit den zweiten Weltkrieg aus. Die Geschichte des E1 war beendet, bevor sie richtig angefangen hatte: Mit Kriegsausbruch wurde die weitere Produktion eingestellt, das Abhören ausländischer Hörfunk-Sender bei Todesstrafe verboten; ab 9. Juni 1940 strahlten alle deutschen Hörfunk-Sender ein Einheitsprogramm aus, ab April 1941 wurde die Fertigung aller nicht kriegswichtigen Gegenstände verboten und zwei Monate später stellten alle deutschen Rundfunkzeitschriften ihr Erscheinen ein. Der totale Krieg hatte begonnen.

 

Der totale Krieg hatte begonnen

 

Mit Ausbruch des Krieges stellten die Länder, die bis dahin einen regelmäßigen Fernsehprogrammdienst ausgestrahlt hatten, ihre Sendetätigkeit ganz oder zumindest teilweise ein: Frankreich (seit 27. Januar 1936), die USA (seit 1939, Reduzierung der Programmgesellschaften und der täglichen Programmdauer ab 7. Dezember 1941: Bombardierung von Pearl Harbour) und Großbritannien (seit 2. November 1936, Einstellung am 1. September 1939 mit den berühmt gewordenen Worten von Mickeymouse: „Ich denke, ich geh' besser heim", im Tonfall von Greta Garbo gesprochen; übrigens nahm die BBC ihre Fernsehprogrammtätigkeit exakt sieben Jahre danach, am 1. September 1946, mit demselben Disney-Film wieder auf.) Nicht so in Deutschland. Zwar wurden im September 1939 die Fernseh-Kabelanlagen, die mittlerweile von Berlin nach Leipzig, Nürnberg, München und Hamburg gingen, die Verbindung nach Frankfurt/Main, Köln und Wien waren in Arbeit oder zumindest geplant, für den öffentlichen Fernsehsprechdienst und Fernsehübertragungen gesperrt; die hatten jetzt militärischen Belangen zu dienen.

 

Krieg: Durchhalteprogramme für Lazarette

In Berlin wurde jedoch weiter produziert, nur im September 1939 war der Betrieb unterbrochen. Für den Hörfunk hatte Goebbels die Devise ausgegeben, durch ermutigende und erheiternde Programme den Widerstandswillen der deutschen Bevölkerung zu erhalten und zu stärken. Der Hörfunk solle nicht nur „für die Abfuhr englischer Zersplitterungsmethoden" dienen, sondern auch „wahrhaftig die Brücke zwischen Heimat und Front" darstellen und damit seine Funktion als „jüngstes Kind unserer Kriegstechnik" erfüllen. Solche fröhlichen Durchhalteprogramme stellte auch der Fernsehsender her, die in denen im Laufe des Jahres 1940 auf 6 bis 12 Stellen geschrumpften Fernseh-Stuben und „im Dienst der Truppenbetreuung" anfangs in 11 Lazaretten Berlins weiterhin im Kollektiv-Empfang verfolgt werden konnten.

 

Fernsehprogramm vom 16. Juni 1940

Fernsehprogramm vom 16. Juni 1940

 

„In den ersten Kriegsjahren standen in Berlin und Umgebung in den öffentlichen Fernsehstellen, bei Behörden und Privatleuten, vor allem aber in den Lazaretten nach vorsichtiger Schätzung insgesamt etwa 250 grobe Standempfänger und rund 50 Einheitsempfänger für 441 zeitiges Bild, die von der DRP betreut wurden. Dazu kam noch eine nicht mehr erfaßbare, aber wahrscheinlich nicht ganz so große Anzahl von Empfängern, die von der Industrie aufgestellt waren und betrieben wurden, so daß man im Höchstfälle mit 500 Empfangsstellen für den ersten deutschen Fernseh-Rundfunk ... rechnen darf." 

 

Schwerpunkt des ersten Kriegs-Vierteljahres war Unterhaltungs-Propaganda

„Auch der weitere Winterspielplan ist, sofern es sich um die großen Abendveranstaltungen handelt, auf gehaltvolle Unterhaltung abgestimmt. Der Deutsche Fernseh-Rundfunk will keine Probleme aufrollen und zur Diskussion stellen, er will wie ein guter Freund Freude in unser Dasein tragen und so helfen, die dunklen Tage des Winters mit Licht und Wärme zu erfüllen." 

Es waren Variete- und Kabarettsendungen, dazu heitere Fernsehspiele, d.h. speziell für das Medium verfaßte Stücke, die seit 1938 Eingang ins Programm gefunden hatten. Aber auch nach literarischen Vorlagen geschriebene Stücke wurden gesendet wie z.B. „Robinson soll nicht sterben" (am 18. und 27. November, am 6. Dezember in einer 90-Minuten-Fassung, am 17. und 27. Dezember in einer 75-Minuten-Fassung), u.a. mit dem damals 15 jährigen Wolfgang Kieling. Alle diese Stücke waren Eigenproduktionen des Fernsehens, d.h. auch in den Wiederholungen Live-Aufführungen. Damit hatte sich der Programmschwerpunkt gegenüber 1938, als Film-Konserven noch Herzstück des Programms waren, eindeutig zum eigenständigen Produzieren verschoben. Abendfüllende Kino-Spielfilme wurden 1939/40 nur noch ein- bis zweimal pro Woche übertragen. 

Unter der Rubrik „hauswirtschaftliche Unterhaltung" wurde auch Lebenshilfe gegeben und im Fernsehen gekocht - was sich in den 50er Jahren fortsetzen sollte. „Fritz Janecke (heute würde man ihn als Fernseh-Moderator bezeichnen) hat für den Fernsehrundfunk eine neue Reihe zusammengestellt, deren Darbietungen allen im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. Er bietet neue,der Zeit entsprechende Kochrezepte. Diese Rezepte aber werden nicht einfach zur Vorlesung gebracht, im Fernsehen gibt es andere Möglichkeiten. Der ganze Kochvorgang wird den interessierten Hausfrauen praktisch vorgeführt. Vom Säubern des Gemüses und der Kartoffeln bis zum fertigen Mahl. Die Tunke wird mit hochgezogenen Brauen und gespitztem Munde fachmännisch abgeschmeckt, immer wieder fährt die Gabel in den Kochtopf, um festzustellen, ob die gegen die Wand bollernden Erdäpfel gar sind." Das waren keine Kochrezepte für Feinschmecker, sondern der Zeit-Devise „Kanonen statt Butter!" entsprechende Anweisungen zum Konsumverzicht bei ständigen Lohnminderungen, um Mittel für die Rüstungsproduktion freizumachen.

 

Berliner Fernseh-Stuben

 

Im Januar 1940 haben nach zeitgenössischen Veröffentlichungen in sechs Berliner Fernseh-Stuben 10.604 Zuschauer (128) und im April 1940 in 12 Fernseh-Stuben 16.908 Zuschauer diese Programme gesehen. Im Sommer 1940, zur Zeit der West-Offensive, nahm die Unterhaltungs-Propaganda zwar auch noch 61,4 % des Abendprogramms ein, aber der Anteil der Direkt-Propaganda, das waren Zeitdienst-, Heimatkunde- und Volkstumssendungen, stieg auf 22,7 %. „In kurzen Darbietungen wird aufgezeigt, wie heute alle Kräfte zur Abwehr jeden Angriffs dienstbar gemacht werden. Es sei hier erinnert an die folgenden Sendungen: ,Die Hausfrau im Kriege', Kreuz und querdurch die Verdunkelung', Die Kunst der Selbstverteidigung', Helferin und Frontschwester', ,Der Landdienst der HJ'" 

Ähnlich wie bei der sonntäglichen Hörfunk-Sendung des Deutschlandsenders „Wunschkonzert für die Wehrmacht" (vom 1. Oktober 1939 bis 25. Mai 1941, 16.00 - 20.00 Uhr) fanden auch Soldaten Einlaß ins Fernsehprogramm.

 

Spielgruppe in Feldgrau

 

Im September 1940 hatte der Fernsehsender eine „Spielgruppe in Feldgrau" zusammengestellt: Verwundete Soldaten, die mit flotter Marschmusik, Sketchen und Kabarettprogrammen ihren bettlägerigen verletzten Kameraden suggerieren sollten, daß alles gar nicht so schlimm sei, die politischen Glauben an die Gegenwart und auf die Zukunft gerichteten Lebensmut verbreiten sollten.

Ab März 1941 verließ der Fernsehsender ab und zu das Studio im Deutschlandhaus und zog in den Kuppelsaal des Olympia-Stadions. Die etwa 2 stündigen Variete-Darbietungen hatten den Titel „Wir senden Frohsinn-Wir spenden Freude" und wurden bis März 1943 ein- bis zweimal wöchentlich vor ca. 2.000 Soldaten im Saal und den Verwundeten in den Lazaretten aufgeführt .Zur Künstlertruppe gehörten u. a. Else Elster, die erste Ansagerin der RRG, Grethe Weiser, Marika Rökk und Laie Andersen. Zur Premiere am 14. März 1941 war die gesamte Rundfunk- und Propaganda-Führung der Nazis erschienen, ein Zeichen, wie wichtig man zu diesem Zeitpunkt die Propaganda-Funktion des Fernsehens im Hinblick auf die Wehrmacht nahm. 1942 wurden die letzten Berliner Fernsehstuben „zugunsten der Lazarettbetreuung" geschlossen: Man brauchte die Empfänger für die ständig anwachsende Zahl der Lazarette, von denen 1943 in Berlin 43 für Fernsehempfang ausgerüstet waren. 

 

Soldatenglück (Gustav Knuth)

Szenenfoto „Soldatenglück" (Gustav Knuth)

 

In die selbe Richtung wie die „Frohsinns"-Sendungen zielte auch die erste Fernseh-Fassung eines deutschen Klassikers: Lessings „Minna von Barnhelm", gesendet am 7. Dezember 1942 um 15.00 Uhr. Die frühe Anfangszeit hatte sicher mit den Luftangriffen der Alliierten zu tun. Das Stück wurde Anfang 1943 mehrfach wiederholt; die Darsteller waren bekannte Berliner Theaterschauspieler wie Max Eckart (Teilheim), Elisabeth Juliana (Minna), Gustav Knuth und Alfred Schieske, Regie führte Hannes Küpper. 

„Das Programm lief unter dem Titel ,Das Soldatenglück', der Text war um etwa die Hälfte gegenüber der üblichen Fassung gestrichen worden, wodurch eine Reihe von Personen fort fielen. Dadurch wurde die Handlung, gleichgültig wie man zu den Streichungen steht, stärker als sonst auf Tellheim und Minna von Barnhelm konzentriert. Es konnte nicht mehr genau festgestellt werden, aus welchem Grunde eine Rahmenhandlung um das Stück gelegt wurde und außerdem vier kurze Einschübe in den Ablauf vorgenommen wurden." 

Der Sinn der Veränderungen wurde in einem zeitgenössischen Artikel erklärt: „Nicht um ihrer Selbst willen hat man diese, Minna-Aufführung des Fernsehsenders verwirklicht, sondern man hat sie verbunden mit einem sehr konkreten Zweck. Um es deutlicher zu erklären: Der Kern des Problems in dieser Dichtung, die innere Mitte dieser diffizilen Konflikte zwischen dem Major Tellheim und dem Fräulein von Barnhelm, ist nutzbar gemacht worden für ein Anschauungsbeispiel. Es liegt auf der Hand, daß mancher Soldat auch heute wieder sich in der gleichen Situation befindet wie jener verabschiedete Major des Sieben jährigen Krieges, der verwundet und der Hilfe bedürftig aus dem Felde zurückkehrt und sich nicht mehr würdig hält einer Verbindung, die einst unter anderen glücklicheren Voraussetzungen geknüpft wurde. Die begreifliche Furcht vor einer Liebe aus Mitleid, sie muß damals, in den Soldaten des großen Königs, die das Schicksal des Krieges getroffen hatte, nicht weniger wach gewesen sein als in manchem Soldaten unserer Tage, der ein Stück seiner selbst, die Fülle seiner Jugend, auf den Schlachtfeldern geopfert hat. Jeder, der Lessings Dichtung kennt, weiß, mit wieviel fraulicher Standhaftigkeit des Herzens, mit wieviel unzerstörbarer Treue und behutsamer Kraft das junge Fräulein von Barnhelm, ein 21 jähriges Mädchen und ein ganzer Mensch dazu, den starrsinnigen Ehren standpunkt ihres Tellheim bricht und damit den schönsten und friedlichsten Sieg erringt, den eine Frau erringen kann." 

Wagenführ erinnert sich, daß nach der Sendung eine kleine Gruppe Fernsehkritiker zusammen saß und diskutierte, welche Überschrift dem Experiment zu geben sei. Den ersten Preis erhielt der Vorschlag: ,Das Fräulein von Barnhelm zur Minna qemacht' 

 

Soldatenglück (Elisabeth Juliana)

Szenenfoto „Soldatenglück" (Elisabeth Juliana)

 

 Soldatenglück (Elisabeth Juliana)

  

Am 26. November 1943 wurden die UKW - Sender des Fernsehens durch eine Bombe auf das Amerikahaus zerstört. Das Programm lief noch eine Zeitlang über die Berliner Breitbandkabel und das Drahtfunknetz weiter. Länger dauerte es in Paris, bis auch dort der Großdeutsche Propagandaton verstummte. Dort war seit Juni 1943 ein fünf- bis acht stündiges „Okkupationsfernsehen" ausgestrahlt worden. Die rechtliche Grundlage für die Übernahme des französischen Fernsehens durch die deutschen Besatzer war Artikel 3 des deutsch-französischen Waffenstillstandsvertrages vom 22. Juni 1940, nach dem die französische Regierung verpflichtet war, „den Anordnungen der deutschen Militärbefehlshaber Folge zu leisten und in korrekter Weise mit diesen zusammenzuarbeiten." 

 

Magic City, Paris 1943

Außenansicht „Magic City", Paris 1943

 

Bühne von Magic City

Bühne von „Magic City"

 

Das Personal bestand aus einer Funkeinheit der Post (rund 20 Mann), die zusammen mit etwa 80 Spezialisten der Radiodiffusion Francaise die Technik betreuten. Das Programm verantwortete Intendant K. Hinzmann (RRG), zusammengestellt wurde es von über 300 Deutschen und Franzosen: der damals größte Fernsehbetrieb der Welt, im ehemaligen Vergnügungsetablissement „Magic City" in der Nähe des Eiffelturms gelegen.

„Das Tagesprogramm des Fernsehsenders Paris umfaßte drei Hauptabschnitte: Von 10 bis 12 Uhr wurden Kulturfilme übertragen, an zwei bis drei Tagen der Woche lief von 14.30 bis 18 Uhr ein ,Bunter Nachmittag', ein kleines Fernsehspiel oder eine Kinderstunde. Dazu gehörte auch die Übertragung der Darbietungen eines französischen Marionettentheaters, die als fernsehtechnische Neuheit besonderen Anklang fanden. Der Schwerpunkt des Programms lag in derZeit von 20.30 bis 23.00 Uhr, wenn große Sendespiele, Variete-Vorführungen, Balletts oder französische und deutsche Spielfilme übertragen wurden. Dazu kam dreimal am Tage die Wiedergabe der deutschen Wochenschau, ferner eine aktuelle Zeitdienstsendung, zu der die Pariser Filmtrupps das Material lieferten. Obwohl das Programm von deutscher Seite zusammengestellt wurde, herrschte die französische Sprache vor." 

Die Kosten teilten sich Post, Propaganda-Abteilung und Wehrmachtskommandatur Paris (pro Monat rund 120.000 RM). Erst am 20. August 1944, über zwei Monate nach der Landung der Alliierten in der Normandie, verließ das deutsche Personal Paris. In Deutschland lagen gegen Ende des Krieges nahezu alle Sendeanlagen in Schutt und Asche. Was während des Kriegsverlaufs nicht zerstört worden war, vernichtete die deutsche Wehrmacht, um nichts in die Hände der Alliierten fallen zu lassen. „Gegen Kriegsende waren nur noch der Reichssender Hamburg und sein Nebensender Flensburg intakt und in deutscher Hand. Von Flensburg aus wurde am 1. Mai 1945 die ,Meldung aus dem Führerhauptquartier' verlesen, in der Hitler in Berlin den angeblichen Heldentod im Kampf gegen die Russen gefunden habe: die letzte Propagandalüge, denn Hitler endete wie Goebbels durch Selbstmord." 

 

Fernsehstudios nach dem Krieg im Bunker

Die ersten Fernsehstudios nach dem Krieg im Bunker

 

5. Das Rundfunkwesen nach 1945

 Die Neuordnung des deutschen Rundfunkwesens nach 1945 geschah auf Initiative der vier Besatzungsmächte. Die nicht zerstörten Sendeanlagen waren beschlagnahmt und jede unbeaufsichtigte Sendetätigkeit von Deutschen verboten worden. Wo die Technik noch funktionierte, wurde sie als Soldatensender der jeweiligen Militärregierung benutzt. Es ging hierbei nur um den Hörfunk, denn der Fernsehbetrieb war zunächst generell verboten.

 

Verbot jeder Fernsehtätigkeit durch Allierte

War der Rundfunk in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes Teil des Herrschaftsapparates der NSDAP mit der politischen Funktion, Ideologie zu verbreiten und Propaganda für das herrschende Regime zu betreiben, hieß das Ziel der westlichen Alliierten, in den drei Westzonen einen Rundfunk aufzubauen, der dezentralisiert und vom Staat unabhängig sein sollte. General Lucius D. Clay: „Es ist die grundlegende Politik der US-Militärregierung, daß der entscheidende Einfluß auf die Mittel der öffentlichen Meinungsbildung, wie Presse und Rundfunk, diffus verteilt sein soll und von jeder Regierungseinwirkung freigehalten werden muß." In der Ostzone und späteren DDR verlief die Entwicklung nach sowjetischem Vorbild: Der Rundfunk wurde Teil des entstehenden Staatsapparates mit der politischen Aufgabenstellung, sozialistisches Bewußtsein in der Bevölkerung durchzusetzen. Im Folgenden soll nur von der Entwicklung in den Westzonen die Rede sein, die am 7. September 1949 in die Gründung der Bundesrepublik Deutschland mündete.

Die Engländer errichteten schon am 4. Mai 1945 in ihrer Zone nach dem Vorbild der BBC eine einzige Rundfunkanstalt in Hamburg, den NWDR (Nordwestdeutscher Rundfunk), und zusätzliche Funkhäuser in Köln, Hannover und Berlin. Es war von Anfang an klar: Berlin würde nie wieder Metropole des deutschen Rundfunks sein. Chief-Controller des NWDR wurde Hugh Carleton Greene, vielen deutschen Hörern als Chefkommentator der deutschsprachigen Sendungen der BBC im Krieg gut bekannt.

Die Franzosen errichteten in ihrer Zone, einem bisher senderlosen Gebiet, in Baden-Baden eine Sendeanstalt, die am 31. März 1946 den Namen SÜDWESTFUNK erhielt. In der amerikanischen Zone entstanden mehrere selbständige Sender: am 12. Mai 1945 in München, am 1. Juni 1945 in Frankfurt am Main, am 3. Juni 1945 in Stuttgart und am 23. Dezember 1945 in Bremen.

Aus Furcht, die Post könne wiederum der Ausgangspunkt einer zentralistischen Kontrolle des Rundfunks werden, waren ihr die Sendeanlagen entzogen worden. Damit lagen Programm und Technik in Deutschland zum ersten Mal in einer Hand - und zwar in der Hand der Besatzungsmächte. Bei den Sowjets waren es im Krieg in der UdSSR geschulte Deutsche, die die ersten Programme zusammenstellten. Die Amerikaner besetzten die wiedereröffneten Funkhäuser ihrer Zone zuerst nur mit eigenen Leuten, d.h. deutschsprachigen Besatzungsoffizieren, und zogen erst nach erfolgter ,Entnazifizierung' deutsche Fachleute hinzu. Die Briten holten emigrierte Deutsche, die als britische Soldaten nach Deutschland zurückkamen, und deutsche Kriegsgefangene, die in England auf diese Aufgabe vorbereitet worden waren, vors Mikrofon. Die Franzosen machten anfangs alles allein und forderten erst nach und nach Deutsche zur Mitarbeit auf.

 

cc2.62Amerikanische Kontrolloffiziere von Radio Stuttgart

Amerikanische Kontrolloffiziere von Radio Stuttgart

 

Der Spiegel 14. August 1948

 

In den Darbietungen der Sender überwogen Programme zur „Re-Education", um das politische und gesellschaftliche Leben der Deutschen auf demokratischer Basis umzugestalten; Lebenshilfe, wie z. B. Informationen über Ausgabe von Lebensmitteln und Kleidung, und viel Musik waren die anderen wichtigsten Programmfaktoren. Im Laufe der Jahre 1946/47 wurden diese Rundfunkanstalten schon von deutschen Intendanten geleitet, die von der jeweiligen Militärregierung ernannt worden waren. Für den NWDR endete als erste deutsche Rundfunkanstalt am 1. Januar 1948 die Periode des Besatzungsrundfunks: Der NWDR wurde durch Verordnung der britischen Militärregierung zur Anstalt des öffentlichen Rechts erklärt, Greene wurde Generaldirektor. Am 15. November übergab er dieses Amt an Adolf Grimme, womit die direkte Leitung der Anstalt in deutsche Hände überging; die britischen Kontrolloffiziere begnügten sich mit einer nachträglichen Programmdurchsicht.

Im Laufe des Jahres 1949 wurden auch die anderen Anstalten in deutsche Verantwortung übergeben. Es entstanden Landesrundfunkanstalten, deren rechtliche Grundlage auf Landesgesetzen oder Staatsverträgen basieren. Staatsverträge zwischen Ländern wurden eingeführt, wenn sich das Sendegebiet einer Anstalt auf mehrere Länder erstreckte. Damit hatte die im September 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland ein föderalistisches Rundfunksystem geerbt, an dessen Existenz sie nicht rütteln konnte. Denn die Alliierte Hohe Kommission, die bis zum Mai 1955 Teile der politischen Souveränität der BRD inne hatte, behielt sich die „Funkhoheit" vor, und ihre damit verbundenen Vorschriften ließen eine Änderung des Rundfunksystems, die vor allem von der CDU angestrebt wurde, nicht zu.

Im „Gesetz Nr. 5 über die Presse, den Rundfunk, die Berichterstattung und die Unterhaltungsstätten" der Hohen Kommissare vom 21. September 1949 hieß es in Art. 1: „Die Freiheit der deutschen Presse, des deutschen Rundfunks und anderer deutscher Mittel der Berichterstattung sind gewährleistet, wie im Grundgesetz vorgesehen. Die Alliierte Hohe Kommission behält sich das Recht vor, jede von der Regierung auf politischem, verwaltungsmäßigem oder finanziellem Gebiet getroffene Maßnahme, die diese Freiheit bedrohen könnte, für ungültig zu erklären oder aufzuheben."

In Art. 3: „Ohne die Genehmigung der Alliierten Hohen Kommission dürfen neue Rundfunk-, Fernseh- oder Drahtfunksender nicht eingerichtet noch Anlagen dieser Art einer anderen Verfügungsgewalt unterstellt werden. Der deutsche Funksendebetrieb muß in Übereinstimmung mit der von der Alliierten Hohen Kommission festgesetzten Zuteilung von Wellenstärke und -frequenz durchgeführt werden. Internationale Übertragungen, Sendungen in fremder Sprache, Verhandlungen mit dem Ausland über Rundfunksendungen bedürfen der vorherigen Zustimmung der Alliierten Hohen Kommission." Nach einer „Durchführungsverordnung" genannten Vorschriftenliste konnte die Alliierte Hohe Kommission auch Einsicht in Manuskripte und Programme verlangen, bestimmte Informationsendungen fordern und andere verbieten. Erst als die Bundesrepublik am 5. Mai 1955 ihre volle politische Souveränität erlangte, traten diese alliierten Vorschriften außer Kraft.

 

Gründung der Landesrundfunkanstalten

„Fortan waren die deutschen Rundfunkanstalten zwar vor alliierten Eingriffen oder ,Auflagen' sicher. Sie verloren aber die mächtigen Protektoren des Rundfunksystems, das sich im ersten Nachkriegsjahrzehnt etabliert hatte. Die nach Landesrecht organisierten öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik waren nunmehr praktisch der Verfügungsgewalt der deutschen Gesetzgeber in Bund und Ländern ausgeliefert, und es bedurfte eines schwierigen Lernprozesses, ehe die Dritte Gewalt im Staat für eine umfassende Klärung sorgte und die rundfunkpolitischen Unsicherheiten der 50er Jahre beseitigte."

Die „umfassende Klärung" war das Urteil des Karlsruher Verfassungsgerichtes vom 28. Februar 1961, das den als Fernsehstreit in die deutsche Rundfunkgeschichte eingegangenen Zwist zwischen Bund, der unter Führung von Bundeskanzler Konrad Adenauer ein privat-wirtschaftlich organisiertes Fernsehen anstrebte, und Bundesländern beendete. In der richterlichen Entscheidung hieß es: „3.b Art. 73 Nr. 7 GG gibt dem Bund nicht die Befugnis, die Organisation der Veranstaltung und die der Veranstalter von Rundfunksendungen zu regeln. 7.a GG: Die Veranstaltung von Rundfunksendungen ist nach der deutschen Rechtsentwicklung eine öffentliche Aufgabe. Wenn sich der Staat mit dieser Aufgabe in irgendeiner Form befaßt (auch dann, wenn er sich privatrechtlicher Formen bedient), wird sie zu einer staatlichen Aufgabe' im Sinne von Art. 30 GG". Die Autonomie der Länder in Rundfunkfragen war - noch - behauptet und bestätigt worden. Soviel zur Organisation und Politik.

Mit der Gründung der regionalen Rundfunkanstalten war die bisherige zentrale Organisation nicht nur für die Programmgestaltung, sondern auch für die Errichtung und den Betrieb der Sendeanlagen abgeschafft. Die Post blieb nur noch für die Leitungen zu den Sendern und zwischen den Studios zuständig. So konnten es die Rundfunkanstalten von Anfang an als Selbstverständlichkeit betrachten, daß zu ihrem Aufgabengebiet nicht nur der Hörfunk, sondern auch der Aufbau eines Fernsehprogrammdienstes gehörte.

 

1949: Neubeginn im Hamburger Bunker

Wieder war es als erster der NWDR, der mit Zustimmung der britischen Militärregierung am 13. August 1948 einen entsprechenden Beschluß faßte. Die Öffentlichkeit und alle anderen Rundfunkanstalten waren zu diesem Zeitpunkt noch mit ganz anderen Problemen befaßt: den Ergebnissen der Kopenhagener Lang und Mittelwellenkonferenz vom Sommer 1948. Auf dieser Konferenz, an der Deutschland nicht teilnehmen durfte, war eine Neuverteilung der Radiowellen beschlossen worden, „wobei Deutschland nach den Erfahrungen der Nazi-Diktatur bewußt benachteiligt wurde: Die früheren deutschen Rundfunkwellen mit günstigen Ausbreitungsbedingungen wurden anderen Ländern zugeteilt für den deutschen Bedarf blieben nur sieben Frequenzen, d.h. ein technisches Minimum. Es war abzusehen, daß weite Teile des Landes nicht mehr mit Rundfunk würden versorgt werden können. Was auch eintraf: Als 1950 der Kopenhagener Wellenplan in Kraft trat, konnte der Bayerische Rundfunk abends nicht einmal mehr ein Drittel seiner Hörer über Mittelwelle erreichen." 

  

Luftschutzhochbunker auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg

Die beiden Luftschutzhochbunker auf dem Heiligengeistfeld in Hamburg

 

Der Verlust der Mittelwellen führte dazu, daß sich Post, Rundfunk und Herstellerindustrie auf die Erschließung eines neuen Wellenbereiches einigten: UKW. Der Ausbau dieses Sendernetzes, der nicht nur zur Vollversorgung der Bevölkerung mit Rundfunkempfang führte, sondern auch seine Übertragungsqualität verbesserte, beanspruchte die finanziellen Möglichkeiten der anderen Anstalten so sehr, daß an Fernsehen gar nicht zu denken war. Der NWDR war aufgrund des größten Gebühreneinkommens als einzige Anstalt in der Lage, die nötigen Vorbereitungen für die Wiedereinführung des Fernsehens in Deutschland zu treffen. Bis Mitte 1950 wurden DM 600.000,- für die technische Entwicklung ausgegeben. 

Geflossen waren diese Gelder zum Teil in einen Luftschutzhochbunker, der in Hamburg auf dem Heiligengeistfeld stand und nun, wo es keine Menschenleben mehr zu schützen galt, überflüssig geworden war. Nicht so für die Gruppe von zehn Fernseh-Spezialisten der ehemaligen Reichspost, die sich nach dem Krieg in Hamburg eingefunden hatten und sich dort mit dem Bau von elektromedizinischen Geräten, Diebstahl-Schutzeinrichtungen für Autos und sonstigen Fertigkeiten eine neue Existenz aufbauen wollten. Werner Nestel, technischer Direktor des NWDR, gelang es, diese Gruppe als Fernsehabteilung in sein Haus einzugliedern und zwei Etagen des Bunkers im Laufe des Jahres 1949 als Arbeitsstätte einzurichten. „Studio" wurde ein rund 20 m2 großer Raum in der höher gelegenen Etage. Die einzige Kamera, die man besaß, war eine Amateurkamera, noch vor 1945 gebaut und von ihrem Konstrukteur durch die Kriegswirren nach Hamburg gerettet: Es war die sog. Hewel-Kamera (heute steht sie im Deutschen Rundfunk-Museum in Berlin), die zum Teil aus Konservendosen Blech von dem gleichen Horst Hewel gebaut worden war, der im März 1929 die „eigenartigen Knurrtöne" der ersten Berliner Fernseh Versuche gehört hatte. Sie war noch für 441 Zeilen ausgerüstet, d.h. sie mußte erst auf die neue 625-Zeilen-Norm umgerüstet werden, auf die sich Nestel inzwischen mit Fernsehfachleuten der deutschen Industrie geeinigt hatte.

Trotz doppelten Drucks von außen - die Franzosen wünschten in Deutschland ihre 819-Zeilen-Norm, die Briten ihre 425-Zeilen-Norm zu sehen, und beide waren um diese Zeit sehr, sehr mächtig - kam eine Einigung unter deutschen technischen Experten zustande, daß die 626-Zeilen-Norm eingeführt werden sollte, die die Gerber-Norm oder europäische Norm genannt wurde."

 

Der Kamerazug von Horst Hewel

Hewel hatte nicht nur eine Kamera, sondern einen ganzen Kamerazug gebaut: „Die Fernseh-Aufnahmeapparatur besteht aus vier Koffern, und zwar Impulsgeber, Mischeinrichtung, Bildfängerkamera mit Ikonoskop und Kontrolleinheit, 30 m Kamerakabel auf Trommel und Kamerastativ. Mit der Anlage können unmittelbar Aufnahmen von Fernsehbildern nach der 626-Zeilen-Norm vorgenommen werden. Der Leistungsverbrauch liegt bei 450W. Es sind bis auf wenige Spezialtypen normale Röhren der E- und U-Stahlserie verwendet worden, so daß ein Nachbau verhältnismäßig einfach vorgenommen werden kann. Die Anlage wurde vom Verfasser selbst in ihren Grundzügen bereits vor 1946 gebaut, später auf Veranlassung des NWDR vervollständigt und modernisiert. Sie steht jetzt für Versuchszwecke dem Berliner Fernsehstudio Heidelberger Platz zur Verfügung und stellt ein vollkommen selbständiges Gebilde dar, dem von außen nur die 50 Hz Netzspannung zugeführt zu werden braucht." Auch der Rest der Studioausrüstung war denkbar bescheiden.

 

Studioausrüstung Impulsgeber

Impulsgeber

 

 Studioausrüstung Mischeinrichtung

Mischeinrichtung

 

Studioausrüstung Ikonoskop-Kamera

Ikonoskop-Kamera

 

Studioausrüstung Kontrolleinheit

Kontrolleinheit

 

Im März 1950 kam ein Filmgeber für 36-mm Kinofilme dazu und bald darauf ein zweiter Filmgeber, so daß man längere Filme ohne Unterbrechung senden konnte. Außerdem wurden einige 36-mm-Filmkameras beschafft. Diese erste Ausrüstung diente in erster Linie der Weiterentwicklung und Heranbildung künftiger Fernseh-Techniker. Im Kurzschlußverfahren wurden Fernseh-Bilder aus dem Studio in das darunter liegende Stockwerk übertragen. Der einzige UKW-Bildsender, der den Krieg unversehrt überstanden hatte, war 1946 auf Befehl der englischen Besatzungstruppen nach England abgegeben worden. Der erste nach dem Krieg in Deutschland gebaute neue UKW-Bildsender hatte eine Leistung von 1 kW. Mit ihm konnte am 12. Juli 1950 das erste Fernseh-Bild, ein Testbild, nach außen gesendet werden; am 25. September folgte eine ganze Bildreihe und am 27. November 1950 war es soweit: Der NWDR ging zu regelmäßig ausgestrahlten Versuchssendungen über. 

In Hamburg gab es zu dem Zeitpunkt knapp 40 Empfangsgeräte, teils Vorkriegsmodelle, teils neue Prototypen, vor denen vor allem Techniker und Journalisten den Start neugierig verfolgten. Einer von ihnen war wieder Kurt Wagenführ, der inzwischen in Hamburg über den Rundfunk schrieb und einen Lehrauftrag für Rundfunkkunde an der dortigen Universität hatte. Er hat aufgeschrieben, wie er den Neubeginn erlebt hat: „Heute nachmittag brachten mir Hessling (ein Fernseh-Techniker) und zwei Mitarbeiter den Fernsehempfänger in die Wohnung. Eine Grundplatte mit vielen kleinen Röhren und Drähten, darauf die Bildröhre, daran sechs Einstellrädchen vorn und fünf Einstellstifte unten. Das Gehäuse ist nicht fertig geworden, also steht der Empfänger nackt auf einer großen Kiste, mitten im Zimmer. Eine Dachantenne wird angelegt und bringt guten Empfang des Testbildes, dem ein Kurzfilm ,Eis-Variete" folgt. Man muß mit dem Empfänger vorsichtig hantieren, da alles frei liegt.

Die kleinen Röhren glühen dunkelrot, nicht bösartig, sondern warm. Fritz Sänger, Chefredakteur dpa, will meine Frau und mich zum Abendessen zu sich abholen, bleibt aber wie gebannt sitzen, und meine Frau macht das erste Fernsehabendbrot: kleine Häppchen, die man im Halbdunkel leicht finden kann. Das Pausenzeichen ist lieblos gezeichnet. Übrigens genauso primitiv in Einfall und Ausführung wie das erste Pausenzeichen des Berliner Senders 1935, der Funkturm in Witzleben. Als ich es in der Fachpresse veröffentlichen wollte, wurde das untersagt, weil es so schlecht sei. Diesmal darf ich also darüber schreiben. Das Interessante daran ist die Buchstabenverbindung NWDF (nicht NWDR).

Sie wurde bald abgelöst, weil man eventuell aus dem Pausenzeichen hätte ablesen können, daß das Fernsehen ein eigener, besonderer Dienst werden könnte,- eine Organisation neben dem Hörrundfunk. Und das sollte nicht sein, alles sollte in einer Hand bleiben und sich auch nicht Konkurrenz machen. Die Ansage (kein Bild des Sprechers) war ganz sachlich: ,Wir eröffnen den Versuchsbetrieb.... Sie sehen heute... Das Programm ist beendet. Sie sehen übermorgen ...´ Gezeigt wurde zuerst ein Kulturfilm über Wasserkläranlagen, dann der Real-Spielfilm ,Gefährliche Gäste'. Dauer: etwas über 1,5 Stunden; zwischen den beiden Filmen kein trennendes, bzw. überbrückendes Zeichen. Beginn: 20 Uhr. Keine Störungen." 

Am nächsten Tag bekam Wagenführ sein Gehäuse - auch wenn der Ausschnitt für die Bildröhre (Größe 25 x 25 cm) zu groß war, und er und seine Gäste weiterhin nicht nur die Darbietungen auf dem Bildschirm, sondern zusätzlich das „warme Glühen der kleinen Röhren" im Inneren des Gerätes beobachten konnten. Die Versuchssendungen wurden in dieser Anfangsphase nur alle zwei Tage ausgestrahlt - und das anfangs auch nicht ganz regelmäßig. Den dazwischenliegenden „fernsehfreien" Tag brauchten die „Programm-Macher", um Neues vorzubereiten. Das waren am 3. Sendetag, Freitag, 1. Dezember 1950, zwei Diapositive: Das Programm bestand immernoch aus Filmkonserven, aber zwischen beiden Filmen wurde das Dia „Pause" eingeblendet, und am Schluß verkündete ein zweites Dia „Ende der Sendung". Am 4. Sendetag (Mittwoch, 6. Dezember 1950 - der Montag war wegen der nötigen Vorbereitungen ausgefallen) folgte der nächste Schritt: Das Progamm sollte zur Hälfte aus einer Direktsendung bestehen, also neben der Filmkonserve der Spielfilm „Absender unbekannt" aus einer live im Bunker hergestellten Eigenproduktion. An dieses Wagnis tastete man sich auch erst über Diapositive heran: Diese erste Direktsendung war ein „Vortrag mit Steh bildern übereine Führung durch Pompeji, von Professor Ippel, gesprochen von einem Ansager." 

Für die Zuschauer eine herbe Enttäuschung: Der Vortrag heute war keine reine Freude. Man sah nur Diapositive, die sich in leichtem Bogen (nach oben) von rechts nach links durch das Bild schoben, mit einem schwarzen Feld zwischen jedem Dia. So gut diese Bilder technisch kamen, so unzureichend war der Text: reines Papier deutsch, ganz unpersönlich, viel zu lange Sätze,eine Häufung von Fremdworten. Also bestimmt für etwa 100 interessierte Zuschauer, aber niemals für einen kleinen häuslichen Kreis. Weshalb hatte man den Text nicht ändern lassen? Bei dem Spielfilm kam es zu erheblichen Bildstörungen beim Übergang zwischen den Akten.

Der 5. Sendetag (Freitag, 8. Dezember 1950) versöhnte den aufmerksamen Kritiker. Denn: „Heute erschien zum ersten Mal ein Mensch auf dem Bildschirm, eine Ansagerin! Die Ansagerin, es war Irene Koss im buntgeblümten Kleid, trat aus einem Vorhang wie bei einem Theater oder einer Kabarett-Bühne hervor und ging langsam nach vorn; der Vorhang hinter ihr fiel wieder zu. Sie stand ein wenig befangen vor der Kamera, neigte zum Schluß der Ansage leicht den Kopf, drehte sich um und ging wieder in den Vorhang zurück. Nach den beiden Filmen bedankte sie sich in der Absage für die Aufmerksamkeit und verabschiedete sich mit einem freundlichen Gruß. Das Umwenden nach der Ansage wird man wohl nicht beibehalten können, aber zum ersten Mal wurde der Zuschauer persönlich freundlich und warmherzig angesprochen." 

Der Filmtitel „Absender unbekannt" konnte jetzt nicht mehr für die Versuchssendungen gelten: Irene Koss sollte in den 50er Jahren eine Popularität erlangen, die nach ihr keine Fernsehansagerin mehr erreichte. Die ersten Dia-Fernsehbilder, der begleitende Text und die Ansagen der Irene Koss wurden in einem kleinen Studio im oberen Stockwerk des Fernseh-Reiches aufgenommen „Der kleine Senderaum ist 4,5 x 4,5 m; in ihm sind 7 Scheinwerfer, 1 Kamera, 1 Mikrofon und ein Feldtelefon. Ein Klavier paßte nicht mehr hinein, es steht auf dem Flur. Erstaunlicherweise können auch noch Menschen im Studio Platz finden. Es gibt 4 Hintergründe: glatter Vorhang, gefältelter Vorhang, 2 Tapetenwände. Es bleibt natürlich kein Raum für Dekorationen und Requisiten. Der Senderaum hat keine Tür, denn die Musik soll ins Studio dringen, die Kamera muß beweglich sein und wer nicht gerade im Studio beschäftigt ist, soll rausgehen, ohne mit der Tür zu klappen. Man hört natürlich durch den halben Bunker, wenn in diesem Studio geprobt wird."

Kein Wunder, daß die Stimmen der Sprecher aus einem solchen „ungepolsterten" Betonraum „topfig" geklungen haben, wie Kritiker Wagenführ feststellte. Hinter der Kamera bildete sich langsam ein festes Team: Werner Pleister, Programmdirektor des NWDR, war verantwortlich für die ersten Geh versuche auf dem Fernseh-Parkett; er wurde 1952 auch erster Intendant des dann offiziellen Deutschen Fernsehens. Das „Programmbüro", wo die Planungen der Sendungen erstellt wurden und das für die Durchführung verantwortlich war, bestand aus Hanns Farenburg und Erwin Fuchs. Farenburg war Ende der 30er Jahre Oberspielleiter des Berliner Fernsehsenders gewesen, also ein Mann der ersten Stunde. Ab Mitte der 40er Jahre war er beim Berliner Rundfunk im HdR in der Masurenallee Spielleiter in der Hörspielabteilung, bis er 1950 zum Fernsehen zurückfand.

 

Irene Koss Ire.l und ihre spätere Kollegin Angelika Feldmann

Irene Koss rechts und ihre spätere Kollegin Angelika Feldmann

 

Diese paar Männer mußten alles selbst tun. Sie waren ihre eigenen Regisseure, Manuskriptverfasser, Sprecher, Agenten (die Schauspieler aufsuchten, beschwatzten, prüften und verpflichteten), Mischpult-und Toningenieure und Beleuchter dazu; sie machten ihre Etats und entwarfen Verpflichtungsschreiben; sie holten Requisiten zusammen und knobelten Programme aus. Dabei verfügten sie kaum über Geld und ausreichende Räume. Als nach einigen Wochen eine zweite Gruppe durch Dr. Pleister verpflichtet wurde, zu der film erfahrene Männer wie Curt Oertel und der Kritiker und Schriftsteller Werner Fiedler (Berlin) gehörten, wurde zwar experimentiert, aber schon stellte die Tagesarbeit so hohe Forderungen, daß zu systematischen Versuchen wenig Raum blieb. Daher konnte man es nur begrüßen, daß rundfunkerfahrene Kräfte wie Jürgen Roland (damals noch zuständig als Reporter für Sport, Tagesaktualität und Filminterviews), Dr. Ilse Obrig für die ersten Kinderstunden (sie kam zu ihren Sendungen jeweils aus Berlin nach Hamburg geflogen), eine Reihe von Künstlern für Bunte Abende gewonnen wurden, und daß Filme zur Verfügung gestellt wurden.

Die Tagesarbeit mit den so „beschwatzten und verpflichteten" Schauspielern, Akrobaten, Musikern und Jongleuren - ihre Darbietungen waren, neben Film-Konserven, Inhalt der nächsten Sendewochen - fand in einem zweiten, größeren Studio statt, das im Dezember 1950 fertiggestellt worden war. Der große Senderaum ist etwa 11 m lang und 6,5 m breit (ohne den Regieraum). An der Decke eine nicht zu übersehende große viereckige Duchlüftungsanlage. Der Regieraum liegt etwas erhöht an einer Querseite. Das Studio hat auch nur zwei Eingänge, man kann in die Hinterwand (wie es wünschenswert wäre) keine Tür für Auftritte der Schauspieler einbrechen: die Wand ist mehrere Meter dick und aus Beton. Alles liegt hoch oben im Bunker, rund 100 Stufen hoch, eine schöne Arbeit, wenn der Lastenfahrstuhl nicht funktioniert. Unter dem Dach das kleine Studio, eine Treppe tiefer der ,Sendesaal'. Dazu einige Büros, technische Räume, eine Schminkecke, Ansätze für eine Kantine. Alles hoch, hart, mit stickiger Luft.

Apropos Geld: Die Etatmittel, die den Fernsehleuten in der Versuchsphase monatlich zur Verfügung gestellt wurden, beliefen sich auf knappe 50.000 DM. Das mag den Hörfunkleuten viel vorgekommen sein: 1950 kostete eine Hörfunkprogramm-Minute 25 DM. Doch Generaldirektor Grimme hatte schon im September 1950 seine Intendantenkollegen mit der Mitteilung geschockt, daß man beim Fernsehen mit 500 DM pro Minute rechnen müsse und deshalb wohl auch in Zukunft das tägliche Programmangebot zwei Stunden nicht übersteigen könne. Diese hohen Kosten erklären zum Teil die Reserve, mit denen vor allem die west und süddeutschen Sendeanstalten den Fernseh-Experimenten des NWDR gegenüberstanden. Sie waren mit hohen Investitionen belastet, die die Einführung des UKW-Hörfunks mit sich brachte; einige hielten das Fernsehen für eine reine „Illustration" des Hörfunks und wegen der so viel teureren Herstellungskosten für reine Verschwendung.

Für Intendant Pleister war Fernsehen alles andere als eine nur optische Ergänzung zum Hörfunk: „Wir wissen, wie rasch sich das Fernsehen andere Kontinente erobert hat und müssen uns darauf rüsten, den Ansturm der neuen Sicht-Möglichkeiten organisatorisch zu bändigen und innerlich zu bewältigen. Der NWDR sucht den Fernsehzuschauer in seinem Familienkreise und unter seinen Freunden auf. Die Zuschauer vor dem Bildschirm sollen nicht hypnotisiert oder von sich weggeführt werden. Es gehört zum Stil dieser neuen technischen Kunst oder Kunst-Technik, daß sie sich zwar an jeden zu wenden vermag, aber niemals an alle. Daß die Vervollkommnung der optischen Mittel den Menschen verpflichtet, die neue Art des Sehens zu einer neuen Art von Kunst auszunutzen, ist keine Frage: wenn das nicht gelingt, wird das Fernsehen in lederner Sturheit und todsicherer Konvention ersticken. Der Fernsehschirm hat Schwierigkeiten, Massen zu zeigen - aber das Fluidum, das eine einzelne Persönlichkeit auszustrahlen vermag, überträgt er mit faszinierender Eindringlichkeit. Was am Fernsehen Kunst zu werden vermag, steht zweifellos unter dem Gesetz, daß jeder einzelne er selber sein muß, wenn das Ganze gelingen soll. Die Gefahr des Fernsehens liegt darin, daß es Schablonen statt Leitbilder liefern könnte; es kann also nicht von Schablone-Menschen gemacht werden. Der Bildschirm ist höchst empfindlich gegen Halbwahrheiten und unaufrichtiges Spiel; und schon letzt zeigt es sich, daß er einen entschlossenen Realismus verlangt. Es kann sein, daß das Fernsehen ein Mittel gegen die Schematisierung des Sehens wird." 

 


Gutschein - 5 Westmark im bar

 

Pleister kam vom Theater. Wahrscheinlich lag es an diesem Hintergrund, daß er als erstes Fernsehspiel Goethes „Vorspiel auf dem Theater" vorschlug. Ausstrahlung war am 2. März 1951. Wie Regisseur Farenburg das in einem nur rund 70 qm großen Studio, in dem immerhin auch noch etwa 30 ° Hitze herrschten, inszeniert hat, ist heute kaum noch nachvollziehbar. 

 

 Regisseur Farenburg

 

Vielleicht wollte man in diese schwierigen Arbeitsbedingungen etwas Abwechslung bringen: Am 27. Mai 1951 fand anläßlich der Eröffnung der Landwirtschaftsausstellung auf dem Heiligengeistfeld, also vor der Haustür der „Fernseh-Zentrale", die erste Außenübertragung statt. Als Übertragungswagen mußte ein provisorisch ausgerüsteter LKW herhalten, auf dessen Ladefläche die Fernseh-Leute hockten, „schamvoll verdeckt von einer Zeltplane." Gut drei Monate später, am 6. September 1951, war es mit der Schamhaftigkeit vorbei, als der NWDR seinen ersten „richtigen" Ü-Wagen von der Fernseh GmbH, die Ende der 40er Jahre nach Darmstadt umgesiedelt war, übernehmen konnte: ein blau-glitzerndes, mit über 10 m Länge damals als Ungetüm empfundenes technisches Wunder. Jetzt war „Fernsehen auf Rädern" bundesrepublikanische Wirklichkeit geworden.

 

September 1951: Außenaufnahmen durch Ü-Wagen

Mit dieser Ausrüstung werden die Fernseh-Leute endlich ihre geheimen Wünsche erfüllen können. Endlich werden sie unmittelbar dabei sein: beim Sport-Ereignis oder bei der Ankunft eines Prominenten auf dem Bahnhof. Für die Aufnahmen stehen drei Kameras zur Verfügung, von denen jede bis zu 150 m vom Wagen entfernt arbeiten kann. Ein Kabel verbindet sie mit den Kamera Verstärkern. Alle drei Bild-Einstellungen der Kameras erscheinen zur gleichen Zeit auf den drei Bildschirmen am Mischpult. Dort hat der Regisseur seinen Platz. Er entscheidet, welches Bild gesendet wird. Das endgültige Bild erscheint auf dem Bild am Ausgangsverstärker. Hier wird die technische Qualität überprüft. Neben dem Regisseur sitzt der Toningenieur. Er ist für den ,guten Ton' verantwortlich. Beide Sendungen - also Bild und Ton - gehen über einen kleinen Dezimeterwellen-Sender, der die Aufgabe hat, als ,Zwischenträger' zu arbeiten. (Geschätzte Reichweite: rund 5 km.) Seine ausfahrbare Antenne ist auf dem Dach angebracht. Zur Ausrüstung des Ü-Wagens gehört ferner eine Filmgeber-Apparatur in doppelter Ausführung. Sie kann in den Pausen in Betrieb genommen werden und ist so eingerichtet, daß der Film an jeder beliebigen Stelle unterbrochen und später weitergespielt werden kann. Davor steht für alle Fälle ein Sende-Magnetophon. Neben dem Eingang am Heck des Wagens hat die Hauszentrale ihren Platz. Fahrer und Beifahrer haben die Möglichkeit, von ihrem Platz aus mit dem Wageninneren zu telefonieren. Die Versorgung mit Kraftstrom erfolgt über das normale Leitungsnetz. Ein eigenes Aggregat ist nicht vorgesehen. Wohl aber ein ständiger Gerätewagen, der als Packesel die notwendigen Utensilien mitschleppt: Kabeltrommeln, Mikrofone, Scheinwerfer usw. 

 

Provisorischer Ü-Wagen des NWDR, Mai 1951

Provisorischer Ü-Wagen des NWDR, Mai 1951

 

Ü-Wagen, September 1951

Ü-Wagen, September 1951

 

Filmgeber-Apparatur

Filmgeber

 

Bild- und Tonregie

Bild- und Tonregie

 

Innenansicht des Ü-Wagens

Innenansicht des Ü-Wagens

 

Im Prinzip hat sich an der Ausstattung eines Ü-Wagens bis heute nichts geändert. Die Mikroelektronik hat die umfängliche damalige Technik zwar verkleinert, nicht aber die Funktion verändert; durch kompliziertere Geräte ist der moderne Ü-Wagen der 80er Jahre sogar noch länger geworden: 15 m. Durch Außenübertragungen war Abwechslung in das Programmangebot gekommen - und durch ein 3. Studio, das die Fernseh-Mannschaft Ende 1951 in Besitz nehmen konnte: Im 2. Hochbunker auf dem Heiligengeistfeld war es mit nahezu 450 qm das größte, was in Deutschland bis dahin je in Betrieb war. Unter dem Titel „Fernseh-Dämmerung" beschrieb die „Hör zu", die erste Rundfunkprogramm-Zeitschrift der BRD, den „Zukunfts-Traum", der Wirklichkeit geworden war.

„Die bedrückende Enge im ersten Studio des Nordwestdeutschen Rundfunks in Hamburg wird in wenigen Monaten vergessen sein. Der Aufbau eines neuen Fernseh-Studios ist in Angriff genommen worden - im großen Nachbarbunker auf dem Heiligengeistfeld. Statt 70 werden zukünftig 450 Quadratmeter Raum zur Verfügung stehen. Dazu kommt ein 200 Quadratmeter großes Proben-Studio. Wenn alles beziehbar ist, dann werden die Fernsehleute aufatmen. Endlich können sie sich bewegen. Für die Kameras ergeben sich neue Blickwinkel, Dekorationen können in Ruhe entworfen und gemalt werden. Auch die arbeitserschwerenden Studio-Temperaturen von 35 Grad werden endlich herunter gehen. Es gibt zünftige Garderoben, eine Pressekabine, eine Fernsehstube, aus der man gleichzeitig das Studio überblicken kann; sogar eine Autoeinfahrt ist vorgesehen. Denn man kann ja nicht wissen, was in Zukunft noch alles benötigt wird. Mit dem Aufbau des neuen Studios wird auch bei uns das Fernsehen eine etwas großzügigere Note erhalten, die man in anderen Ländern schon seit vielen Jahren kennt."

Durch den Ü-Wagen konnte dem Bedürfnis nach aktueller Berichterstattung nachgegangen werden, die drei Studios erlaubten Experimente der verschiedensten Gattungen: vom 2-Personen-Sketch über Kabarett bis zu fernsehmäßig bearbeiteten Theaterstücken und den ersten Vorläufern des Genres Fernsehspiel. In der entstehenden Fachpresse und -literatur wurde nach Fachtermini gesucht, um das, was sich im Studio tat, zu beschreiben: Sätze wie „Wenn der Bildfänger im leeren Raume panoramiert" oder „Wenn die entfesselte Kamera eingesetzt wird" bedeuten nichts anderes als das, was man heute mit einem Kameraschwenk oder einer Kamerafahrt bezeichnet. Die Vertreter der schreiben den Zunft hatten Mühe, mit dem technischen Entwicklungstempo Schritt zu halten.

 

Rieselikonoskop-Kamera auf Rollwagen

Rieselikonoskop-Kamera auf Rollwagen

 

Was der im Raume panoramierende Bildfänger auch auf seiner Wanderung einfing - alles war live, direkt, jeder Fehler wurde gesendet: Die magnetische Aufzeichnung von Bildsignalen (MAZ), d.h. Produktion - Konserve - beliebiges Ausstrahlungsdatum und unendliche Wiederholungsmöglichkeiten, wurde in der BRD erst ab 1957 eingeführt. Durch die Notwendigkeit der Live-Ausstrahlung entstanden häufig Probleme bei der Rollenbesetzung. Im folgenden ein Auszug aus einem Buchkapitel, das sich mit der Entstehung einer Sendung beschäftigt.

„Inzwischen ist der Regisseur nicht untätig gewesen. Er hat sich mit dem Besetzungsbüro oder der Produktionsabteilung Gedanken gemacht, wer die verschiedenen Rollen übernehmen kann. Die Rollenbesetzung ist gar nicht so einfach, wie Sie sich das vielleicht vorstellen. Denn kaum hat der Regisseur festgestellt, daß der Schauspieler Müller ideal für die Hauptrolle wäre, da erklärt ihm das Besetzungsbüro, daß Müller für die nächsten 40 Tage einen Film in Geiselgasteig dreht und daher nicht verfügbar ist. ,Gut', sagt der Regisseur ,nehmen wir also Meyer!" Aber Meyer gehört dem Bühnenensemble eines örtlichen Theaters an, und er spielt dort die Hauptrolle in einem Serienstück, das vermutlich noch 6 Wochen läuft. Für diese Zeit ist er also jeden Abend besetzt und kommt für das Fernsehspiel demnach nicht in Frage. Also bleibt nichts übrig, als die Hauptrolle Lehmann zu geben. Der Regisseur telefoniert mit ihm, und es ergeben sich tatsächlich 3 Tage im nächsten Monat, an denen es Lehmann passen würde, die abendliche Sendung durchzuführen. Der Regisseur triumphiert. Die Hauptrolle ist besetzt. Aber nun beginnt das gleiche Spiel mit der weiblichen Hauptdarstellerin, und Sie können 10:1 wetten, daß die geeignetsten Kräfte gerade an den Tagen, die Lehmann frei hat, besetzt sind. Daß es am Ende doch glückt, alle Rollen zur Zufriedenheit des Regisseurs zu besetzen, und daß ein Termin für die Sendung und ein zweiter für die Wiederholung festgelegt werden können, wundert den Regisseur am Ende am allermeisten. Aber es gelingt." 

 

Statistiken Fernseh Teilnehmer

 

Für das Jahr 1951 kann man aus entsprechenden Statistiken entnehmen, wie verbreitet mittlerweile Fernsehen in aller Welt waren in:

USA 10.000.000 Teilnehmer, Großbritannien 600.000 Teilnehmer, Frankreich 4.000 Teilnehmer, BRD einschließlich West-Berlin 100 Teilnehmer.

Er hatte dadurch errechnet, dass in Berlin also auch noch 20 Geräte aus dem Krieg gerettet worden sein, die irgendein Fernsehbild empfingen - nicht aus Hamburg, da noch keine Richtfunkstrecken-Verbindung bestand. Und in der Tat: Wenig später als in Hamburg, nämlich im Dezember 1950, fanden sich versprengte technische Mitarbeiter des ehemaligen Berliner Fernsehsenders zusammen und gingen daran, an altvertrauter Stätte, im ehemaligen, nicht zerstörten RPZ in Tempelhof in einem Turmzimmer ein Versuchsstudio einzurichten. Gerettet hatten sie an Gerätschaften einen Dia- und einen Filmgeber sowie eine Superikonoskop-Kamera. Über einen 200-W-Sender, dessen Antenne auf dem Turmdach angebracht war, strahlten sie ab Juni 1951 die ersten Testbilder ab. Gleichzeitig tat sich etwas in der NWDR-Filiale Berlins, die im „Haus der Zahnärzte" am Heidelberger Platz (das Haus des Rundfunks gehörte ja dem unter sowjetischer Aufsicht stehenden „Berliner Rundfunk") ein Unterkommen gefunden hatte und Hörfunk ausstrahlte.

Und dort waren Techniker und Mitarbeiter des Programms in Sachen Fernsehen auch nicht untätig. Sie hatten sich ein „Studio 1"  für ihre Fernsehexperimente eingerichtet. Einer, der dabei war, berichtet: „Kam man zufällig in diesen Raum, bot sich einem ein merkwürdiges Bild: Auf einem Podest stand ein Flügel, an diesem saß ein Mensch, von dem man annehmen mußte, er habe soeben geduscht, er triefte vor Nässe. Daneben eine rot-blonde Dame, ebenfalls total durchnäßt, mit aufgelöstem Haar, und überden beiden ein Gestell mit 100 Nitraphot-Lampen als große Flächen leuchte. Nun weiß jeder Amateurfotograf, welche infernalische Hitze von 100 solcher Lampen, jede a 100 Watt, ausgeht.

Das Gestell schwebte etwa einen Meter über den Köpfen der Protagonisten, die trotz allem Übel die Tortur lächelnd über sich ergehen ließen. Dicht bei der Dame stand ein junger Mann mit einem grauen Kasten, den man auf ein knarren des Holzstativ montiert hatte, und auf dem ein Drahtrahmensucher angebracht war. Ein objektivähnliches Gebilde starrte auf die Gefolterte, und an der anderen Seite des Raumes, in der Nähe des verhangenen Fensters, zwischen Gerümpel - das sich später als hoch wichtiges, technisches Gerät entpuppt - diskutierten zwei Herren verbissen um Begriffe wie Helligkeit, Kontrast, Zeilenfrequenz und Netzspannung. Einer von ihnen, Dr. Schunack, stellte sich mit einem flüchtigen Kopfnicken kurz vor und verschwand sogleich wieder mit einem Kopfsprung in dem Gewirr von Drähten und Geräten.

 

im Berliner Studio 1

Der „graue Kasten" im Berliner „Studio 1"

 

Oktober 1951: wieder Fernsehen in Berlin

Man hatte diese kostbaren Relikte der Vorkriegsfernsehzeit aus den Kellern alter Gebäude, die einmal mit dem Fernsehen zu tun hatten, zusammengetragen und war sehr stolz auf die ,Beute'. Auf einem der besagten Gestelle befanden sich kleine Kästen mit einer erleuchteten, etwa postkartengroßen Mattscheibe, auf der sich - so schien es mir - Amöben, vergrößerte Pantoffeltierchen, tummelten. Ich fragte Dr. Schunack höflich, was das denn sei. Er drehte sich verstört um, maß mich mit einem vernichtenden Blick und sagte: ,Das ist doch die Wengil"- Das war der Name der nassen Dame, die übrigens unsere erste Ansagerin wurde." 

Im Laufe des Jahres 1951 einigten sich Bundespost und NWDR auf enge Zusammenarbeit in Berlin. Die Post sollte für die Technik und der NWDR für das Programm des zukünftigen Versuchsbetriebes zuständig sein; für die Produktion der Programme stellte die Post ihr Studio im RPZ in Tempelhof zur Verfügung. Als am 6. Oktober 1951 auf dem Funkturm ein 1-kW-Sender vom NWDR installiert wurde, merkte auch die Öffentlichkeit, daß auf dem Gebiet des Fernsehens in Berlin wieder etwas passierte.

  

Berliner Industrieausstellung

 

Startschuß war die Berliner Industrieausstellung, der ersten nach dem Krieg und von Bundeskanzler Adenauer am 25. Oktober 1951 höchstpersönlich eröffnet. Und die Berliner strömten: Zur „Fernsehstraße", auf der 14 Industriefirmen rund 40 Fernsehempfänger ausgestellt hatten. Es waren die ersten Nachkriegsmodelle, denn bisher war die Industrie sehr zurückhaltend auf dem Gebiet der Fernsehproduktion gewesen. Sie war der Meinung, zuvor solle die Post die Transportmittel, d.h. Übertragungsleitungen zwischen Studios und Sendern bereitstellen, die Sendeanstalten Studios und Sender betreiben und Programmkonzeptionen ausarbeiten, erst dann würde der zahlende Käufer sich auch für Empfangsgeräte interessieren. Ein entsprechender Vertrag über die Verteilung der Zuständigkeiten war schon am 24. Mai 1949 zwischen Bundespost und NWDR geschlossen worden, und die Post hatte 1950 mit dem Bau der ersten Richtfunkstrecken begonnen. Jetzt war die Industrie bereit mitzuziehen. Die auf der Industrieausstellung gezeigten Modelle hatten zwar alle noch eine bescheidene Bildgröße (durchschnittliche Diagonale von 36 cm), aber auf ihnen passierte etwas: Der NWDR produzierte live und täglich auf dieser Ausstellung, und die Programme konnten auf den Empfängern verfolgt werden. Das Programm gestalteten NWDR Hamburg und Berlin gemeinsam; Ort war die damalige Halle 1, heute Halle 18, wo die ARD bis 1981 ihr Funkausstellungsprogramm produzierte.

„Das Programm war, selbst mit heutigen Maßstäben gemessen, recht aufwendig. Zwar wußte man meist kurz vor Beginn des bunten Programms fast nie so genau, wer eigentlich mitmacht, aber irgendwie klappte es immer. Wir Berliner nutzten fleißig unsere Verbindungen zu den hier ansässigen Künstlern, und wir holten jeden vor die Kamera, der nur greifbar war. Es gab sogar einen aktuellen Dienst, und um diesen für das Publikum attraktiv zu machen, wurden Nachrichten, Sportmeldungen oder kulturelle Ereignisse von Karikaturisten kommentiert und gezeichnet. Auf der Bühne saß das Orchester Otto Kermbach, und einer der bekannten Berliner Sprecher leitete jeweils die Sendung, indem er eine Darbietung ansagte, schnell hinter der Bühne verschwand, um zu erforschen, ob und wann der nächste Gast eintrifft. Nicht selten mußte ein Conferencier minutenlang sein Publikum unterhalten, bis er endlich ein Zeichen bekam, daß der nächste Künstler bereit sei!"

Ein Kind, das bis dahin nur durch den Hörfunk bekannt war, machte seine ersten Bühnenschritte: Cornelia Froboess sang ihr in Ost und West bekanntes „Pack’ die Badehose ein." Der Erfolg der Ausstellung, auf der der NWDR auch seinen nagelneuen Ü-Wagen eingesetzt hatte, beseitigte Barrieren: Einige Wochen danach zogen die Berliner NWDR-Fernsehleute zu ihren Technik-Kollegen von der Post nach Tempelhof und setzten von dort gemeinsam die Programmversuche fort.

„In diesem Zentralamt gab es zwei technische Räume in Zimmergröße und zwei Studios von sage und schreibe 6 mal 10 Metern. Durch eine Glasscheibe war das eine Studio vom Regieraum, der sich unmittelbar neben dem Kamerakontrollraum befand, getrennt, und die Damen und Herren, die hier arbeiteten, waren Postbeamte. Für sie bestand das Fernsehen damals ausschließlich aus Technik, Programm war nur als Mittel zum Zweck geduldet. Sie betrachteten uns anfangs als Exoten, wir wurden aber sehr schnell gute Freunde, wozu nicht zuletzt die im gleichen Stockwerk gelegene Kantine beigetragen hat. Zunächst wurde erst einmal nach dem Prinzip gearbeitet, alles, was gefällt, ist gut. Und da keinerlei finanzielle Mittel zur Verfügung standen, waren wir auf die Mitwirkung aller angewiesen, die uns helfen wollten, und viele wollten das. Zuerst waren es die Reporter des Zeitfunks, die das Programm zu gestalten hatten. Jeder Tag war ein individuelles Erlebnis' denn daß eine der täglichen Versuchssendungen einmal pannenfrei über den Bildschirm ging, war nahezu ausgeschlossen. Klappte es einmal ohne Fehler, fühlten wir uns wie Könige, denn schließlich hatten wir damals bereits ein paar Zuschauer, und die gingen gar nicht nett mit uns um, wenn etwas schiefging. Wir gehörten quasi zur Familie, und da sagt man sich die Wahrheit." 

 

Regieraum des Versuchsstudios bei der Post

Regieraum des Versuchsstudios bei der Post

 

Soweit die ersten Gehversuche der beiden ersten bundesrepublikanischen Fernsehstädte. Auf der Organisationsebene des Rundfunks hatte sich inzwischen einiges getan. Die Verantwortlichen der bis dahin bestehenden sechs Rundfunkanstalten - NWDR in Hamburg (1. Januar 1948), Bayerischer Rundfunk in München (10. August 1948), SÜDWESTFUNK in Baden-Baden (30. Oktober 1948), Hessischer Rundfunk in Frankfurt (28. Januar 1949), Radio Bremen 15. April 1949) und der Süddeutsche Rundfunk in Stuttgart (22. Juli 1949) - hatten erkannt, daß die föderalistische Rundfunkordnung nicht zur Vernachlässigung überregionaler Aufgaben des Rundfunks führen durfte. Deshalb hatten sie begonnen, sich auf Tagungen zu treffen und die allen gemeinsamen Probleme zu erörtern. 

„Dabei wares gar nicht so einfach, zueinander zu gelangen. Wer morgens früh in Stuttgart in eines der wenigen aus Requisitionsbeständen stammenden Autos stieg, um nach Baden-Baden zu fahren, war keineswegs so sicher, ob ihm der ,Grenzübertritt' in die französisch besetzte Zone irgendwo zwischen Böblingen und Calw gelingen würde. Eines Tages bildete sich im Hofe des Stuttgarter Funkhauses ein schaulustiger Auflauf um einen älteren VW, dem ein Mann entstieg, der die wenig glaubhafte Story verbreitete, er sei der Sendeleiter des NWDR-Köln und von dort, wenn auch nicht geradewegs, so doch mit einigen Unterbrechungen nach Stuttgart gefahren, wo er nun die fernen schwäbischen Kollegen zu begrüßen, kennenzulernen und dabei auch einen Tank voll Benzin zu ergattern hoffte. Es klang exotisch, unglaublich - bis auf die Sache mit dem Benzin. Aber es stimmte ... Oder die Kollegen vom RIAS aus Berlin. Verschlossen und so gut wie plombiert wurden sie in amerikanischen Militärzügen herangeschafft aus dem trostlosen Berlin in die nicht ganz so trostlose amerikanische Westzone ... Und es bildete sich allmählich, bei aller selbstverständlichen Konzentration auf die zwangsläufig betont regionale Arbeit, das Bewußtsein nicht einer gemeinsamen Aufgabe — so weit war es noch nicht-, aber doch von Problemen, die das meiste gemeinsam hatten."

 

Gründung der ARD

 

Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland

 

Als sich zeigte, daß die lose Zusammenarbeit auf die Dauer nicht genügte, beschlossen die Intendanten im Juni 1950 die Bildung einer „Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland" (ARD).

 

Kamerakontrollraum des Versuchsstudios

Kamerakontrollraum des Versuchsstudios

 

Kamerakontrollraum

 

Diese Gründung markiert das offizielle Ende des Nachkriegsrundfunks in der BRD. Sie legt im Rahmen des Föderalismus die Zusammenarbeit der Rundfunkanstalten fest - Bearbeitung gemeinsamer Fragen des Programms sowie gemeinsamer Fragen rechtlicher, technischer und betriebswirtschaftlicher Art und repräsentiert bis zur Gründung des „Zweiten Deutschen Fernsehens" (ZDF) den Rundfunkin der Bundesrepublik Deutschland, über das weitere Vorgehen beim Fernsehen entstand zunächst einiges Hin und Her. Zwar war am 11. November 1950 von der ARD eine „Fernsehkommission der Rundfunkanstalten" gegründet worden, die in Verhandlungen mit Bundespost und Industrie den Zeitpunkt der offiziellen Einführung des Fernsehens festlegen sollte, aber die Organisationsfrage blieb strittig. Einige Intendanten waren für Gemeinsamkeit, andere wollten die Regionalität betont wissen, und der SÜDWESTFUNK-Intendant war grundsätzlich gegen ein Gemeinschaftsprogramm (was der Linie der Regierung Adenauer entsprach).

Auf der entsprechenden ARD-Konferenz am 28. April 1952 kam lediglich folgende Absichtserklärung zustande: „Da jede einzelne der sechs deutschen Rundfunkanstalten (in dieser Hinsicht sogar auch der NWDR) für die Produktion eines ausreichenden Fernsehprogramms zu klein ist, ist man einmütig zu der Meinung gekommen, für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik ein in der Hauptsache gemeinsames Fernsehprogramm anzustreben. Außer dem gemeinsamen Programm wird jede Anstalt natürlich auch zu einem gewissen Prozentsatz (10 - 25 Prozent) ein lokales Programm senden. Das gemeinsame Programm soll sich aus Beiträgen aller sechs Rundfunkanstalten zusammensetzen. Dabei werden sich selbstverständlich Schwerpunkte bilden und gewisse Anstalten werden sich auf das eine oder andere Gebiet spezialisieren." 

 

Beginn des regelmäßigen Programmdienstes

 

25. Dezember 1952: Beginn des regelmäßigen Programmdienstes

Da weiterhin keine endgültige Entscheidung getroffen wurde, legte der NWDR für sein Sendegebiet den 25. Dezember 1952 als offiziellen Beginn des Fernsehprogrammdienstes fest. Bis zum 31. Dezember lieferten die drei Studios Hamburg, Berlin und Köln allerdings noch drei verschiedene Programme, da die Richtfunkstrecke Hamburg - Köln nicht rechtzeitig fertiggestellt worden war; sie wurde aber am 1. Januar 1953 dem Betrieb übergeben: Damit begann das Gemeinschaftsprogramm der drei NWDR-Studios. Für eine monatliche Teilnehmergebühr von 5 DM konnten die Zuschauer - es waren mittlerweile in den drei Ausstrahlungsgebieten rund 1.500 Geräte registriert- ein regelmäßiges tägliches Programmangebot von zwei Stunden empfangen (20.00 - 22.00 Uhr),
mehrmals in der Woche eine Nachmittagssendung für Kinder, eine Sportübertragung am Sonntagnachmittag und am Sonntagvormittag ab August 1953 die vom Hörfunk übernommene Sendung „Internationaler Journalisten-Frühschoppen", eine Gesprächsrunde zu aktuellen Ereignissen mit Werner Höfer, heute noch wöchentlich im Programm und damit eine der ältesten Sendungen des bundesrepublikanischen Fernsehens.

 

FE 8 von Telefunken, 1952

FE 8 von Telefunken, 1952

 

Fernseh-Filmbericht

 

Die älteste ist die „Tagesschau". Hervorgegangen aus ersten Versuchen einer aktuellen Berichterstattung mit Filmbeiträgen und Standfotos im Jahr 1951, folgte im Januar 1952 eine Reihe von 100 Versuchssendungen unter dem Titel „Fernseh-Filmbericht", die ab August den Namen „Tagesschau" erhielt. Ab 26. Dezember 1952 erschien die „Tagesschau" regelmäßig dreimal in der Woche: montags, mittwochs und freitags.

 

Die Funkausstellung 1965 zog die Menschen erstmals in  Massen auf den Killesberg. Foto: Messe Stuttgart

Internationale Funkausstellung in Stuttgart, Killesberg, 1965

 

„In Wahrheit handelt es sich beim Fernsehen augenblicklich noch um eine Zwei-Tagesschau. Das heißt, nur jeden zweiten Tag kommt eine neue Ausgabe heraus, die am folgenden Tag einfach wiederholt wird. Das hat den Vorzug, daß Sie eine Tagesschau, die Sie verpaßt haben, am nächsten Tag doch noch sehen können. Es hat aber den großen Nachteil, daß Sie nicht jeden Tag die wirklich ,heißesten' Bildnachrichten vorgesetzt bekommen. Die Tagesschau ist übrigens der einzige Teil des Programms, bei dem man unter keinen Umständen auf den Film verzichten kann. 

 

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Internationale Funkausstellung in Berlin vom 6. - 11. September 2019

 

Wenn ein Minister am Vormittag eine Brücke einweiht; wenn am Nachmittag ein wichtiges Sportereignis ist, dann muß man das auf Film festhalten, damit wir es am Abend sehen können. Schon am gleichen Abend ? Nun, seien wir ehrlich: immer ist bisher die Tagesschau nicht so aktuell gewesen. Sie hinkte manchmal noch ein wenig hinter den Ereignissen her... Der Gedanke, auf so aktuelle Weise das Zeitgeschehen miterleben zu können, hat viele-vielleicht auch Sie ? - zum Kauf eines Fernsehgerätes verlockt. Dabei hat die Tagesschau noch einen weiteren Vorzug vor der Wochenschau des Kinos. Da sie nicht sieben Tage, sondern gewöhnlich nur zwei zusammenfassen muß, ist ihr Themenbereich natürlich viel größer als der der Wochenschau. Das einzelne Thema kann auch ausführlicher und liebevoller wiedergegeben werden, als es der Wochenschau möglich ist, die mit den Filmmetern und der Vorführzeit geizen muß. Jedenfalls gehört die Tagesschau zu den beliebtesten Sendungen des Fernsehprogramms." 

An den so liebevoll aufbereiteten Nachrichtensendungen war also wenig auszusetzen, wohl aber entzündete sich heftige Kritik am abendlichen Unterhaltungsprogramm. Der Start am 25. Dezember wurde als „Panne" bezeichnet, „der nicht gehalten hat, was er versprach und was uns die Verantwortlichen ankündigten. Und es ist schade, daß jetzt viele enttäuscht sind, die eigentlich gar nicht das Fernsehen an sich, sondern nur die Mängel des Programms ablehnen." 

 

Erste Fernsehprogramm-Ankündigungen

Erste Fernsehprogramm-Ankündigungen

 

Die Programmkritik entzündete sich einesteils an der Auswahl der Stoffe. „Auf der Programmplanung des Fernsehsenders Fiamburg stehen jetzt einige Fernseh-Spiele: ,Die verschlossene Tür' (Fred von Hoerschelmann); ,Die Geishas des Captains Fisby (Burghardt Nadolny); ,Die vergessenen Gesichter' (Walter Jens); ,Abteilung für Notwohnungen' (Fierbert Reinecker); und Samstag, Sonntag, Montag' (Peter A Horn). Vorgesehen ist außer dem eine Fernseh-Operette. (Erst eine?) Auch Opern-Aufführungen sind geplant: ,Der Zauberlehrling' (Walter Braunfels) und voraussichtlich, Der kleine Schornsteinfeger (Benjamin Britten). Wenn diese Werke aufgeführt werden, würde der Fernseh-Funk, einschließlich der im Januar aufgeführten Oper ,Amahl und die nächtlichen Besucher von Menotti, drei moderne Opern gesendet haben — ein bedenklich hoher Anteil moderner Musik. Denn ältere Opern, die in Frage kämen, fehlen in dieser Planung völlig." 

 

aus:Hörzu, Nr.6/1957, Rückseite

aus: „Hörzu", Nr. 6/1957, Rückseite

 

Andererseits an dem Gesamtprogramm, als „allzu bescheiden" bezeichnet, was an folgender „Liste" deutlich wird. „Es genügt nicht, jeden Monat ein einziges halbwegs gelungenes Fernseh-Spiel zu servieren. Es genügt nicht, das alte Pausenschild durch krampfhaft neckische Zeichnungen zu ersetzen. Es genügt nicht, zwei Stunden um jeden Preis zu füllen und notfalls mit Kulturfilmen zu stopfen. Es genügt nicht... der Raum reicht nicht aus, die Liste der Mängel und Versäumnisse - für die der Fernseh-Intendant verantwortlich zeichnet-vollständig zu machen." 

 

V 52 von Blaupunkt, 1953

V 52 von Blaupunkt, 1953

 

V 52 von Blaupunkt, 1953

 

V 52 von Blaupunkt, 1953

 

Ein Zwiegespräch im Fernsehen

Ein „Zwiegespräch" im Fernsehen

 

Gefüllt und gestopft wurde nicht nur mit Kulturfilmen, sondern auch mit „Zwiegespräch" titulierten Sendungen, an denen ebenfalls nicht mit Kritik gespart wurde. Die beiden Partner sitzen nebeneinander wie auf einem Amesünderbänkchen, allenfalls in einem rechten Winkel zueinander. Der Fernseher sieht zunächst nur den Interviewer. Wenn sich der Blick des Interviewers nach der Seite wendet, schwenkt die Kamera auf den Nachbarn, dem der Interviewer nun, ohne den Fernseher anzusehen (oder auch, die andere Möglichkeit, ohne den Befragten eines Blickes zu würdigen), eine Frage stellt. Auf diese antwortet der Befragte wiederum mit dem Blick zum Interviewer, der sie gestellt hat, nicht aber zum Fernseher. Allenfalls, daß er ab und zu mal einen Blick in die Kamera (und damit zum Fernseher) riskiert, ohne recht zu wissen, wo denn nun sein wirklicher Partner sei. Die naive Einfallslosigkeit einer solchen Fernsehform des Gespräches hat zur Folge, daß im Grunde nach keiner Richtung ein echter Kontakt entsteht-weder zum Interviewer, noch zum Fernseher. Beide Gesprächspartner jonglieren mit ihren Blicken seltsam unruhig vor der Kamera, ohne zu wissen, wohin sie eigentlich gehören. Und der Fernseher weiß nie: ist er eigentlich gemeint, gehört er dazu, oder ist er ein störender Zaungast, der das intime tete ä tete im Grunde höchst unwillkommen belauscht. So peinlich ist es immer wieder." 

Die Verantwortlichen nahmen die Kritik indessen gelassen. „Noch immer gibt es Menschen, die kategorisch und mit einem gewissen Stolz erklären: ,Mir kommt kein Fernsehapparat ins Haus!' Lassen wir sie ruhig dabei! Wir haben diesen Satz vor 30 Jahren, als der Rundfunk aufkam, so oft gehört, daß wir ihn mit lächelnder Skepsis hinnehmen. Adere sagen:,Das Fernsehprogramm ist schlecht.' Das hat in dieser Verallgemeinerung die gleiche Gültigkeit, wie etwa die Behauptung ,Alle Italiener sind Tenöre' oder, In Hamburg gibt es keinen Tag ohne Regen'. Gegen eine solche Meinung ist es schwer zu polemisieren; aber da man in England, das heute 2,9 Millionen Fernsehteilnehmer zählt, und in den USA, wo 25 Millionen Televisions-Empfänger stehen, seiner zeit dasselbe zu hören bekam, glauben wir, daß die Entwicklung des Fernsehens in Deutschland dadurch nicht aufgehalten wird."

 

aus: Hör zu, Nr. 17/1953

aus: „Hör zu", Nr. 17/1953

 

Was sich bestätigen sollte. Pluspunkte von Seiten der Kritik bekam dagegen von Anfang an der Fernseh-Koch Clemens Wilmenrod. Er hatte Ende 1952 den
NWDR davon überzeugen können, daß das Fernsehen die ideale Kochschule sei, worauf man ihm im Studio eine eigene Küche baute und ihm eine feste Sendezeit gab.

 

Hör und sieh zu

 

Hör zu, Nr. 40/1953
aus: „Hör zu", Nr. 40/1953

 

„Seitdem hat Wilmenrod in alle Fernseher-Familien die wohltuende Aufregung des guten Essens gebracht. Jede Sendung Wilmenrods ist von der ersten bis zur letzten Sekunde durchgefeilt und überlegt. Selbst die scheinbar spontanen Einfälle... Es gibt nur ein Übel, mit dem er ebenso hartnäckig wie vergeblich kämpft: daß ihm unter den Scheinwerfern immer wieder Butter und Fett zerlaufen und er diese fürs Kochen so wichtigen Zutaten regelmäßig nur als Flüssigkeit mit dem Löffel den Mahlzeiten beifügen kann. Und Spötter haben erklärt, daß er nur eine kulinarische Delikatesse nicht vor der Kamera zeigen kann: die Zubereitung von Speiseeis!" 

Wilmenrod kochte nicht nur, sondern erklärte natürlich gleichzeitig sein Tun, d.h. er hielt einen „monologischen Vortrag", der zwar„als die technisch simpelste, aber vom Menschen her wohl schwierigste Form der Bewältigung des Fernsehens" angesehen wurde. In theoretischen Überlegungen zu diesem Problemkreis ist der Fernsehkoch in die deutsche Rundfunkgeschichte eingegangen. „Der Sprecher des monologischen Vortrags sollte sich immer einen guten Abgang sichern, eine vorbereitete Schlußpointe, auf die er von vornherein hinsteuert und die nicht das unangenehme Gefühl gibt, die Darbietung habe eigentlich keinen Ausklang gehabt. Der pointiert endende Monolog hinterläßt den Fernseher selbst nach einem mäßigen Vortrag nicht völlig unlustig. Es klingt dann vielleicht noch nachträglich manches auf, was beinahe verloren gegangen wäre. Die Eckpfeiler solcher monologischen Äußerungen im Fernsehen sind die wichtigsten Stützen: der Anfang kann beinahe alles gewinnen, der Schluß kann noch etwas retten. Vorbildlich für die Dramaturgie der Anfänge und Schlüsse ist Clemens Wilmenrod in seinen Kochsendungen." 

 

Hör zu, Nr. 46/1956

aus: „Hör zu", Nr. 46/1956

 

Trotz Tagesschau, Wilmenrod, den zarten Anfängen des deutschen Wirtschaftswunders: Dervon vielen erwartete Fernseh-Boom des Jahres 1953 blieb aus. Ein Jahr nach dem Fernsehstart des NWDR wurden nicht mehr als 11.658 Teilnehmer gezählt. Die Zahl der Empfänger-Produktion drückt die hochgeschraubten Hoffnungen der Industrie aus: Im Jahr 1953 wurden 54.475 Fernsehgeräte produziert, im Schnitt zwischen 800 und 1.200 DM, Fernsehtruhen, also mit Radio und Plattenspieler kombinierte Geräte, ab 2.000 DM. 

 

Hör zu, Nr. 48/1953

aus: „Hör zu", Nr. 48/1953

 

Das zurückhaltende Käuferinteresse des Jahres 1953 hing sicherlich nicht nur mit dem Programmangebot zusammen, sondern auch mitallgemeinen Fragen politischer, organisatorischer und technischer Natur. Im Februar 1953 hatte der Staat Fernseh-Begehrlichkeiten artikuliert, indem das Bundesinnenministerium einen Gesetzentwurf über die „Wahrnehmung gemeinsamer Aufgaben auf dem Gebiete des Rundfunks" veröffentlichte. Dieser Schritt führte auch bei den bis dahin zögerlichen Intendanten zu einem Solidarisierungseffekt: Ihre Anstalten waren öffentlich-rechtlich, vom Staate unabhängig, gemeinsame Aufgaben gab es da nicht.

 

Hör zu Nr. 49/1953

aus: „Hör zu” Nr. 49/1953

 

Der schon im Mai 1952 vom NWDR vorgelegte, aber immer wieder zurückgestellte Fernsehvertrag, der die innerhalb der ARD gemeinsamen Aufgaben regeln sollte, wurde jetzt beraten, am 27. März 1953 von den sechs Intendanten gebilligt, von allen Anstalten ratifiziert und am 12. Juni 1953 von den Intendanten unterzeichnet. Eberhard Beckmann, Intendant des Hessischen Rundfunks und zu der Zeit Vorsitzender der Fernseh kommission der ARD, verteidigte diesen Schritt gegenüber der entstandenen politischen Diskussion. „Dieser Vorschlag (der Gesetzentwurf des Innenministeriums) will in hastigem organisatorischen Zugriff die Entwicklung des Fernsehens festlegen und bestimmen. Mit Hilfe eines bundesgesetzlichen Hoheitsaktes soll eine Fernseh-Zentrale entstehen, und die Bündelung der personellen und sachlichen Kräfte an einem Platz erfolgen. Der Vertrag der Rundfunkanstalten untereinander zielt nicht auf eine solche geschlossene zentrale Ordnung. Ihm liegt der Gedanke zugrunde, einen sinnvollen Rahmen zu schaffen, der dem Fernsehen ein allmähliches Reifen erlaubt und jede unnötige Zwangsjacke vermeidet, die dem freien Wachsen und Gedeihen des neuen Mediums von der Organisationsform her unerwünschte Engen und vordiktierte Richtungen auferlegen würde. Statt eines Gesetzes, das nur schwer änderbare Tatbestände schafft, gibt es eine vertragliche Übereinkunft, die schnell und einfach jede Art von Revisionen erlaubt." 

„Auch das Agument der Wirtschaftlichkeit wird gern mißbraucht. Es ist unwahr, daß die von den Rundfunkanstalten geplante Zusammenarbeit wirtschaftlich nicht vertretbar sei und daß die zentrale Behandlung eine finanzielle Ersparnis bedeute. Soweit die hier erörterte Problematik überhaupt dem Rechenschieber zugänglich ist, gibt es keinen überzeugenden Nachweis für die These, daß zentrale Instanzen ökonomischer arbeiten würden. Der Preis, den die Algemeinheit durch den Verlust der Programme an Beweglichkeit und freiheitlicher Vielfalt zahlen müßte, wäre jedenfalls sehr hoch. Die Kritik bezweifelt die Funktionsfähigkeit des von der Arbeitsgemeinschaft aufgebauten Organismus. Man sollte sich gedulden und dem Rundfunk zunächst Gelegenheit geben, seinen Befähigungsnachweis zu führen. Der im Fernsehvertrag der Abeitsgemeinschaft geschaffene Programmausschuß wird natürlich erst im Zuge des Aschlusses der Sender an die Dezimeterstrecke seine Tätigkeit vervollständigen können. Und ehe denn nicht die Strecke wie die Rundfunkleitungen nach Belieben und in Sekundenschnelle geschaltet werden kann, bleibt das Programm ein Behelf und gibt von der möglichen, erreichbaren Leistung nur einen schwachen Begriff. Da die Gründe für solche Schwierigkeiten nicht beim Rundfunk liegen, sollten ihre Wirkungen bei einer Beurteilung der Lage auch nicht dem Rundfunk zur Last gerechnet werden." 

 

1. November 1954: Gemeinschaftsprogramm „Deutsches Fernsehen"

Damit hatte die ARD den schwarzen Peter der Post zugeschoben. Denn die war mit dem Ausbau der nötigen Richtfunkstrecken (mit
Dezimeterwellen) nicht nachgekommen. Wie bereits ausgeführt, waren die Rundfunkanstalten für die Errichtung der Sender, die das Programm ausstrahlen, zuständig. Bis Ende l954 waren l4 solcher Sender in Betrieb. Der Transport der Programme zu den Sendern - über eben diese Richtfunkstrecken - war aber Sache der Post. Erst als alle Sender an die Richtfunkstrecke angeschlossen und so miteinander verbunden waren, konnte das geplante Gemeinschaftsprogramm „Deutsches Fernsehen" beginnen: am 1. November 1954. Daran beteiligt waren zu diesem Zeitpunkt der NWDR, der Hessische, Süddeutsche und Bayerische Rundfunk, der Südwestfunk und der Sender Freies Berlin, die im November 1953 errichtete selbständige Rundfunkanstalt Berlins. Jeder Sender besaß damals nur eine Richtfunkstrecke, d. h. bei Umschaltung (vom Sternpunkt Frankfurt aus) auf das Programm des Senders einer anderen Rundfunkanstalt entstanden lange Pausen, da die Richtfunkstrecken erst „umgedreht" werden mußten: Aus dem Sender wurde der Empfänger und umgekehrt.

Diese Umschaltpausen hatten eine Dauer von fünf bis zehn Minuten, was dazu führte, daß man sich bemühte, das Abendprogramm abwechselnd nur von einer Rundfunkanstalt produzieren zu lassen. Dieses war aber aus Gründen der Aktualität und kapazitätsmäßiger Aspekte oft nicht durchführbar.
Es entstand das neue Fernseh-Genre „Pause", um die sich auch Kritiker Gedanken machten. „Die leider doch vorhandene Pause kann im Fernsehen mancherlei Aussehen haben: sie kann das Senderzeichen (Pausenzeichen) bieten, kann den Bildschirm ohne jedes Bild lassen, wohl aber Musik bringen, kann eine Zeichnung, ein in sich geschlossenes neutrales Filmstück oder ein Hinweisschild verschiedenster Art enthalten. Dies wiederum kann ernsthaft sachlich oder heiter in Karikaturen form gelöst sein. Es ist eines der Gebiete, auf dem das deutsche Fernsehen die vielfältigsten Experimente hinter sich hat... Kann die Pause überhaupt eine echte dramaturgische Funktion haben? Sie kann hier und da einmal die Erwartung steigern. Aber das ist ein sehr äußerer Reiz. Wenn man meint, durch eine Pause nach einer besonders feierlichen oder andächtigen Sendung die Stimmung nachklingen lassen zu müssen, so ist das unzweifelhaft ein Trugschluß. Wer das Bedürfnis hat, braucht nur den Empfänger abzuschalten. Wer aber die nächste Sendung noch erwartet, wird eine echte Pause eher als Belastung empfinden. Das Nachwirken einer Sendung gehört in die Sendung selbst, die durch ein musikalisches Nachspiel, durch eine sinnvolle Kameraarbeit in sich den lösenden Ruhepunkt haben muß. Nicht aber kann das geschehen durch die Flucht in die beziehungslose Pause, die gerade allzu leicht die Stimmung zerstört: man starrt auf ein Pausenzeichen, es erhebt sich einer vom Empfänger, jemand beginnt zu sprechen und dergleichen."  

 

Fersehvertrag

 

Fernseh Übertragungsnetz 1954

 

Das dramaturgische Pausenproblem löste sich erst, als die Post jeden Sender mit einer doppelten Richtfunkstrecke (zum Senden und Empfangen) versah.
Auch in den anderen Programmgattungen vervollkommnete sich das Fernsehen, die Teilnehmerzahlen stiegen: Am 31. Dezember 1955 waren es 283.750, ein Jahr später 681.839 und Anfang Oktober 1957 wurde der einmillionste Fernsehteilnehmer gekürt.

Oktober 1957: 1 Million Fernsehteilnehmer. Der Durchbruch zum Massemmedium gelang 1959: mit täglichen Verkaufsziffern von 5.000 Geräten erzielten Handel und Industrie Traumumsätze, was mit sehr langen Lieferzeiten verbunden war. Es folgte ein jährlicher Zuwachs von über einer Million, so daß zehn Jahre nach offiziellem Beginn, also am 31. Dezember 1962, 7.213.486 und zwanzig Jahre danach, am 31. Dezember 1972, 18.063.892 Teilnehmer registriert waren. Heute verfügen mit über 22 Millionen Geräten nahezu 100 % aller Haushalte in der BRD über Zugang zu dem „Massenmedium Fernsehen", wobei die durchschnittliche tägliche Nutzung des angebotenen Programms bei überzwei Stunden liegt. Das entspricht dem Programmangebot der ersten Jahre. Doch schon 1956 hatte sich das Sendevolumen im Tagesdurchschnitt verdoppelt, 1958 lag es bei 5,5 Stunden und zwei Jahre später bei 6 Stunden. 

1983 lag die durchschnittliche tägliche Programmleistung der ARD bei über 9 Stunden, die des ZDF bei über 11 Stunden. Doch soweit sind wir bei unserer historischen Rückblende noch nicht. Bevor man sich über den „Berieselungseffekt" des Fernsehens, ausgelöst durch das tägliche große Programmangebot, Gedanken machte, freute man sich erst einmal über die zu verzeichnenden Fortschritte und versuchte, durch erste Umfragen das Verhalten und die Reaktionen der Fernsehzuschauer - heute nennt man das „Feedback"-auszuloten. Die erste vorliegende Untersuchung ist die des NWDR aus den Monaten Dezember 1953 und Januar 1954. Wir erinnern uns: Zu der Zeit gab es rund 12.000 Teilnehmer. Von den davon Befragten gaben 89 % an, täglich fernzusehen und zwar im Durchschnitt 1 Stunde und 40 Minuten. 

 

FTR 2 von Siemens, 1957

Musiktruhe FTR 2 von Siemens, 1957

 

Interessen Index

 

Dabei hatten 66 % mehr Gäste als früher, wobei Arbeiter und Teilnehmer mit Volksschulbildung noch 7% mehr zu verzeichnen hatten: Das Fernsehgerät „ist - ähnlich wie der Rundfunkempfänger in den Anfängen des Rundfunks - eine größere Sensation in diesen Bevölkerungsschichten, er bedeutet in höherem Grad etwas besonderes. Das Fernsehgerät - Mittelpunkt einer neuen, da relativ stummen Geselligkeit. Die Gastwirte waren Anfang der 50er Jahre auch die jenigen, die am Lautstarksten gegen das neue Medium zu Felde zogen - bis sie auf die Idee kamen, ihre Kneipen auch mit einem Gerät auszustatten. 64 % der Befragten gaben nämlich an, häuslicher als vor der Anschaffung des Empfängers geworden zu sein.

Auf die Frage: Warum? äußerten 75 % die Ansicht, daß das Fernsehen einen günstigen Einfluß auf das Familienleben habe - es sei: 
„familienbindend"  34 %
„bildend" und „anregend" 29 %
„unterhaltend" und „entspannend" 22 %
„die Welt im Heim" 9 %
„geselligkeitsfördernd" 3 %
„geldsparend" 3 %

Nur 3 % sahen in dem neuen Medium einen ungünstigen Einfluß: es sei „zeitraubend" und „ablenkend" 43 %
„familienzerstörend" 29 %
„oberflächlich" 14 %
„geselligkeitszerstörend" 7 %
„anstrengend", „nervös machend" 7 %

 

Hör zu, Nr. 46/1956, Programm vom 15. November 1956
aus: „Hör zu", Nr. 46/1956, Programm vom 15. November 1956

 

Was die positiv eingestimmten Zuschauer im Dezember 1953 am liebsten sahen, zeigt der nebenstehende Interessen-Index: Auf der Bewertungsskala von +10 bis -10 waren Tagesschau und Spielfilme mit +8 Spitzenreiter; ernste Musik schien mit -3 den meisten nicht geeignet für den Bildschirm.

Das Fernsehspiel, unter Einschluß von Oper, Operette und Singspiel (damals trennte man das noch nicht), hatte sich mit +7 einen beachtlichen 4. Platz auf dem Interessen-Index erobert. Einzelne Produktionen erreichten dabei allerdings schon die Traumnote +10, so „Der Hund im Hirn" von Curt Goetz (Ausstrahlung am 15. April 1953), „Das Lächeln der Gioconda" von Aldous Huxley (26. Juni 1953), „Das Abschiedsgeschenk" von Terence Rattigan (4. Dezember 1953) und „La Traviata" von Giuseppe Verdi (9. Dezember 1953). Die Kultur, die Theater- und Opern Produktionen ins Haus brachten, ohne daß man sich aus selbigem bewegen mußte, hatte für einige Kritiker Folgen: Sie machten sich Gedanken um die richtige Würde eines solchen Abends. Dabei lagen sie nicht auf der Linie des „Pantoffel-Kinos", wie Fernsehen in Deutschland später genannt werden sollte, sondern sie hielten es mehr mit den Briten, die ihr Medium liebevoll „armchair-theatre" nannten.

„Für Sie legen sich die elektrischen Wellen kräftig ins Zeug und bringen Ihnen das Theater sogar frei Haus. Nicht einmal den Sakko brauchen Sie dazu anzuziehen: in diesem Theater kann man sogar in Hosenträgern sitzen. Obwohl Sie das besser nicht tun sollten. Es hat schon etwas für sich, wenn man auch in der Kleidung der Würde des Augenblicks angepaßt ist. Und Theater ist nun mal eine würdevolle Angelegenheit. Machen Sie also die Abende, an denen Ihnen das Fernsehen ein Spiel ins Haus bringt, zu kleinen Höhepunkten im Ablauf des Wochenprogramms. Sie  werden sehen, es hat viel für sich. Mit dem Inhalt der „reinen" Fernsehspiele setzte sich ein Berliner Theaterkritiker auseinander, wobei er nicht gerade sanft mit dem Dargebotenen umsprang: Friedrich Luft. Das nebenstehende Dokument ist die erste Fernseh-Kritik, die Luft in der Hör zu schrieb. Und immer wieder sein bissiger Ton, der nichts destotrotz konstruktiv wirkte, da er auch highlights" entdeckte.

„Der Start einer neuen Sendereihe: ,Kinder, wie die Zeit vergeht!' aus Köln kam nur über die viel zu lange Strecke. Die Idee, Dinge und Menschen von gestern und heute gegeneinander zustellen, ist nicht unergiebig. Leider war der Reporter, der hier den roten Faden zu ziehen hafte, noch zu zappelig und selbstbewußt. Er deckte die gegensätzlichen Figuren, die er hätte zum Reden locken sollen, eher zu und fand sich selber offenbar flotter, als er wirkte. Aber auch da blieb ein Moment, der für die Möglichkeiten des Fernsehens zeugte: wie die Stummfilm-Königin Henny Porten aus den Flegeljahren des Zelluloid erzählte, und wie, als ein uralter Streifen mit ihr ablief (immer wieder ihr offenbar unbewußt), ihr heutiges, betrachtendes, erstauntes und gerührtes Gesicht über den alten Zappelfilm geblendet wurde.

Zweimal war da also das gleiche Antlitz auf dem Schirm: Henny Porten vor mehr als dreißig Jahren - und Henny Porten heute. Eine Gegenüberstellung, ebenso rührend wie schön, ebenso erregend wie sonderbar. Für drei Minuten war das großartigstes Fernsehen. Denn das kann der Funk nicht, das kann der Film nicht und das Theater auch nicht. Es steckt ja noch viel mehr in dem Teufelskasten, als wir ahnen. Hier kommen plötzlich Möglichkeiten hervor, denen man nachgehen und die man ausbeuten sollte." Die Tagesschau trug ihrer Beliebtheit Rechnung, indem sie vom 1. Oktober 1956 an täglich außer sonntags erschien. Die sonntägliche Versorgung mit Tagessschau-Nachrichten mutete die ARD der Bevölkerung erst vom 3. September 1961 an zu. Luft sagte es schon, der Fernsehapparat war mittlerweile zu einem notwendigen Möbel geworden, und damit ergaben sich innenarchitektonische Probleme. Wohin mit dem Empfänger? Die Fachliteratur gab Tips.

 

Der Kritiker (Fernsehen)

 

„Die Aufstellung des Gerätes in der Wohnung gestaltet sich manchmal so aufregend, wie wenn tatsächlich die ganze Welt im Wohnzimmer unterzubringen wäre. Unnötiges Hin- und Herräumen diverser Möbelstücke erspart indessen schon die Beachtung einiger Grundregeln. Als da sind: Auf der Fensterseite des Raumes steht der Fernsehapparat also am günstigsten. Dort trifft den Bildschirm kein direktes Licht. Und die Fenster können sich nicht auf dem Bildschirm störend widerspiegeln. Zweitens soll der Fernsehapparat möglichst in Augenhöhe stehen. Auf keinen Fall aber zu hoch, etwa auf einem Schrank. Wer Abende lang oben auf den Schrank blicken muß, braucht sich nicht zu wundern, wenn er am nächsten Morgen ein unsympathisches Gefühl im Genick verspürt. Drittens muß ein angemessener Abstand vom Bildschirm zum Platz der Zuschauer eingehalten werden. Angemessen bedeutet in diesem Zusammenhang einen Abstand von zwei bis drei Metern. Auf Grund ihrer betont elektronischen Entstehungsweise haben Fernsehbilder nämlich die Eigenart, aus dieser Entfernung klarer und schärfer zu wirken als wenn man mit der Nase davor sitzt." 

 

Die Fernsehzone

 

Wohl der Fernseh-Konsumenten wurde gedacht

Auch an das leibliche Wohl der Fernseh-Konsumenten wurde gedacht.

 

„Wer bereits in frühen Fernsehtagen stolzer Gerätebesitzer war, sah sich unversehens als weithin geachteter Mitbürger. Er durfte sich in der unverhohlenen Sympathie und Wertschätzung seiner menschlichen Umgebung sonnen. Und sogar Nachbarn, deren Existenz er früher höchstens geahnt hatte, erschienen plötzlich-pünktlich vor 20 Uhr-mit freundlichen Blumensträußchen vor der Wohnungstür, um zu versichern, daß sie, ja eigentlich längst schon einmal vorbeischauen' wollten. Dabei war unverkennbar, daß sie weniger vorbei, als vielmehr auf den Fernsehschirm schauen wollten. Nun erweist es sich aber als schwierig, solche Fernsehgäste mit einem glanzvollen Souper von drei oder gar mehr Gängen zu bewirten. Wer beim Fernsehen dauernd mit Löffeln, Messern, Gabeln, Gläsern und mancherlei Schüsseln hantieren muß, hat weder vom Essen noch vom TV-Programm sonderlich viel. Zudem ist das Ganze für die Hausfrau eine Zumutung, weil sie zwischendurch dauernd in die Küche laufen muß."

Die Lösung des Problems: fernsehgerechte Rezeptvorschläge, die „die Hausfrau in Ruhe vorbereiten und der Fernsehgast ungehindert genießen kann. In der Bundesrepublik ging dieses komfortable Angebot allerdings nie so weit wie in den USA, wo eine Firma „Fernsehbier" in handlichen Dosen mit Leuchtstoffetiketten herausbrachte, damit man die Dosen im Halbdunkel des Fernsehzimmers jederzeit finden kann. Das Zuschauerverhalten hatte sich eingespielt, ob mit oder ohne Gäste, aus dem traditionellen Familienkreis war ein Halbkreis geworden, der sich vor dem an richtiger Stelle placierten Fernsehgerät gruppierte. Die ersten Jahre des mühsamen Tastens und Wagens auf dem neuen Arbeitsgebiet war für die Programm-Macher und-Techniker vorbei, Formfindung und Perfektionierung der ARD-Gemeinschaftsleistung worin rasantem Tempo vonstatten gegangen. So konnte zum 1. April 1958 ein erstes schematisches Programmraster eingeführt werden, ein Vorläufer der heutigen Programmstruktur. In einem zwei wöchigen Turnus wurden die drei Programmstützen-Unterhaltung, Information und Fernsehspiel folgendermaßen verteilt:

 

Kontrastsendung

 

Jedem abendlichen Schwerpunkt wurde zusätzlich eine kleine „Kontrastsendung" angehängt. Lief also ein Abend unter dem Stichwort "Information", was auch Dokumentar und Reiseberichte wie auch Diskussionen umfaßte, war die Kontrastsendung z.B. ein unterhaltender Kurzfilm oder ähnliches.

Ein Grobraster - unvorstellbar heute. Kein Wort von Sendungsbegünstigung durch Umfeldplanung oder ähnlichem. Dennoch war das eine Entscheidung von beachtlicher Folgewirkung: Noch heute sind diese ganz frühen Richtlinien in den Programmstrukturen spürbar. Der ständig sich verfeinernde strukturelle Umschichtungsprozeß auf der Grundlage der Rastereinteilung von 1958 ist ein ganz wesentlicher Teil der Programmgeschichte; über lange Strecken so wichtig wie, vielleicht sogar wichtiger als die Beschreibung und Analyse einzelner Sendungen und Sendungsgattungen. Der ständige Umschichtungsprozeß vollzog sich als ein unaufhörlicher Kampf der Argumente in den Ständigen Programmkonferenzen. Wenn der Argumentationsaustausch auch oft wie nackter Konkurrenz- und Vorteilskampf der Redaktionen aussah (was er sicherlich auch war); Programmgeschichte als Standortbestimmung der Sparten ließe sich am ehesten aus diesen Argumenten herausfiltern, denn in ihnen spiegeln sich die Ansprüche und Verpflichtungshaltungen, die Überzeugungen und die Illusionen, die Notwendigkeiten und die Fehler.

 

Fernseh Häppchen

 

Fernsehbecher Graetz

 

Die von Pioniergeist geprägte, mit Anekdoten durchsetzte Fernsehgeschichte der Bundesrepublik war passé. „Konkurrenz und Vorteilskampf" - die Stichworte für die Entstehung des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) sind gefallen: Das ZDF kam nicht mit einem Urknall zur Welt, sondern mit vielen mißtönenden Paukenschlägen.

 

Streit um „Adenauer-Fernsehen" 

Aufgestellt hatte die Pauke das Bundespostministerium. Hier konnte man nicht verwinden, daß nach 1945 der Post das Recht abgesprochen worden war, auf rundfunkpolitischem Gebiet tätig zu sein, d. h. Rundfunksender zu betreiben, obwohl ihr bis dahin das gesamte deutsche Sendernetz gehört hatte. Das Ministerium hatte deshalb offene Ohren, als kapitalkräftige Wirtschaftskreise (vom Bundesverband der Deutschen Industrie bis zum Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger) den Plan faßten, ein kommerzielles Fernsehen, das sich durch Werbeeinnahmen finanzieren sollte, zu gründen. 

„Für derlei Überlegungen war man im Bundeskanzleramt und im Bundespostministerium 1957/58 nicht unempfänglich. Schließlich waren es auch zumindest Gesinnungsfreunde' wenn nicht Parteimitglieder, die dem kommerziellen Fernsehen den Weg zu bahnen versuchten, so daß man auch hoffen konnte, Fernsehprogramme ohne jene Noten zu erhalten, die im negativen Sinne als ,kritisch' ,intellektualistisch' oder gar ,rot' charakterisiert wurden, Noten, die das Progamm des ,Deutschen Fernsehens' häufiger zugesprochen bekam, als es verdient war."

Die Ministerpräsidenten der Länder, in deren Kompetenz das föderalistische Rundfunksystem der Bundesrepublik fällt, wurden hellhörig angesichts der Post-Pläne für ein privates Werbefernsehen, das die Form einer Bundesanstalt haben sollte. Gegen ein zweites Fernsehprogramm hatten die Länderchefs nichts, nur sollte es von den bestehenden Rundfunkanstalten verantwortet und damit öffentlich-rechtlicher Kontrolle unterworfen werden. Derselben Meinung waren auch die Intendanten der mittlerweile neun Mitglieder zählenden Fernsehen produzierenden ARD-Anstalten, und sie beeilten sich, die Ausstrahlung eines zweiten Fernsehprogramms vorzubereiten. Der Streit zwischen Bund und Ländern spitzte sich zu - jetzt trommelten auch Intendanten und Ministerpräsidenten.

 

Raffaels 17TD 259A von Philips, 1959

Raffaels 17TD 259A von Philips, 1959

 

„Adenauer und seine Berater im Hintergrund waren entschlossen, ein Bundesrundfunkgesetz und ein zweites Fernsehprogramm auf kommerzieller Basis durchzusetzen. Die Ministerpräsidenten der Bundesländer wollten weder ein Bundesrundfunkgesetz noch ein kommerzielles Fernsehen. Als neue Grundlage für Kompromißverhandlungen mit der Bundesregierung verabschiedeten sie im Verlauf der Ministerpräsidenten-Konferenz am 19./20. Juni 1959 in Kiel u.a. den Entwurf eines Staatsvertrags über die Organisation des zweiten Fernsehprogramms." Bundeskanzler Adenauer war erbost und reagierte am 30. September 1959 mit dem „Entwurf eines Gesetzes über den Rundfunk", der die Gründung dreier Bundes-Rundfunkanstalten vorsah: „Deutschland-Fernsehen" zur Veranstaltung eines zweiten Fernsehprogramms, „Deutsche Welle" als Auslandsdienst und „Deutschlandfunk" als überregionaler Informationssender für (Ganz-) Deutschland.

Die Ereignisse überschlugen sich. Weil man sich überein zweites Fernsehprogramm nicht einigen konnte, erschien ein drittes wie der Retter aus der Not. Doch Adenauer bestand auf seinen Fernseh-Plänen: Am 25. Juli 1960 Unterzeichnete er den Gründungsvertrag der „Deutschland-Fernsehen-GmbH" in der der Bund Gesellschafter war, und trat am Abend desselben Tages in der Tagesschau auf. „Er begrüßte dabei - wie er sagte die Herren vom bisherigen einzigen Fernsehen und dankte ihnen herzlich, daß sie gekommen seien. Er denke, das sei ein Zeichen dafür, daß sie im edlem Wettstreit miteinander zum Wohl des deutschen Volkes arbeiteten." 

 

Graetz TV

Graetz Fernseher, Modell Burggraf, Baujahr 1961

 

Der Intendant des Süddeutschen Rundfunks, Hans Bausch, antwortete in derselben Tagesschau-Ausgabe: „Die Intendanten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik haben folgende Erklärung abgegeben: ,Mit der Gründung einer privatwirtschaftlich organisierten Gesellschaft wird die öffentlich-rechtliche und gemeinnützige Basis der Rundfunkorganisation in Deutschland aufgegeben. Dieser einseitige und vorbedachte Schritt der Bundesregierung erfüllt die Intendanten mit Sorge und Bestürzung. Im Gegensatz zu der bewährten öffentlich-rechtlichen Grundlage des Fernsehens soll nunmehr ein kommerzielles System geschaffen werden. Die Intendanten sehen darin eine Gefahr für die Unabhängigkeit und Objektivität eines der wichtigsten Informationsmittel. Sie warnen vor den Folgen für unsere Gesellschaft und das politische Leben." 

Nach Meinung der Intendanten und der meisten Ministerpräsidenten war die Deutschland-Fernsehen-GmbH eine vom Staat geführte privatrechtliche Gesellschaft, die außerhalb jeder öffentlichen Kontrolle arbeiten sollte. Daraufhin klagten vier sozialdemokratisch geführte Landesregierungen (Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Bremen) vor dem Bundesverfassungsgericht, wo sie, wie schon beschrieben, den Streit um das „Adenauer-Fernsehen" gewannen: Es wurde schlichtweg für verfassungswidrig erklärt und aufgelöst. Auflösen kann man nur etwas Konkretes. Und in der Tat: Mit einem Kredit verschiedener deutscher Banken von 120 Millionen DM waren bereits 500 Mitarbeiter engagiert, mit dem Bau eines Sendekomplexes in Eschborn bei Frankfurt begonnen und Fernsehproduktionsaufträge an private Firmen erteilt worden. Am 3. März 1961 gab der Pressesprecher der Bundesregierung, Felix von Eckardt, zum Karlsruher Urteil folgende - recht zynische - Erklärung ab: Die Bundesregierung sieht nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Fernsehstreit ihre Bemühungen, der Bevölkerung in der Bundesrepublik so schnell wie irgend möglich ein Zweites Fernsehprogramm zu bieten, als beendet an. Die Verantwortung für die Erstellung eines Zweiten Fernsehprogramms liegt nunmehr in den Händen der Länder. Die Ministerpräsidenten werden sich mit den damit zusammenhängenden Fragen zu beschäftigen haben. Das Bundeskabinett ist nicht mehr mit der Angelegenheit befaßt." 

Die Ministerpräsidenten der Länder setzten ihre bestätigte Macht in ein neues Modell um, das die ARD-Intendanten in ihre Schranken verwies: Die Länder errichteten gemeinsam für das umstrittene 2. Fernsehprogramm eine gemeinnützige Anstalt des öffentlichen Rechts, die bundesweit und von den bestehenden ARD-Anstalten unabhängig produzieren und senden sollte. Das Zweite Fernsehen (ZDF) mit Sitz in Mainz nahm seinen Betrieb am 1. April 1963 auf.

 

1. April 1963: ZDF

 

Im Gegensatz zur ARD ist das ZDF zentralistisch aufgebaut. Die Sendeanlagen werden von der Deutschen Bundespost betrieben, die Gelder kommen von den Landesrundfunkanstalten, also der ARD, die 30 % der Fernsehgebühren weiterleiten müssen. Organe des ZDF sind der Fernsehrat, der Verwaltungsrat und der Intendant.

 

1. April 1963: ZDF

Fast genau ein Jahr lang produzierte das ZDF von Eschborn aus, weil es den dortigen „Nachlaß" des Deutschland-Fernsehens übernommen hatte. Dann zog es nach Wiesbaden auf das Filmgelände der Firma Taunus Film um und mietete dort leerstehende Produktionsateliers an. Am 6. Dezember 1984 war auch dieses Provisorium beendet: Das ZDF nahm seinen neuen Sendekomplex in Mainz-Lerchenberg in Betrieb, die modernste und eine der größten Fernsehproduktionsstätten der Welt.

 

Programmstatistik des ZDF, 1963

Programmstatistik des ZDF, 1963

 

1964 - 1969: Die Dritten Fernsehprogramme 

Um die heutige Medienlandschaft vollständig zu beschreiben, müssen wir noch einmal 20 Jahre zurückgehen. Die ARD-Intendanten hatten nämlich ihr Vorhaben, selbst ein weiteres Fernsehprogramm zu produzieren, längst nicht aufgegeben, und den von so viel Fernsehen schon völlig faszinierten Bundesbürgern stand noch mehr „Flimmerndes" ins Haus: In den Jahren 1964 - 1969 entstanden fünf regionale, nun als „Dritte" bezeichnete Fernsehprogramme, die, wenn auch mit Bildungsabsichten durchsetzt, die Qual bei der abendlichen Programmauswahl noch vergrößerten.

Und alle drei Programme wurden von 1967 an farbig! Finanziert werden Hörfunk und Fernsehen in der Bundesrepublik aus den Rundfunkgebühren; Einnahmen aus Werbesendungen (deren Dauer gesetzlich begrenzt ist) und aus Programmverkäufen ins Ausland kommen hinzu.

 

Richtlinien des zweiten Fernsehens

 

Auszug - Richtlinien des zweiten Fernsehens

 

Auszug - Richtlinien des zweiten Fernsehens

 

Der Gesetzgeber legt die Höhe des Gebührenaufkommens fest, hat aber die Ausgestaltung des Programmauftrags den Selbstverwaltungsorganen der Rundfunkanstalten überlassen. Damit haben die Organe der Rundfunkanstalten kaum Einfluß auf die Einnahmeseite und umgekehrt der Gesetzgeber keinen direkten Einfluß auf die Ausgabeseite: Nirgendwo ist (per Gesetz!) festgelegt, wie viele Sendungen welcher Art und mit wieviel Kosten von den Rundfunkanstalten produziert werden müssen. Der Auftrag der Rundfunkanstalten zielt in erster Linie auf gesellschaftliche und soziale Leistungen, er ist nicht wirtschaftlicher Natur, d.h. das marktwirtschaftliche Prinzip, Leistung und Kosten in Deckung zu bringen, wird nicht angewendet (ein kulturpolitischer Effekt kann nicht in Sendeminutenkosten ausgedrückt werden). Dadurch entfällt ein entscheidendes Kriterium ökonomischer Erfolgsmessung: Die Bewertung der Leistung zu Marktpreisen. Ein Kontrollsystem sorgt in jeder Rundfunkanstalt dafür, daß mit den vorhandenen Geldmitteln sinnvoll und wirtschaftlich, im Sinne des Bildungs-, Informations- und Unterhaltungsauftrages umgegangen wird.

Da ist in erster Linie der Verwaltungsrat jeder Anstalt zu nennen. Er setzt sich aus kompetenten Vetretern des jeweiligen Bundeslandes (beim ZDF sind es Vertreter der Länder und des Bundes) zusammen und befaßt sich mit allen wichtigen wirtschaftlichen und betrieblichen Vorgängen. Aus seiner Mitte bildet er in der Regel einen Wirtschaftsausschuß, der sich detailliert um Probleme der Haushaltsberatung kümmert. Darüber hinaus beauftragt er eine unabhängige Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft mit der Prüfung des gesamten Jahresetats. Diese Vorlagen gehen dem Rundfunkrat als oberstem Organ jeder Rundfunkanstalt zu, der den Wirtschaftsplan genehmigt und über die Entlastung des Verwaltungsrates und des Intendanten entscheidet. Als weiteres Kontrollorgan fungiert der Rechnungshof des jeweiligen Bundeslandes, der das Finanzgebaren „seiner" Landesrundfunkanstalt auf Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit prüft.

 

Finanzierung und Kosten

Daß dennoch die Öffentlichkeit - als weiterer Kontrollmechanismus - ab und zu die „Spitzengehälter" von Rundfunkverantwortlichen und die intensiven Personalkosten generell anprangert, liegt, zumindest teilweise, in der Natur des Rundfunks an sich begründet. Programme zu produzieren, ist äußerst personalintensiv, da jedes Programm ein Unikat ist. Die Kostenvorteile der Massenproduktion entfallen damit. In jeder Rundfunkanstalt sind deshalb ca. 100 verschiedene Berufsbilder vertreten. Mehr als 50 % der Einnahmen entfallen in den Rundfunkanstalten auf Personalkosten. Das ist nicht nur mit dem hohen Personalstand, sondern auch mit den hohen Reallöhnen in der Bundesrepublik zu erklären.

Das große ZDF, das ein Fernseh-Vollprogramm liefert, beschäftigt 3583 festangestellte Mitarbeiter (Zentrale Mainz: 2969, Inlandstudios: 528, Auslandstudios: 83, Ost-Berlin: 3). Der relativ kleine SFB, der drei Hörfunkprogramme, ein regionales Fernsehprogramm, einen 8 %-Beitrag zum 1. Programm der ARD und 25 % zum gemeinsam mit NDR und Radio Bremen produzierten III. Fernsehprogramm zuliefert, hat rund 1400 Angestellte. Alle Rundfunkanstalten beschäftigen zusätzlich freie Mitarbeiter wie Autoren, Regisseure, Schauspieler usw. Wie setzt sich nun konkretdie Einnahme- und Ausgabeseite zusammen?

 

Kompaktregie für die heute- Sendungen des ZDF, 1983

Kompaktregie für die „heute"- Sendungen des ZDF, 1983

 

Die wichtigste Finanzquelle ist die Rundfunkgebühr, die von den Ministerpräsidenten der Bundesländer in einem Staatsvertrag festgelegt wird. Die letzte Erhöhung erfolgte zum 1. Juli 1983; sie bleibt bis 31. Dezember 1986 inkraft. Die Gebühr beträgt für diesen Zeitraum pro Teilnehmer und Monat 16,25 DM, wovon 5,05 DM auf den Hörfunk entfallen, und 11,20 DM Fernsehgebühren sind. Von den Fernsehgebühren fallen laut Staatsvertrag der ARD 70% (= 7,84 DM) und dem ZDF 30% (= 3,36 DM) pro Teilnehmer zu.

 

ARD Sendekosten

 

In demselben Gebührenstaatsvertrag wurde eine Neuregelung des Finanzausgleichs der ARD festgelegt. Dieser Finanzausgleich ist notwendig, da man in dem Vertrag, in dem die prozentualen Anteile der Landesrundfunkanstalten am ARD-Programm gemäß ihrem Gebührenaufkommen festgelegt worden sind, einigen Anstalten einen höheren Programmanteil zugesprochen hat, als es ihrem Gebührenaufkommen entspricht. Es gibt also „nehmende" und „gebende" Anstalten. Die nehmenden Anstalten sind Radio Bremen, der Saarländische Rundfunk und der Sender Freies Berlin (hier spielen z.B. politische Gründe mit), deren Finanzausgleichsmasse von den anderen ARD-Anstalten aufgebracht wird. Nicht so kompliziert ist der Überblick beim ZDF, das alszenrale Anstalt ohne Verteilungsprobleme über seinen 30 %-Fernsehgebührenanteil verfügen kann. Bei rund 22.249.000 angemeldeten Fernsehgeräten im Jahr 1984 , wobei der Anteil der Gebührenbefreiungen bei 7,2% liegt, beläuft sich dieser 30 %-Anteil auf 829,0 Mill. DM. Die Einnahmen aus dem Werbefernsehen liegen 1984 beim ZDF bei 523,2 Mill. DM. Zusammen mit übrigen Erträgen (Programmverkäufe ins Ausland, Zinsen usw.) beträgt der Etat des ZDF für 1984 - 1416,3 Mill. DM. Zum Werbefernsehen: Sowohl ZDF als auch alle ARD-Anstalten strahlen werktags in der Zeit von 18.00 - 20.00 Uhr Werbespots aus (samstags etwas früher beginnend, sonntags nie), aufgeteilt in drei bis fünf Werbeblöcke. Der Gesetzgeber hat festgelegt, daß in dieser werbeoffenen Zeit nicht mehr als insgesamt 20 Minuten Werbung gesendet werden darf, üblich sind Werbespots von 7, 15, 20, 30, 45 und 60 Sekunden Länge.

 

Moderne automatische Studio-Kamera von Bosch

Moderne automatische Studio-Kamera von Bosch

 

Für diese Spots gibt es, je nach Rundfunkanstalt unterschiedliche, feste Preislisten. Liegt der Preis für einen 20-Sekunden-Spot beim NDR bei 10950,- DM, ist die gleiche Werbezeit von Radio Bremen schon für 1900,- DM zu haben. Zu erklären sind diese enormen Unterschiede mit dem unterschiedlichen Einzugsgebiet. Die vom NDR ausgestrahlte Werbung erreicht mehr Menschen als die im kleinsten Bundesland Bremen. Beim überregional ausgestrahlten ZDF erhöht sich der Preis für einen 20-Sekunden-Werbespot gar auf 42.400,- DM.

Die Preise werden nicht durchgehend für ein ganzes Geschäftsjahr festgelegt, sondern bei allen Anstalten ist ein saisonal bedingtes, in vier Preisblöcke aufgeteiltes Preisgefüge zu erkennen: Im teuersten Block, der die Monate März, April, Oktober und November umfaßt, sind überall die Preise entsprechend am höchsten, in den typischen Urlaubsmonaten Juli und August am niedrigsten. Der Anteil der Werbung in Hörfunk und Fernsehen am gesamten Werbeumsatz in der Bundesrepublik liegt bei 10 %.

 

Zurück zum ZDF

Vom beschriebenen Gesamt etat müssen alle Personalkosten, alle Sach- und Produktionsaufwendungen, Investitionen und die Hauptsache, ein im Jahresdurchschnitt 1984 täglich 11,6 Stunden langes Programm finanziert werden. Auf die Programmaufwendungen entfallen 645,3 Mill. DM im Jahr 1984, das sind immerhin noch 73 % der gesamten Sachkosten. Außerdem beteiligt sich das ZDF mit 23 Mill. DM an den Kabelpilotprojekten in Ludwigshafen und München, und stellte im Zeitraum 1984 - 86 gemeinsam mit der ARD 51 Mill. DM der Filmförderung zur Verfügung, die auch wieder dem Programm zugute kommen. Wie hoch (oder niedrig) bei diesen Leistungen und Verpflichtungen die Sendekosten einzelner Programme pro Minute sind, zeigt die vorstehende Grafik, die sich zwar auf die ARD bezieht, aber im Prinzip auch auf das ZDF zutrifft. Aus den anfänglichen Programmdiensten sind Medienriesen geworden. ARD und ZDF einigen sich - mehr oder weniger - in regelmäßig erneuerten Absprachen auf ein Kontrastprogramm. Die dritten regionalen Fernsehprogramme sind in den letzten Jahren auch unterhaltungsfreudiger geworden - offensichtlich aufgrund ihrer, in absoluten Zahlen gesehenen, geringen Zuschauerakzeptanz. Alles in allem eine relativ friedliche Medienlandschaft.

 

Neue Medienlandschaft durch sogenannte Neue Medien

Das wird sich ändern mit Einführung der sogenannten Neuen Medien, was teils schon geschehen ist (Kabelfernsehen, Video, Bildplatte, Bildschirmtext), und noch auf uns zukommt (Satelliten- und Pay-TV). War man bis heute mehr auf Kooperation aus, auch wenn sich im Schielen nach Einschaltquoten schon ab und zu der Konkurrenz gedanke bemerkbar machte, wird dieser Gedanke in Zukunft das ausschlaggebende Motiv bei der Gestaltung von Fernsehprogrammen sein: Angesichts des bevorstehenden Kanalangebots verlieren die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ihre Monopolstellung, unzählige private Anbieter kommen hinzu. Diese wiederum sind abhängig von kommerziellen Interessen, da sie ihre Programme zum großen Teil aus Werbung finanzieren werden. Schon jetzt ist abzusehen, daß eine solche Vielzahl von Programmen nicht unbedingt eine Vielfalt der Inhalte bedeutet. Untersuchungen in den USA haben das belegt: Realitätsbezogene Programme wie Nachrichten und politische  Informationssendungen haben abgenommen, anspruchslose Unterhaltungsprogramme, Kriminalserien u. ä. wurden vorherrschend. Das Publikum kann dann zwar wählen zwischen Dallas, Denver, Derrick und Hans Rosenthal, aber echte Alternativen fehlen. Eins steht fest: Die neuen Technologien werden die technische Qualität der Programme verbessern (digitale Signalverarbeitung im Empfänger). Sie werden aber auch durch elektronische Speichermöglichkeiten (Bildplatte, Videorecorder) das Zuschauerverhalten verändern. Zusätzliche Dienste wie Bildschirmtext und Bildtelefon (Fernsehsprechen in den 30er Jahren) machen aus jeder Wohnung ein technisches Kommunikationszentrum. Der Traum des Menschen von der Tarnkappe hat sich in sein Gegenteil verkehrt: Er ist gläsern geworden.

 

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Zum Vergleich: 1. Programmschema des III. Fernsehprogramms der Nordkette INDR, RB, SFB), Januar - April 1964

 

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Modell des deutschen Rundfunk-Satelliten TV-Sat1

 

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Programmschema des III. Fernsehprogramms der Nordkette, ab Herbst 1985

 

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Mögliche Rundfunk-Versorgungsgebiete Mitteleuropas über Satelliten

 

Damit hat sich die Frage „Hat sich nach 50 Jahren Fernsehen unsere Gesellschaft verändert?" eindeutig mit ,ja' beantwortet - und zwar im positiven wie im negativen Sinne.

 

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Parabolantennen für Satelliten-Empfang

 

Bei der Diskussion dieses Themas fallen Schlagworte wie „Fernsehen als Kulturträger" und als „Initiator der öffentliche Meinung" der eine Gesellschaft neuen Typs, nämlich die informierte oder mediatisierte Gesellschaft, hervorgebracht habe. Fernsehen ist wie Theater, Kino, Museen und Printmedien zu einem festen Bestandteil kulturellen Lebens geworden. Das Fernsehen erfüllt zwei Voraussetzungen, die für eine breite Bildungsarbeit und kontinuierliche Informationspflicht unentbehrlich sind:

1. Es erreicht dauernd große Bevölkerungsteile und besonders intensiv jene sozialen Gruppen, die der Bildung in besondererem Maße bedürfen. (Arbeiter und kleine Angestellte nutzen das Fernsehangebot denn auch mehr als höhere Angestellte oder Intellektuelle.) Diese „Säkularisierung und Aktualisierung der Bildungsgüter" kann dazu beitragen, die Kluft zwischen der Bildungsschicht und unterprivilegierten Gruppen zu verringern.

2. Das Fernsehen kann sich schneller als die Printmedien aktuellen Gegenstandsbereichen zuwenden, wobei seine Anschaulichkeit (Verbindung von Optik und Akustik) Informationshierarchien und Monopole abbaut: Das sich bewegende Bild zu verstehen, bedarf keiner speziellen Ausbildung, es wird von Erwachsenen wie Kindern, dummen und klugen Leuten gleichermaßen begriffen. Die mit diesen zwei Voraussetzungen verbundene Attraktivität des Fernsehens hat dazu geführt, daß sich Lebensgewohnheiten verändern: Der Familienkreis hat sich in einen Halbkreis verwandelt. War noch Anfang der 50er Jahre die liebste Feierabendbeschäftigung das Radiohören, gehört diese Zeit jetzt dem Fernsehen. Wer hat nicht bei sich selbst schon ärgerliche Reaktionen verspürt, wenn während der „Tagesschau" das Telefon klingelt oder gar unangemeldeter Besuch erscheint.

Wenn samstags gegen 22 Uhr, zwischen der „Ziehung der Lottozahlen" und dem „Wort zum Sonntag" der Wasserverbrauch in der Bundesrepublik extrem ansteigt, beweist diese meßbare Tatsache, wie sehr die Mehrzahl der Bürger bereit ist, entsprechend attraktiven Programmen gegenüber eigene Lebensgewohnheiten zurückzustellen. Schon Drei jährige wissen, wann die „Sesamstraße" läuft, und es werden Spiele unterbrochen, um keine Folge zu versäumen. Die extremste Konsequenz ist wohl, daß sich seit 1953 die tägliche Schlafenszeit um eine knappe Stunde verkürzt hat. Diese „Massenkommunikation" vollzieht sich jedoch einseitig. Die Möglichkeiten einer Rückäußerung des Zuschauers sind technisch so aufwendig und teuer, daß sie nur selten wahrgenommen werden. Die Aussage des Fernsehens ist total öffentlich und nicht gezielt an einen Empfänger gerichtet, weshalb mit dem Wort „Kommunikation" dieser Vorgang auch falsch besetzt ist. Die selbständige geistige Tätigkeit des Zuschauers ist reduziert. Er konsumiert mehr, als daß er kommuniziert. 

Und hier setzt die Kritik an dem Massenmedium Fernsehen an. Wir sprechen vom Berieselungseffekt des Fernsehens, wenn wir die Flut von Informationen meinen, mit denen das Publikum täglich konfrontiert wird. In einer Nachrichtensendung von 15 Minuten Länge z.B. gibt es in der Regel rund zehn verschiedene Beiträge, d.h. im Schnitt hat jeder einzelne Beitrag eine Länge von 1,5 Minuten. Daß damit nur eine subjektive Informationsauswahl angeboten werden kann, die noch dazu verkürzt präsentiert werden muß, liegt auf der Hand. Das Fernsehen kann niemals die totale Wirklichkeit abbilden; es bleibt bei Signalen. 

Die heutige elektronische Berichterstattung (EB) bei Außenübertragungen erfolgt mit Kameras von geringem Gewicht und integriertem Recorder, der die sofortige Bild-Kontrolle des aufgezeichneten Signals ermöglicht. Die abgebildete Farb-Kamera, QuarterCam - KCF1 von Bosch, wiegt nur einschließlich Batterie, Sucher und Objektiv 6,2 kg und kann sich bis zu 300 m über das Kamerakabel von der Basisstation entfernen.

 

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Bild-Kassette zur QuarterCam im Maßstab 1:1, 106 x 68 x 12 mm

 

Der Zuschauer jedoch fühlt sich umfassend informiert, weil sein Bedürfnis nach Neuigkeiten und öffentlichen Enthüllungen befriedigt ist. Für ihn ist die Fiktion zur Wirklichkeit geworden. Diese erstaunliche Tatsache liegt an der nahezu unerschöpflichen Kraft des Fern sehens zu unterhalten. Da es den größten Teil seiner Inhalte in Bildern und nicht in Sprache ausdrückt, muß es notwendigerweise auf Erörterungen verzichten. Ereignisse, ob aus Politik und Wirtschaft oder aus Religion und Wissenschaft, nehmen nicht die Form eines Arguments oder einer Gedankenfolge an, sondern sie werden zur Geschichte, zur Story. Eine Naturkatastrophe in der Türkei, ein Krieg in Südamerika, eine Bundespressekonferenz in Bonn oder der Streik der Fernfahrer am Brenner, alles wird zur Story,- der Reporter oder Moderator zum Geschichtenerzähler. Das Fernsehen tendiert dazu, Informationen nicht zu sammeln, sondern sie lediglich zu bewegen. Es kann nicht - wie ein Buch - bei einem Thema verweilen und es gründlich untersuchen, sondern es reißt nur an, um danach zum nächsten Gegenstand überzugehen.

Der Zuschauer ist dem passiv und sprachlos ausgeliefert. Besonders gilt das für Kinder, die heute einen großen Teil ihrer Freizeit vor dem Bildschirm verbringen - und das nicht nur bei speziell für sie entwickelten Sendungen. Die Ursache hierfür ist in der freien Verfügbarkeit des Mediums zu suchen. Anders als beim Lesen von Büchern, bei dem sich nach und nach das Denken vertieft und erweitert, d.h. für das Verständnis von Literatur muß man sich erst qualifizieren, bestehen diese Schranken nicht. Kein Mensch wird durch größeren Fernsehkonsum zu einem besseren Fernsehzuschauer. Eine Art „Fernsehschwäche" gibt es nicht. Sowohl ein Sechsjähriger wie ein Sechzigjähriger ist qualifiziert mitzuerleben, was die Fernsehbilder zeigen. Auf dieser Erkenntnis z.B. gründet sich der Erfolg von „Sesamstraße", die in allen Altersgruppen beliebt ist.

 

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Arbeitsplatz für die Nachbearbeitung der Bildaufzeichnung (EB) mit elektronischem Schnitt

 

Der amerikanische Medienforscher Neil Postman schließt daraus, daß das Fernsehen die Trennungslinie zwischen Kindheit und Erwachsenenalter aus verschiedenen Gründen verwischt, die alle mit seiner undifferenzierten Zugänglichkeit zusammenhängen:

1. weil es keiner Unterweisung bedarf, um seine Form zu begreifen;

2. weil es weder an das Denken noch an das Verhalten komplexe Anforderungen stellt; weil es sein Publikum nicht ausreichend gliedern kann. 

Postman stellt ein Verschwinden der Kindheit fest, da die Medienumwelt jeden gleichzeitig mit denselben Informationen beliefert d.h. den elektronischen Medien ist es unmöglich, irgendwelche Geheimnisse - seien es Tabus in moralischer oder ethischer Hinsicht - zu bewahren. Ohne Geheimnisse aber kann es so etwas wie Kindheit nicht geben. Staunte man in den 30er und auch noch Anfang der 50er Jahre über das technische Wunder Fernsehen, ist uns das Staunen heute vergangen: Die Vielfalt der bisherigen drei Programme wird durch übersichtlich gegliederte Programmtypen und - kategorien - das bereits erwähnte feste Programmschema oder - raster - geordnet. So schafft das Medium ein Selektionsangebot, das sich als Periodicum wie Zeitschrift oder die regelmäßig wiederkehrenden Spalten einer Zeitung nutzen läßt. Gleichzeitig tritt dadurch eine Gewöhnung beim Zuschauer ein, für den ein Programmtyp durch regelmäßige Wiederkehr zur Alltäglichkeit wird.

War noch die erste Landung von Menschen auf dem Mond im Juli 1969 eine Sensation, ähnlich wie für Prinz Ali der Blick durch das Elfenbeinrohr auf seine Geliebte, ist heute die Rückkehr einer Raumfähre aus dem All den Nachrichtensendungen in der Regel nur noch einen 2-Minuten-Block wert. Die Satelliten-Technik hat das bis dahin Unglaubliche möglich gemacht: Wir können Zusehen, wie Astronauten bei einem Raumflug in einer Entfernung von tausenden Kilometern arbeiten; zuhören, wie die Bodenkontrolle ihnen Anweisungen gibt, Fragen stellt und auch Scherze macht. Unbegrenztes Sehen in den Raum und rückwärts in die Zeit scheint heute durch das Fernsehen möglich.

 

Ein technisches Wunder

Astronaut Walter Schirra: Ich verstehe genug vom Mond, um zu wissen, wie unangenehm und unwirtlich er sein kann. Ich verstehe genug vom Mars, um zu wissen, daß man dort nicht leben, ihn nicht besiedeln kann. Mars und Mond sind zwei häßliche Inseln. Darauf sagen Sie: Was hat es dann für einen Sinn, wenn wir hinfliegen? Der Sinn ist der, sagen zu können, ich bin dort gewesen, ich habe den Fuß darauf gesetzt, und ich kann weitergehen, um nach schönen Inseln zu suchen. 

Fernsehen - der alte Menschheitstraum, weiter zu sehen, als das Auge reicht. Erste Gedanken zur Realisierung entstanden vor über 100 Jahren. Vor 50 Jahren war die Technik soweit, „den Bildfänger im leeren Raume panoramieren" zu lassen. Was die Kameras dabei einfingen, war zwar nur flimmernd auf den winzig kleinen Bildschirmen zu erkennen, aber die Phantasie der staunenden Zuschauer ersetzte die mangelnde Bildqualität. Irrwege und Erfolge - sowohl in technischer wie auch programmlicher Sicht - lösten sich ab und spornten an. Heute ist Fernsehen das Freizeitmedium schlechthin: Weit über zwei Stunden verbringt der durchschnittliche Bundesbürger täglich vor dem Bildschirm.

 

 

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